SPD und Hartz IV: Die Aufsteigerin

Hubertus Heil will Hartz IV deutlich erhöhen. Gelingt das? Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, kämpft lieber um Arbeitsplätze.

Katja Mast streichelt eine Kuh

Die Sozialdemokratin Katja Mast auf Sommertour in ihrem Wahlkreis: Es geht um die Wurst Foto: Anna Lehmann

PFORZHEIM/ENZKREIS taz | Eine Zufallsbegegnung an einem lauen Sommerabend in der Innenstadt von Pforzheim. Zwei Frauen mittleren Alters stürzen aufeinander zu. „Katja, Du mal wieder hier. Wie geht’s in Berlin?“ „Simone“, ruft Katja und herzt die Frau. Sie sei hier, um Jour­na­lis­t:in­nen aus Berlin ihren Wahlkreis zu zeigen. Denen stellt sie „die Metzgerin meines Vertrauens“, vor, bei der sie seit Jahren ihre Maultaschen und die Würste fürs Grillfest der SPD kaufe.

In Pforzheim und Umgebung ist die SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast eine Größe und bestens bekannt. Außerhalb ihres Wahlkreises, der auch den Enzkreis umfasst, kennt man sie dagegen kaum. Dabei sitzt Mast seit 17 Jahren im Bundestag, vor sieben Monaten stieg sie zur wichtigsten Person hinter Fraktionschef Rolf Mützenich auf und wurde Erste Parlamentarische Geschäftsführerin.

In der Fraktion war niemand überrascht. „Mit ihrer Erfahrung war sie gesetzt“, heißt es. Im politischen Berlin gewöhnt man sich nur schwer an sie. Der Spiegel schrieb kürzlich, die SPD-Fraktion wirke wie gelähmt, Mützenich amtsmüde und Mast sei ohne Profil. Mast hat sich mächtig über den Bericht geärgert. „Die Fraktion ist stark und geschlossen wie noch nie“, sagt sie. „Und Rolf Mützenich ein toller Fraktionsvorsitzender.“

SPD verliert an sozialem Profil

Das stimmt, die SPD-Fraktion war schon in wesentlich schlechterer Verfassung. Und 206 Abgeordnete, die Hälfte davon Bundestagsneulinge, auf einen Nenner zu bringen, etwa bei der Abstimmung zum Bundeswehr-Sondervermögen, und das in einer Dreierkoalition mit einem superbeliebten und einem hochnervösen Koalitionspartner, ist sicher auch das Verdienst von Mast. Die Aufgabe einer PGF, wie das Amt im Politsprech heißt, ist es, nach innen zu wirken und die nötigen Mehrheiten zu organisieren, und weniger, als Lautsprecher nach außen zu senden.

Dennoch übersetzt sich die gute Verfasstheit der SPD nicht in gute Umfragewerte. Seit Wochen liegt die SPD stabil hinter der Union und den Grünen. Als eigene Akteure nimmt man Partei und Fraktion kaum wahr. Sie agieren vor allem als Fußtruppen des Bundeskanzlers, jederzeit bereit, diesen gegen Kritik zu schützen und seine Worte zu erklären. Am Profil kann also noch gearbeitet werden.

Das zeigen auch die Landtagswahlen. Seit Jahresbeginn hat die SPD zwei von drei verloren, zuletzt in NRW, wo man stark darauf gehofft hatte, die CDU in der Staatskanzlei abzulösen. Die Niederlagen haben verschiedene Gründe, aber es gibt ein alarmierendes Muster: In allen drei Ländern sanken die sozialen Kompetenzwerte der Sozialdemokratie. In diesem Jahr steht noch eine vierte Landtagswahl an, in Niedersachsen. Hier stellt die SPD den Ministerpräsidenten. Ein Wahlsieg ist Pflicht auf dem Weg zur nächsten Bundestagswahl und zum Erhalt der Macht.

Mast lebte selbst von Sozialhilfe

Dass das soziale Profil der SPD nachgeschärft werden muss, hat auch Hubertus Heil erkannt. Noch im Herbst will der SPD-Arbeits- und Sozialminister einen Gesetzentwurf für ein Bürgergeld vorlegen, im nächsten Jahr soll es eingeführt werden. Mit dem Bürgergeld will die SPD Hartz IV und die damit verbundenen eigenen Traumata endgültig hinter sich lassen. Am Freitag ließ Heil schon mal verkünden, dass die Regelsätze mit Einführung des Bürgergelds deutlich steigen würden. Die FDP widersprach sofort. Das sei so nicht abgemacht.

Als Heils Ansage am Freitagmorgen im Frühstücksfernsehen landet, sitzt Mast gerade in Pforzheim beim Frühstück mit dem Landrat des Enzkreises. Wie stark ist die SPD gewillt, Hartz-IV-Empfänger:innen unter die Arme zu greifen und sich mit der FDP anzulegen, Frau Mast? Mast hätte jetzt die Gelegenheit, aufzutrumpfen und Heil mit markigen Worten zur Seite zu springen. Das Thema ist ihr ja bestens vertraut.

