Ausgrabungen in Hamburg: Die Altonaer Zeitkapsel

Ausgrabungen rund um eine Kirche in Hamburg geben Einblick in ein großes Bodendenkmal: Es gibt Funde vom 17. Jahrhundert bis in den Sommer 1943.

Zu sehen ist die Ausgrabungsstätte in Altona. Die Grundmauern mehrerer Gebäude stehen noch

Dauern wohl noch bis in den Herbst: Die archäologischen Grabungen rund um die Kirche St. Trinitatis Foto: Stefan Sefzyk/ArchON

HAMBURG taz | Der Aschenbecher aus weißem Porzellan, in den die Archäologen ihre Kippen werfen, lag einen Tag zuvor noch unter mehreren Metern Schutt. Sie haben ihn bei den Ausgrabungen vor der Kirche St. Trinitatis in einem ehemaligen Keller entdeckt. Fast 80 Jahre nach der Bombardierung der Stadt wird er wieder genutzt. „Das nennen wir recycled“, sagt einer der Arbeiter und lacht. Die Stimmung auf der Baustelle ist spürbar gut, es ist wie bei einer Schatzsuche.

Was hier bislang ausgegraben wurde, ist für die Archäologen sensationell. Die Funde reichen vom 17. Jahrhundert bis in den Sommer 1943, als Hamburg im Zuge der „Operation Gomorrha“ von alliierten Truppen bombardiert wurde. „Das ist alles eingefroren, wie in einer Zeitkapsel“, sagt Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg.

Seit Februar führt das Unternehmen ArchOn die archäologischen Untersuchungen durch, unterstützt von der Baufirma Ehlert & Söhne. Der Bereich südlich der Königstraße war einst Altonas Stadtzentrum. Direkt neben der Hauptkirche befand sich der Friedhof, ringsum Straßen, Gassen, Häuser. Ab 2023 soll hier ein neues urbanes Quartier entstehen. Davor müssen die Untersuchungen fertig sein.

Die Funde wurden teilweise bereits präsentiert. Ein Sandsteinrelief samt Altonaer Stadtwappen stammte vermutlich von einer öffentlichen Einrichtung in der Nähe der Kirche. Neben solch großen Exemplaren trugen die Archäologen unzählige kleinere Funde zutage. Barockfliesen, Werkzeuge und Haushaltsgegenstände lassen auf die Lebensverhältnisse im einstigen Stadtzentrum schließen. Dazwischen finden sich immer wieder Knochen. „Da hinten sehe ich eine Speiche. Und das hier“, sagt Weiss und zeigt direkt vor uns auf den Boden, „ist ein Schädel, das erkennt man mit der Zeit sehr schnell.“

Durch Hitze der Bomben verformte Flaschen

Die ehemalige Kibbelstraße, die auf alten Stadtplänen dokumentiert ist, bildet auch heute den Zugang zu den einzelnen Ausgrabungen. Von ihr gehen Eingänge zu Kellern weg, die nun offen liegen. Zwischen den stehen gebliebenen Grundmauern finden die Archäologen Hinweise auf die früheren Be­woh­ne­r:in­nen und deren Situation im Sommer 1943. Unverputzte Mauern aus Ziegelsteinen unterteilen die einst großen Keller in kleinere Abteile.

„Da hat man aus losen Steinen Mauern gestapelt“, sagt Weiss und durchschreitet den Raum. „Das kann nur das Schaffen von Luftschutzräumen sein.“ In den Ausgrabungen finden sich etliche Alltagsgegenstände: alte Gläser, Tassen, durch die Hitze der Bomben verformte Flaschen. An einer Stelle liegt eine große, grüne Plane aus, an den Seiten durch Steine beschwert. „Das hier ist Gomorrha“, sagt Weiss und legt die Folie zur Seite.

Zum Vorschein kommt ein flacher, unförmiger Haufen, ungefähr ein Meter Durchmesser. Man muss genau hinsehen, um die Details zu erkennen. Porzellan- und Glasstücke sind mit Metallteilen und anderen Gegenständen am Boden fest verschmolzen, eine erstarrte Zeitkapsel. „Wenn das so aussieht, muss es Tausende Grad gehabt haben. Da können Sie sich vorstellen, was von Menschen übrig geblieben ist.“

Die Führung über die Ausgrabung ist ein Gang in die Vergangenheit. Erstaunlich genau lassen sich durch Funde und historische Dokumente die damaligen Nutzungen rekonstruieren. An einem Eckhaus sind Eingangstreppen zu erkennen, die Sandsteinstufen eingedellt und abgelaufen. Die Archäologen konnten so ehemalige Geschäfte unter den Ruinen ausmachen. „Hier war ein Schumacher, dort drüben ein Schneider“, gestikuliert Weiss. Allein über die Adressbücher des 19. Jahrhunderts könne man die Gewerbe nachvollziehen.

Die Funde werden nun untersucht und archiviert. Einige Teile sollen auch in Institutionen ausgestellt werden, zum Beispiel im heutigen Rathaus. Der Großteil wird nach der Analyse dem Archäologischen Museum zur Verfügung gestellt. Jan Bock, Inhaber des zuständigen Unternehmens ArchON, ist zuversichtlich, dass die Grabungen bis Herbst abgeschlossen sind. Man wolle ungern in den Winter geraten.

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