Chinas bedrohliche Manöver ohne Ende

Die chinesische Volksbefreiungsarmee setzt ihre Truppenübungen vor Taiwan überraschend fort. Die Spannungen um die Insel dürften sich noch lange hinziehen

Chinesisches Propagandafoto: Soldat der Volksbefreiungsarmee schaut auf taiwanische Fregatte Foto: Lin Jian/Xinhua/dpa

Aus Xiamen Fabian Kretschmer

Ursprünglich sollten Chinas Militärmanöver am Sonntagmittag enden. So hatte es zumindest die Volksbefreiungsarmee selbst angekündigt. Doch am Montag eskalierte Peking die Krise um den Inselstaat Taiwan erneut und ließ die „Kampfübungen“ fortführen. Dabei wolle man sich auf „gemeinsame Einsätze gegen Unterseeboote und zum Angriff auf See konzentrieren“. Womöglich könnte der Ausnahme- zum Dauerzustand werden: Im Staatsfernsehen sprachen Kommentatoren bereits davon, dass man nun regelmäßige Manöver vor Taiwans Küste abhalten werde.

Schon die letzten Tage waren eine präzedenzlose Provokation. Mit ihren Streitkräften umzingelte die Volksbefreiungsarmee die demokratisch regierte Insel aus allen Richtungen, feuerte Raketen ab und kam Taiwans Küste bis auf wenige Kilometer nahe. Allein am Sonntag kamen dabei 66 Flugzeuge und 14 Kriegsschiffe zum Einsatz. „Chinas Volksbefreiungsarmee simuliert wahrscheinlich einen Angriff auf Taiwan“, erklärte die taiwanische Militärführung. China hingegen sieht die Manöver als „angemessene Reaktion“ und „notwendige Warnung an die USA und Taiwan“, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte.

Noch sind sich Experten einig, das es sich bei Chinas Drohgebärden vor allem um einen Hund handelt, der laut bellt, aber nicht beißt – zumindest noch nicht. Denn für eine Invasion Taiwans müsste die Volksbefreiungsarmee mehrere Hunderttausend Truppen in Stellung bringen, was derzeit laut Satellitenfotos und Geheimdienstinformationen nicht der Fall ist.

Doch die Vergeltungsschläge bleiben nicht aufs Militärische beschränkt. Wie das Verteidigungsministerium in Taipeh mitteilte, habe man auch am Montag neue Cyber-Angriffe und Desinformationskampagnen aus China registriert. Über der vorgelagerten Insel Kinmen flog zudem eine chinesische Drohne. Besonders deprimierend ist auch, dass Chinas Staatsführung als Reaktion auf den Taiwan-Besuch Nancy Pelosis acht Kommunikationskanäle mit den USA suspendiert hat, darunter Gespräche über den Klimawandel und Militärdialoge. Dabei sind derzeit Gespräche zwischen den zwei führenden Weltmächten wichtiger denn je – sei es nur, um ungewollte Eskalationen zu verhindern. Doch die Taiwan-Krise hat wohl das letzte Fünkchen Vertrauen zwischen Peking und Washington ausgelöscht.

China scheint zu versuchen, das taiwanische Militär psychologisch zu zermürben

Wahrscheinlich werden die militärischen Spannungen noch Monate, wenn nicht gar Jahre anhalten. China versucht etwa durch das Entsenden von Kampfflugzeugen oder Cyber-Attacken ein ständiges Gefühl der Krise zu erzeugen, das Taiwans Streitkräfte psychologisch zumürben soll.

Ob Pelosis Besuch der Auslöser oder doch eher ein Vorwand war, lässt sich schwer sagen. Doch Südkorea, dessen Präsident Yoon Suk Yeol die US-Demokratin während ihrer Asienreise nur telefonisch sprach und ein persönliches Treffen vermied, bekam auch Chinas Missgunst zu spüren: Denn die Volksbefreiungsarmee führt derzeit auch im Gelben Meer – also zwischen China und Südkorea – Schießübungen mit scharfer Munition durch.

Neben der Warnung an die internationale Staatengemeinschaft sind die Militäraufmärsche jedoch auch eine Machtdemonstration an das eigene Volk: Die Sozialen Medien werden seit Tagen von martialischen Armeevideos geflutet, die eine eindeutige Botschaft aussenden: Taiwan sei unanfechtbares Territorium der Volksrepublik; und wer an diesem Status Quo rüttelt, bekommt den Zorn der aufstrebenden Weltmacht zu spüren.