Schon bevor sie in den Bundestag einzog, kümmerte sie sich als Personalreferentin bei der Bahn um Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Sie war Sprecherin für Arbeit und Soziales in der SPD-Fraktion und später als stellvertretende Fraktionsvorsitzende in der Großen Koalition dafür zuständig. Und als Tochter einer alleinerziehenden Mutter, welche sie und ihre drei Geschwister mit ihrer Arbeit als Putzkraft und mit Sozialhilfe durchbrachte, hat Katja Mast am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn die Freundinnen zum Eisessen fahren, man selbst aber außen vor ist.

Kampf für bessere Arbeit an erster Stelle

Auch kämpfen kann sie. Der Landrat lobt den Einsatz von Mast für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche. Dabei sei er überhaupt kein Sozialdemokrat. Und die „nicht optimalen“ Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche wurden auch erst dann zum öffentlichen Problem, als im Frühjahr 2020 über 100 Werk­ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen des größten Fleischbetriebs im Kreis an Corona erkrankten und die Behörden keine Ahnung hatten, wo die Infizierten eigentlich wohnten. Weil sie nicht bei der Fleischfirma angestellt waren, sondern ihre Verträge bei Subunternehmern hatten, die sie zu völlig überhöhten Preisen in viel zu engen Sammelunterkünften unterbrachten.

Mittlerweile müssen die Fleischbetriebe ihre meist osteuropäischen Ar­bei­te­r:in­nen direkt anstellen und es ist gesetzlich vorgeschrieben, wie viel Wohnraum ihnen zusteht. Zusammen habe man dafür gekämpft, lobt der Landrat. „Wir hatten eine Standleitung nach Berlin.“

Am Abend zuvor hat Mast mit der Betriebsratsvorsitzenden eines Automobilzulieferers zu Abend gegessen, des zweitgrößten Industriebetriebs in der Region. Der steckt mitten in der Transformation vom Verbrenner zum E-Auto, 1.500 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Alle Parteien habe sie angeschrieben, erzählt die Betriebsrätin. Niemand habe ihr geantwortet. Außer Mast. „Katja geht immer ans Telefon, wenn ich anrufe.“ Ihretwegen sei sie sogar in die SPD eingetreten.

Aber Mast reagiert auf die von Heil angekündigte Regelsatzerhöhung nicht übertrieben euphorisch. „Ich stehe hinter allen Vorstößen von Hubertus Heil“, sagt sie in Pforzheim. Und sie sei zuversichtlich, dass es gelinge, die FDP mit ins Boot zu holen. Das klingt nicht gerade nach Attacke. Mast, die einen Bildungsaufstieg von der Hauptschülerin zur Studentin in Heidelberg hingelegt hat und einen gesellschaftlichen von der Sozialhilfeempfängerin zur Spitzenverdienerin, ist bei dem Thema mitunter näher bei Gerhard Schröder, als man­che:r Ge­nos­s:in lieb sein dürfte.

Auf ihrer Webseite schreibt sie: „Meine Mutter hat den Wert von Arbeit immer betont, es war ihr wichtig, nicht nur von Sozialhilfe zu leben. Als Sozialdemokratin war mir dabei klar – ich kümmere mich um Beschäftigte, um Menschen, die was schaffen und am Ende des Tages zufrieden nach Hause gehen.“

Dazu passt, dass sich Mast im fraktionsinternen Spektrum eben nicht bei den Parteilinken, sondern bei den mittigen Netz­wer­ke­r:in­nen engagiert. Hartz IV zu reformieren, heiße nicht nur die Regelsätze zu erhöhen, meint Mast in Pforzheim. „Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass Menschen wieder in Arbeit kommen.“

FDP will Bürgergeld, aber keine höheren Regelsätze

Die FDP formuliert es in ihrem Wahlprogramm drastischer: „Der moderne Sozialstaat ist dafür keine Hängematte, sondern Sprungbrett.“ Auch die FDP will ein Bürgergeld einführen. Die Emp­fän­ge­r:in­nen sollen mehr dazuverdienen dürfen und das Bürgergeld unbürokratischer erhalten. Mehr Geld soll es nicht geben.

Ob Heil sich also tatsächlich damit durchsetzt, die Berechnungsgrundlage von Hartz IV zu reformieren, ist nicht ausgemacht. Denkbar ist eher, dass die Sätze lediglich inflationsbedingt und auf Basis der bisherigen Berechnungen steigen. Dann müssten Hartz IV-Empfänger:innen ab dem nächsten Jahr nur auf weniger verzichten, mehr leisten könnten sie sich nicht.

Hinzu kommt: Krach zwischen den Partnern kann sich die Ampel momentan überhaupt nicht leisten. Die nächsten Monate werden ohnehin zur Zerreißprobe. Die Preise steigen, dazu kommt die Angst, dass Putin am 21. Juli – nach der jährlichen Wartung der Gaspipeline Nordstream 1 – den Hahn nicht wieder aufdreht. Das dürfte die ohnehin steigenden Preise in neue Rekordhöhen treiben, der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft und auch die Solidarität mit der Ukraine könnten parallel zur Füllhöhe der Gasspeicher sinken.

Es geht also um die Wurst. Die meisten Leute, die jetzt im Wahlkreis auf sie zukämen, treibe die Sorge um, dass sie ihre Rechnungen bald nicht mehr bezahlen könnten, sagt Mast. Und sie verspricht: „Wir werden dafür sorgen, dass niemandem die Wohnung gekündigt wird und keiner in einer kalten Wohnung sitzen muss.“ Das ist doch mal eine Ansage. Fast schon eine Kampfansage.

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