Höheres Renteneintrittsalter: Arbeit ist nicht gleich Arbeit

Ein höheres Renteneintrittsalter ist nicht in jedem Beruf machbar. Für Leute in Verschleißjobs würde eine Reform zu Renteneinbußen führen.

Ein Kanalarbeiter schaut aus einem Gulli heraus und streckt dem Betrachter die Zunge entgegen

Es sind besondere Zeiten auf dem Arbeitsmarkt Foto: Gerd Pfeiffer/Voller Ernst/Fotofinder

Es sind schräge Zeiten auf dem Jobmarkt. Jungen Leuten, 25, 30 Jahre alt, wird scheinbar der rote Teppich ausgelegt. Firmen bieten Be­wer­be­r:in­nen Vier-Tage-Wochen an, Arbeitszeit nach Wahl, Homeoffice, Einstiegsprämien. Sind Ar­beit­neh­me­r:in­nen die neuen Kings in der Klassengesellschaft? Mitnichten. Tatsächlich ist der Kampf ums Personal ein alarmierendes Symptom, hinter dem Verteilungskämpfe drohen, deren Ausgang offen ist.

Durch Nachwuchsmangel und Alterung erhöht sich der Arbeitsdruck: Wir sollen länger ackern, vielleicht sogar 42 Stunden. Mütter möglichst in Vollzeit, Ältere bis zum 70. Lebensjahr. Arbeitskräfte werden doch gesucht! Leider gerät dabei aus dem Blick, dass Arbeit eben nicht gleich Arbeit ist. Durch den Personalmangel verschärfen sich etwa die ohnehin schon schwierigen Bedingungen in den Careberufen.

Pfleger:innen, Er­zie­he­r:in­nen reduzieren ihre Jobs wegen der Unterbesetzung und der damit verbundenen hohen Belastung bereits auf 32-Stunden-Stellen und sorgen damit für ihre eigene Altersarmut. Ein Arbeitgeber in der Pflegebranche erklärte, eine Steigerung der Löhne hätte zur Folge, dass die dann besser bezahlten Frauen ihre Arbeitszeit verringern könnten, daher sei sie angesichts des Personalmangels kontraproduktiv. Ein beklemmender Satz.

In Logistikunternehmen ist die nervliche und körperliche Belastung für Sor­tie­re­r:in­nen und Bo­t:in­nen von vorneherein so hoch, dass kaum jemand den Job über mehrere Jahrzehnte durchhält. Die Firmen setzen darauf, dass sie immer wieder Nachschub finden durch Jobsuchende ohne Qualifikation und mit geringen deutschen Sprachkenntnissen. Es stimmt, immer mehr Ältere arbeiten auch noch im Rentenalter. Solange sie das freiwillig tun, ist nichts dagegen zu sagen.

Wer in der Politik aber auf die Idee kommt, etwa durch eine gesetzliche Rente mit 70 quasi zwei Fliegen – den Personalmangel und die Finanzprobleme der Rentenversicherung – mit einer Klappe zu schlagen, der outet sich als Ahnungsloser. Und verschärft Ungleichheiten, die zu wenig thematisiert werden. Ein höheres Renteneintrittsalter würde Rentenkürzungen bedeuten für Leute in Verschleißjobs, die mit 65 nicht mehr können.

Ar­beit­neh­me­r:in­nen in diesen Jobs haben ohnehin eine geringere Lebenserwartung als Aka­de­mi­ke­r:in­nen und beziehen schon deswegen weniger Rente. Wer mit belastender Dienstleistung, die zum körperlichen und nervlichen Abbau führt, sein Geld verdient, hätte das Nachsehen in einem solchen, auch demografisch bedingten Umbau des Sozialstaats. Da wäre sie dann wieder, die Klassengesellschaft.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.