Proteste der „Letzten Generation“: Und die Politik spielt mit

Die Innensenatorin fordert Anklagen und Strafen, überschreitet ihre Kompetenz – und löst eine Debatte aus, die den Klimaschutz in den Medien hält.

Ein Polizist versucht eine an der Straße festgeklebte Demonstrantin los zu machen

Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Protest der „Letzten Generation“ in Berlin Foto: Christian Mang/reuters

Woran bemisst man den Erfolg oder Misserfolg von Protesten? Im Nachhinein ist das oft leicht: Man kann sagen, ob sie etwas bewirkt haben oder nicht, ob sie zu einer Veränderung beigetragen haben. Mit dem Einsatz gegen die Klimakrise ist es etwas komplizierter: Die Erderwärmung wird die Menschheit noch jahrzehntelang begleiten; eine aktuelle Bewertung fällt da schwer und würde wohl eher negativ ausfallen.

Es sei denn, die Politik spielt mit und reagiert darauf fast wie gewünscht, so wie derzeit in Berlin. Seit vier Wochen blockieren Ak­ti­vis­t*in­nen der „Letzten Generation“ fast täglich Zu- und Ausfahrten der Stadtautobahn. Bereits im Frühjahr hatten sie das getan, aber nach Ausbruch des Ukrainekriegs Ende Februar die Aktionen abgebrochen. Dennoch waren sie damit – im Nachhinein – erfolgreich. Denn bislang gab es keinerlei Anklagen gegen die Aktivist*innen, obwohl 73 Verfahren anhängig sind.

Das wiederum löst nun, im Sommer, eine absurde Debatte aus. Denn sowohl die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey als auch Innensenatorin Iris Spranger (beide SPD) haben die Staatsanwaltschaft dafür kritisiert, dass noch keine/r der Blo­ckie­re­r*in­nen vor Gericht steht. „Ich will noch einmal festhalten, dass es gar keinen Zweifel daran gibt, dass es sich um Straftaten handelt“, erklärte Giffey; Spranger sagte, sie erwarte, dass die Justiz zu Anklagen und Verurteilungen komme. Freudestrahlend hängten sich die Polizeigewerkschaften DPolG und GdP an diese Argumentation dran.

Doch wie fast immer, wenn die Exekutive ihre Grenzen krass überschreitet, folgt eine barsche Reaktion. In diesem Fall von Generalstaatsanwältin Margarete Koppers. „Wenn man die jüngsten Erklärungen der Polizeigewerkschaften liest, fällt einem der Kitt aus der Brille“, sagte Koppers am Dienstag der taz und bescheinigte den Gewerkschaften fehlende Kenntnisse in Sachen Rechtsstaatlichkeit. In Richtung Senat erklärte sie, es sei bedauerlich, dass durch den politischen Druck Staatsanwaltschaft und Polizei „auseinanderdividiert“ würden.

Wenig überraschend bei Debatten wie diesen schaltete sich die unvermeidbare FDP ein – und fand mit Lena Kreck (Linke) noch eine andere Schuldige: Die Polizei leiste hervorragende Arbeit, war sich Fraktionschef Sebastian Czaja sicher. „Es fehlt jedoch bei der Justizsenatorin am politischen Willen, dass in Zusammenarbeit mit der Polizei möglichst schnell ermittelt wird.“ Es müssten jetzt schnelle Anklagen – und gerne auch Urteile – folgen.

Lustiges Pingpong-Spiel

Dieses lustige Pingpong-Spiel könnte den ganzen Sommer so weiter gehen – und damit der Sache der Ak­ti­vis­t*in­nen dienen. Denn je länger es dauert, desto intensiver wird nicht nur über die Form des Protestes gesprochen, sondern auch über dessen Ziele. Nachdem die üblichen Verdächtigen in den Medien ihre Huldigung an die Autofahrerei ausgesprochen und den Aktionen die Legitimität abgesprochen hatten, folgten in den vergangenen Tagen eine ganze Reihe von Gegenkommentaren, bei weitem nicht nur in der taz, die den Einsatz der Ak­ti­vis­t*in­nen angesichts der dramatischen Erderwärmung lobten und für absolut legitim hielten.

So bewirkt der übliche Reflex konservativer Po­li­ti­ke­r*in­nen letztlich genau das Gegenteil: Dank der populistischen Forderungen nach Bestrafung bleibt das Thema Klimaschutz in den Medien. Vielleicht ist die Gesellschaft in guten Teilen tatsächlich schon weiter, als es Giffey, Spranger und Co. sich vorstellen können, und reagiert auf diesen Populismus nicht mit Johlen und Schenkelklopfen, sondern erst einmal mit Nachdenken. Das würde nicht nur dem gesellschaftlichen Klima wohl bekommen.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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