Mode statt Tabu

Unrasierte weibliche Achseln galten lange als verwegen, heute ist der Zeitgeist ein anderer. Die Ausstellung „Unverschämte Schönheit“ in Köln zeigt haarige Fotografien aus allen Genres der letzten Jahrzehnte

Nude, 1937   Foto: Foto:Edward Weston/ VG Bildkunst, Bonn 2022

Von Brigitte Werneburg

Portrait of Violetta, 1979 Foto: Courtesy Helmut Newton Foundation

Das lange gepflegte Tabu ist in diesem Sommer keines mehr. Auf der aktuellen Ausgabe der amerikanischen Vogue vom August 2022 zeigt Emma Corrin, der erste nichtbinäre Coverstar des Modemagazins, ihre/seine Achselhaare. Statt Tabu sind sie jetzt also – Mode. Und damit ist „Unverschämte Schönheit“, die Ausstellung zum Thema in den Kunsträumen der Michael Horbach Stiftung in Köln auf der Höhe der Zeit. Aufrührerisch, wie sie vielleicht einmal geplant war, ist sie nicht mehr.

Aus der Serie „Khym und Djessy auf dem Weg zum Glück“, 2019 Foto: Bruno Frerejean

Der Zeitgeist hat den Sammler Horbach mit seiner Schwäche für Menschen mit Achselhaaren, also für unrasierte Frauen, eingeholt. Wie er selbst im Katalog zur Ausstellung schreibt, wurde er 1996 durch einen Artikel in der Elle zu seiner Sammlung angeregt. Die Autorin Beatriz Bohn sah in den Haaren unter den Achseln ungezügelte weibliche Sinnlichkeit. Immerhin „galt im Mittelalter“, schrieb sie, „die weibliche Armhöhle als Sitz dämonischer Kräfte“.

Entre-deux, 1998 Foto: Jean-Philippe Véron

Musste sie, um dämonisch zu sein, eigentlich unrasiert sein? Und wenn ja, warum? Weil die unrasierte Achselhöhle der Frau als männlich gilt? Dabei unterscheidet sich die Achselhöhle bei Männern und Frauen nicht grundlegend. Unterm Arm muss die Geschlechterdifferenz künstlich hergestellt werden. In Form von weiblicher Haarlosigkeit. Sich ihr zu verweigern, galt je nach historischer Zeit und kulturellem Umfeld mal gar nicht, meist aber als mehr oder weniger verwegen.

Bra, 1974 Foto: Ralph Gibson

Ob epiliert oder nicht: dass sie nur gelegentlich zu sehen ist, macht die Achsel erotisch. Es gibt nur ein beschränktes Set an Körpergesten, das sie sichtbar werden lässt. Klassisch ist der Griff ins Haar, oder wie auf dem Cover der Vogue der Griff zur Baseballcap, die sich Emma Corrin aufsetzt. Die Achsel wird noch sichtbar, wenn der Arm oder die Arme als Unterlage für den Kopf dienen, wie es die berühmte Aufnahme der rauchenden Violetta Sanchez zeigt, die Helmut Newton 1979 sich nackt auf ihrem Liegestuhl räkelnd fotografierte.

Judith, 2019 Foto: Thomas Karsten

Dass Sophia Loren bei der Werbung für marinierten Aal in der Dose, diese über ihren Kopf halten und ihre Achselhaare zeigen muss, ist zu durchschaubar, um nicht unfreiwillig komisch zu sein. Sie bewahrt dabei aber eine bewundernswerte Haltung. Die Aufnahmen der Ausstellung stammen aus allen fotografischen Genres, sei es aus der Werbefotografie wie bei der Loren, der Modefotografie wie bei Newton, der Aktfotografie wie bei der „Nude“, die Edward Weston 1937 in den Sanddünen von Oceano, Kalifornien aufgenommen hat. Die vielleicht schönsten stammen aus der Reportagefotografie wie bei den zwei Straßenakrobaten, die Bruno Frerejean beobachtete, ein Mädchen und ein Junge, die beide Achselhaar zeigen, wenn sie ihre Keulen jonglieren. Und so ist die Schau über Achselhaare auch ein anregender Überblick über die Geschichte der modernen Fotografie.

„Unverschämte Schönheit“ wird vom 10. Juli bis 19. August 2022 in den Kunsträumen der Michael Horbach Stiftung in Köln gezeigt.