Verwicklungen der SPD: Ein Raubzug namens Cum-ex

Das Hamburger Bankhaus Warburg, ein verbrecherisches Hütchenspiel – und was das mit Kanzler Olaf Scholz und SPD-Politiker Johannes Kahrs zu tun hat.

Der Eingangsbereich der Warburg Bank

Traditionsbank Warburg in Hamburg Foto: Hanno Bode/imago

Weil in einem Schließfach des Hamburger SPD-Granden Johannes Kahrs 214.800 Euro gefunden wurden, rückt der Cum-Ex-Skandal der dortigen Warburg-Bank wieder in den Blickpunkt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

1Was sind Cum-ex-Geschäfte überhaupt?

Es handelt sich um einen systematischen Steuerbetrug. Die Cum-ex-Geschäfte waren ein organisierter Raubzug. Die Banken ließen sich mit Tricks und Leerverkäufen rund um den Dividendenstichtag vom Staat Steuern erstatten, die nie gezahlt worden waren. Das Ganze funktionierte wie eine Art Hütchenspiel, bei dem die Finanzbehörden am Ende nicht mehr durchblicken konnten, wem wann welche Aktien gehört hatten. Den deutschen Staat hat das rund 10 Milliarden Euro gekostet. Cum-ex war kein Steuervermeidungstrick am Rand des Illegalen, sondern gezielter Diebstahl. Die traditionsreiche Hamburger Warburg-Bank hat sich an diesem kriminellen Betrug beteiligt – wie viele andere Banken auch.

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2Welche Rolle hat Olaf Scholz dabei gespielt?

Das ist die entscheidende Frage. Scholz hat 2016 und 2017 als Erster Bürgermeister in Hamburg Christian Olearius, Miteigentümer der Warburg-Bank, dreimal in seinem Amtszimmer empfangen. Damals sollte die Warburg-Bank 47 Millionen Euro aus den Cum-ex-Raubzügen aus dem Jahr 2009 zurückzahlen. Diese Rückforderung wäre Ende 2016 verjährt gewesen. Laut seinen eigenen Tagebüchern schilderte Olearius Scholz die miese wirtschaftliche Lage der Bank. Scholz habe zwar nichts versprochen, schreibt Olearius, doch er habe das Gefühl, „dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen“.

Scholz empfiehlt dem Banker am 9. November, die rechtliche Begründung der Bank, warum sie meint, die 47 Millionen nicht zurückzahlen zu müssen, an den damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher zu schicken. Das passiert auch, obwohl die Finanzbehörde diese Begründung längst hat. Kurz darauf bestätigt sich Olearius frohe Erwartung, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht. Die Hamburger Finanzbehörde entscheidet: Die Bank braucht die 47 Millionen nicht zurückzuzahlen.

3Warum trifft die Finanzbehörde diese Entscheidung, die offenkundig falsch war?

Es gab 2016 in der Finanzbehörde lange Debatten um diese 47 Millionen. Manche waren für die Rückforderung des Geldes, weil es sich um einen Cum-ex-Betrug handele. Auch die Sachgebietsleiterin Daniela P. sieht das so – ändert aber plötzlich ihre Meinung. Am Ende ist die Finanzbehörde der Ansicht, die schwer nachvollziehbaren Cum-ex-Geschäfte der Bank aus dem Jahr 2009 nicht beweisen zu können. Ein Argument ist: Wenn die Bank wegen der Zahlung der 47 Millionen in finanzielle Schwierigkeiten komme, müsse die Stadt am Ende dafür haften. So stellt es Tschentscher im Hamburger Cum-ex-Untersuchungsausschuss dar.

4Was hat Olaf Scholz damit zu tun?

Er sagt: nichts. Die Finanzbehörde habe unabhängig entschieden. Er habe keinen Einfluss auf die Rückzahlung genommen. Am Donnerstag hat er versichert: „Sie können sich darauf verlassen, dass ich nicht zu den Leuten zähle, die so was machen.“

5Ist das glaubwürdig?

Auffällig ist die zeitliche Nähe zwischen Olearius’ Termin bei Scholz im November 2016 – und der Entscheidung der Finanzbehörde, die Sache auf sich beruhen zu lassen, ein paar Wochen später. Scholz’ Engagement bei der Aufklärung dieser Affäre übersichtlich zu nennen, ist eine Untertreibung. Zuerst behauptete die Senatskanzlei, Scholz habe sich nie mit Olearius getroffen. Das war, wie die Tagebücher zeigten, unwahr. Im Untersuchungsausschuss konnte sich Scholz im Mai 2021 an nichts mehr erinnern. Um diese Erinnerungslücken plausibel zu finden, muss man sehr sozialdemokratisch sein. Scholz ist bekannt für sein gutes Gedächtnis. Und es ging ja um viel Geld und eine bekannte Hamburger Bank in Schwierigkeiten. Daher rührt der Verdacht: Der Kanzler verschweigt etwas.

