Choeografin Kasia Wolinska: Die Freude zu lernen

Die Choreografin Kasia Wolinska ist als Forscherin in den Geschichten der Künste unterwegs. Ihr Stück „Kiss“ ist eine Hommage an die Musik von Prince.

Kasia Wolinska im Profil

Die polnische Tänzerin und Choreografin Kasia Wolinska Foto: Sven Gutjahr

Einen Mangel verspüren, etwas ungenügend finden, nicht zufrieden sein mit ihrem Wissen und ihren Skills: Davon erzählt Kasia Wolinska immer wieder während unseres Gesprächs im Radialsystem. Dort hat am 28. Juli ihr Stück „Kiss“ Premiere. Die Tänzerin und Choreografin ist wissbegierig, neugierig und lernwillig und die Arbeit an einer Choreografie ist deshalb für sie auch ein Weiterbildungs­projekt.

„Kiss“, 28., 29. und 30. 7., 19 Uhr, sowie 31. 7., 17 Uhr, im Radialsystem Berlin

„The key to longevity is learning every aspect of music that you can“, dieses Zitat von Prince hat Kasia Wolinska der Ankündigung ihres Stücks vorangestellt und nur das Wort „music“ durch „dance“ ersetzt. Prince posthum veröffentlichtem Album „Piano & A Microphone“ gilt ihr Stück. Es ist, sagt Wolinska, ein „Dokument der Musikgeschichte, sehr bescheiden für ihn, eingespielt ohne Publikum, nur er am Klavier“, das erst nach seinem Tod gefunden und veröffentlicht wurde.

Zwölf Wochen konnte sie mit den beiden Tänzerinnen Julek Kreutzer und Hinako Taira proben, um jedem der neun Songs tänzerisch einen eigenen Charakter zu geben. Einen Song nahmen sie sich pro Woche vor, jedes Mal mit anderem Bewegungsmaterial, um in den letzten drei Wochen alles zusammenzusetzen. Tapdance, Housedance, Hip-Hop, Footwork, etwas Jazz, etwas Ballett, es fließt in die Interpretation der Klavierstücke auch eine vielfältige Tanzgeschichte ein.

Dass Tanz sich aus unterschiedlichen Quellen speist, klingt erst mal banal. Aber für Kasia Wolinska liegt darin eine Herausforderung, der Sache auf den Grund zu gehen, den kulturellen, historischen und politischen Kontext der Bewegungen zu recherchieren. „Im Tanz kennt man viele Techniken, aber oft nicht die Geschichte dazu“, das sieht sie als einen Mangel. Am Tanz beschäftigt sie nicht nur seine ästhetische Seite, sondern auch, wo seine Praxis spirituell verwoben war.

Tanz und Politik

Ihr Interesse gilt zum Beispiel Isadora Duncan, der Pionierin eines freien Tanzes, die in Europa sehr gefeiert wurde. Deren allegorische Tänze hatten auch politische Ziele, so setzte sie sich für die russische Revolution ein, mit einem Stück zur Musik der Marseillaise, und gab Gastspiele in Moskau. Das hat ihr in den postsowjetischen Ländern bis heute eine andere Bekanntheit eingebracht als im Westen.

Wie unterschiedlich die Geschichte im Osten und im Westen beurteilt wird, was im Osten und was im Westen bekannt ist aus den Geschichten der Künste, beschäftigt Kasia Wolinska auch aus biografischen Gründen. Als sie vor zehn Jahren aus Polen nach Berlin kam, um ihre in Łódź begonnene Tanzausbildung am HZT (Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin) fortzusetzen, kannte hier niemand ihre bisherigen Lehrer: Die haben hier einfach keine Sichtbarkeit.

Zudem musste sie sich umstellen auf eine mehr theoretische und am Konzept interessierte Ausbildung. Da lernt man vor allem, so erinnert sie, alles zu hinterfragen, was man macht.

In Łódź hat die 1990 in Gdansk geborene Tänzerin auch Kulturanthropologie studiert. 2018 begann sie, mit Hilfe einer Einstiegsförderung des Berliner Senats, einen eigenen Blog, „dance is a weapon“, in dem sie das Verhältnis von Tanz und Politik reflektiert und auch, was ihr Weg von Ost nach West für sie bedeutet. Über den Texten sieht man ein Fantasy-Motiv, Isadora Duncan bändigt mit Strahlen aus Licht einen vielköpfigen Drachen.

Es fließt in die Interpretation der Klavierstücke auch eine vielfältige Tanzgeschichte ein

Wolinska ist auch an den Images, den Mythen, den Nostalgien und Zukunftsvorstellungen interessiert, die mitbestimmen, wie wir Geschichte erinnern. Mit solchen Bildern setzte sie sich (und andere Künstler:innen) in dem Stück „Salvage“ auseinander, das 2021 in Polen herauskam.

Erstmals kam genug Förderung zusammen

Bisher hat Kasia Wolinska vor allem Soli choreografiert, was auch damit zu tun hat, wie viel Förderung sie bekommt. Für „Kiss“ kam erstmals mehr zusammen, neben der Berliner Senatsverwaltung für Kultur ist die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit dabei, das Lublin Dance Theatre und weitere. Das ermöglichte ihr nicht nur, mit zwei Tänzerinnen zu arbeiten, sondern auch Coaches für Urban Dance dazuzuholen und Oleg Dziewanowski für die Musikregie zu engagieren. Mit ihm hat sie die Prince-Songs analysiert, am Hörverständnis gearbeitet, Rhythmen auseinandergenommen. So arbeitet sie an „Kiss“ erstmals mit einem „musical score“, einer Partitur.

Wenn Wolinska betont, wie viel sie bei der Arbeit an „Kiss“ gelernt habe, spürt man ihre Freude daran. Was es heißt, mit anderen den Raum zu teilen, wann man synchron tanzt, wann nicht, wie man solche Entscheidungen trifft, wie man die Bewegungen der anderen wahrnimmt. Auch wenn sie zwei Hochschulausbildungen durchlaufen hat, wie das Choreografenhandwerk gehe, sagt sie, erfahre sie erst jetzt durch Learning by Doing.

Was jetzt noch fehlt, ist der purpurfarbene Tanzteppich, der als Bühnenbild für „Kiss“ geplant war, aber wohl nicht rechtzeitig fertig wird. Doch der Lichttechniker will helfen, dass die Hommage an Prince ihre purpurfarbene Stimmung erhält.

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