Atomdebatte und die Grünen: Richtige Prinzipien

Die Debatte über längere AKW-Laufzeiten ist zur Charakterfrage verkümmert. Dabei gibt es für die Grünen gute Gründe, am Atomausstieg festzuhalten.

Ein Jutebeutel mit der Aufschrift "Atomkraft? Nein Danke"

Stimmen die Grünen längeren AKW-Laufzeiten zu? Das wäre das nicht nur in der Sache bedenklich Foto: Frank Molter/Picutre Alliance

Die Debatte über längere AKW-Laufzeiten ist zur Charakterfrage verkümmert: Sind die Grünen mit ihren 42 Jahren erwachsen geworden oder hängen sie noch in der Spätpubertät fest? Springen sie über ihren Schatten oder klammern sie sich an ihren Spleen mit dem Atomausstieg? Das Abräumen der bisherigen Position wird dabei vielfach als Wert an sich verstanden. Nach Kriegsbeginn, Inflation und drohender Gasknappheit stehen die verbliebenen grünen Prinzipien unter Generalverdacht, mit der Realität nicht kompatibel zu sein.

Kehrt man von der Charakterfrage zurück auf die inhaltliche Ebene, ist die Sache weniger eindeutig. Der Nutzen längerer Laufzeiten ist überschaubar. Ihre Notwendigkeit ist nicht belegt; steigende Gasspeicherstände und unausgereizte Einsparpotenziale lassen an ihr zweifeln. Unbestreitbar nehmen aber die Sicherheitsrisiken mit jedem weiteren Tag am Netz zu. Die letzte große Überprüfung der Anlagen fand 2009 nach veralteten Regeln statt.

Der nächste Termin im Jahr 2019 wurde in Erwartung des Atomausstiegs ausgelassen. Längere Laufzeiten, wenn auch nur um Monate, gibt es nur bei einer weiteren Absenkung der ohnehin gesenkten Standards. Das kann man in der Abwägung richtig finden, weil – mit Ausnahme von Tschernobyl und Fukushima – ja noch immer alles gutgegangen ist. Man kann es aber auch gut begründet ablehnen: Ein Atomunfall hätte grausame Folgen.

Dass die Grünen mit solchen Abwägungen nicht mehr durchdringen, haben sie sich ein Stück weit selbst zuzuschreiben. Zu lange haben sie sich darauf verlassen, dass das Thema vorbeizieht und darauf verzichtet, argumentativ hart dagegenzuhalten. Sie haben die Beharrlichkeit unterschätzt, mit der Union und FDP ihre Forderung vorantreiben, begleitet vom gewohnten Schweigen aus dem Kanzleramt.

Aus Sicht der politischen Konkurrenz sind die AKW ein Gewinnerthema: Wenn der Pragmatismus der letzten Monate der Grund für den grünen Höhenflug ist, sind aufgewärmte Ideologie-Vorwürfe das geeignetste Mittel, ihn zu beenden. Nebenbei verschieben sie den Diskurs weg von Tempolimit, Schuldenbremse und Steuern – den Themen, die zeigen, wo in der Koalition die wahren Betonköpfe sitzen.

Stimmen die Grünen längeren Laufzeiten zu, wäre das nicht nur in der Sache bedenklich. Auch strategisch wäre wenig gewonnen. Wenn sich der Ideologievorwurf nach LNG, Kohle und Sondervermögen hält, verschwindet er auch durch den Streckbetrieb nicht. Und so bleiben im Grunde nur zwei Optionen: Immer neue Positionen aufgeben, um dem Stigma des Dogmatismus zu entgehen, sich letztlich in der Koalition aber selbst zu verzwergen. Oder auch mal über den Anwürfen stehen, wenn sich alte Prinzipien noch immer als richtig erweisen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.