6Hat Scholz sich womöglich bereichert? Geht es um Korruption?

Nein. Es geht nicht um Bestechung. Politik und Wirtschaft sind in Hamburg traditionell eng verflochten. Der Verdacht lautet, dass Scholz mit Rücksicht auf die Bank und Arbeitsplätze, die in Gefahr geraten könnten, der Finanzbehörde sanft nahegelegt hat, auf die Rückforderung zu verzichten.

7Hat die Warburg-Bank das geklaute Geld wieder rausgerückt?

Ja, aber nicht wegen der Hamburger Finanzbehörde, sondern gegen sie. Denn 2017 wollte Hamburg wieder auf Rückforderungen, jetzt aus dem Jahr 2010, verzichten. Das verhinderte Schäubles Bundesfinanzministerium. Mittlerweile gibt es neue Gesetze – die Warburg-Bank musste die geraubten 155 Millionen Euro zurückzahlen.

8Scholz hat vor eineinhalb Jahren vor dem Ausschuss ausgesagt. Warum ist die Affäre jetzt wieder in den Schlagzeilen?

Weil die Kölner Staatsanwaltschaft dem Untersuchungsausschuss ein 140 Seiten dickes Papier geschickt hat. Inhalt unter anderem: Die Finanzbeamtin Daniela P. schrieb am 17. November 2016 per Whatsapp einer Vertrauten, ihr „teuflischer Plan“ sei aufgegangen. Damit war gemeint: keine Rückforderung der 47 Millionen. Wusste sie, dass sie Unrecht tat? Die Frage, warum Daniela P. im November 2016 ihre Meinung in der Rückzahlungsfrage so abrupt geändert hat, ist nach wie vor unbeantwortet. Außerdem vermutet die Kölner Staatsanwaltschaft, dass Mails in der Finanzbehörde unrechtmäßig gelöscht worden sind. Das schürt den Verdacht, dass etwas verheimlicht werden soll. Am Freitag nächster Woche wird Scholz nochmal vor dem Ausschuss erscheinen müssen.

9 In einem Schließfach des Hamburger Ex-SPD-Politikers Johannes Kahrs wurden mehr als 200.000 Euro gefunden. Hat das etwas mit dem Warburg-Skandal zu tun?

Kann sein, kann auch nicht sein. So viel Bargeld legt den Verdacht nahe, dass hier Geschäfte ohne Konten gemacht wurden. Kahrs, der sich 2020 aus der Politik zurückzog, war ein Strippenzieher in der Hamburger SPD, der für raue Methoden bekannt war. In der Warburg-Cum-ex-Affäre wird gegen Kahrs ermittelt, weil er sich 2016 bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (­Bafin) nach der Warburg-Bank erkundigt hatte. 2017 spendeten Firmen, an denen Banker Olearius beteiligt ist, 45.000 Euro an die Hamburger SPD. 38.000 Euro erhielt der Hamburger Kreisverband Mitte. Kahrs war dessen Vorsitzender. Das beweist keine Korruption, ist aber erklärungsbedürftig. Genauso wie die 214.000 Euro im Schließfach.

10 Wird diese Affäre Olaf Scholz die Kanzlerschaft kosten?

Das hängt davon ab, ob ein Beweis auftaucht, dass Scholz oder Tschentscher Einfluss auf die Entscheidung der Finanzbehörde genommen haben. Falls ein Beleg existiert und publik würde, wäre das die smoking gun – und Scholz und Tschentschers stete Beteuerungen, nichts mit dem Verzicht auf die Rückforderung der 47 Millionen zu tun gehabt zu haben, würden zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Scholz’ Version lautet: „Unglaublich viele Anhörungen, unglaublich viele Akten haben nur ein Ergebnis gebracht: Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass es eine politische Beeinflussung gegeben hat.“ Richtig ist: Daniela P. bestreitet bis heute, dass es eine politische Einflussnahme auf die Entscheidung der Finanzbehörde gab. Kurzum: Wenn es in dieser Schlüsselfrage nichts Neues gibt, wird Scholz Kanzler bleiben.

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