Journalismus in der Ukraine: Arbeiten an der Informations­front

Ganze ukrainische Zeitungsredaktionen mussten wegen des russischen Angriffskriegs den Donbass verlassen. Doch sie machen weiter.

Drei Journalisten (ein Mann und zwei Frauen) in Flecktarn und mit Helmen

Journalisten der Website 6262 im Einsatz Foto: Website 6262

TSCHERNIWZI taz | Es ist mittlerweile klar geworden, dass der Krieg weder morgen noch in einem Monat zu Ende sein wird. Und an der Informationsfront arbeiten auch die evakuierten Journalisten weiter. Die Redaktion der Website 6262 (die Zahl ist die Telefonvorwahl der Stadt Donezk, Anm. d. Redaktion) aus der Stadt Slowjansk hat die Region Donezk schon im Frühjahr verlassen. Die Weiterarbeit vor Ort war zu gefährlich. Jetzt hat der Beschuss in der Stadt zugenommen, da die Frontlinie immer näher rückt.

In Tscherniwzi arbeitete das Team zunächst in einem eigens eröffneten Zentrum für vertriebene Journalisten. Hier trafen sie Kollegen aus Kyjiw, Charkiw und aus anderen Städten, die vom „russischen Frieden“ betroffen sind. Hier konnten sie ihre Arbeit fortsetzen.

Später gab es die Möglichkeit, sich einzeln in einem der kulturellen Zentren der Stadt einzurichten. Die Wände wurden in der gleichen Farbe gestrichen wie das Redaktionsbüro in Slowjansk. Das gibt ein Gefühl von Heimat.

Hier in der Region ertönen zwar Sirenen, aber es gibt keinen Beschuss. Dennoch müssen die Journalisten täglich mit grausigen Informationen arbeiten: Berichte über tote und verwundete Zivilisten von Landsleuten, neue Zerstörungen und die näher rückende Front.

Viele fragen sich, wie Journalisten, die evakuiert wurden, überhaupt arbeiten. Schließlich haben sie keinen Zugang zu ihren Städten. Zum Glück können heutzutage Informationen über viele Kommunikationskanäle eingeholt werden. Das funktioniert auch mithilfe von Bekannten, die in der Stadt geblieben sind, oder mit Nachbarn und Verwandten. Es besteht ein ständiger Kontakt mit den lokalen Behörden und Freiwilligen.

Journalismus ist zu einer Stellschraube für den ukrainischen Sieg geworden

Heute kehrt die Redaktion der Slowjansk-Website allmählich zum alten Arbeitsrhythmus zurück. Darüber hinaus kamen Online- und Offline-Treffen mit Kollegen aus anderen Städten der Region Donezk und Luhansk hinzu. In diesem Krieg sind die Journalisten durch ein einziges Unglück verbunden – das Überleben im direkten und übertragenen Sinne. Die Kämpfe haben dazu geführt, dass viele Redaktionen verstreut sind und ihre Finanzierungsquellen verloren haben, und einige Journalisten halten sich weiterhin in den besetzten Städten auf und riskieren ihr Leben.

„Wir sehen ein aufrichtiges Interesse an unserer Arbeit und wollen den Kontakt zu einem Publikum, das uns vertraut, nicht verlieren“, sagt die Redakteurin Olexandra Pylypenko von der Slowjansk-Website. „Selbst hier, als Evakuierte, können wir den Menschen weiterhin informell helfen. Wir sind Vermittler zwischen den lokalen Behörden und den Einwohnern. Wir informieren Einheimische, die noch dort sind, über Evakuierungsflüge.“

Heute ist die Arbeit von Journalisten zu einer der wichtigsten Stellschrauben für den ukrainischen Sieg geworden, denn der Krieg findet nicht nur auf dem Schlachtfeld statt, sondern auch in den Köpfen der Zivilbevölkerung. Die Propagandamedien in Russland scheuen sich nicht, Lügen zu verbreiten, Fakten zu manipulieren und Hass der russischen Bevölkerung auf die Ukrainer zu provozieren. Wir müssen dem Publikum eine glaubwürdige Alternative zu den Lügen bieten, indem wir uns auf Fakten und Augenzeugenberichte berufen.

Die Website der Stadt Slowjansk 6262 ist ein unabhängiges Nachrichtenportal, das 2014 unmittelbar nach der Befreiung von prorussischen Kämpfern entstand. Zu dieser Zeit erholte sich Slowjansk gerade vom Krieg und befand sich in einem Informationsvakuum.

Aus dem Russischen von Anne Frieda Müller

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