Bundestrainerin Voss-Tecklenburg: Die Frau an der Seite

Martina Voss-Tecklenburg ist eine große Kommunikatorin mit Sinn fürs Pragmatische. Uneitel hat sie die deutschen Fußballfrauen ins Finale geführt.

Martina Voss-Tecklenburg lacht vor grünem Rasen

Gern spricht sie auch von Energie: Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Es gibt eine gern gestellte Frage auf Pressekonferenzen, die wie eine Vorlage zu betrachten ist. Der Trainer oder die Trainerin steht vor dem leeren Tor und muss nur noch verwandeln. Als in den Katakomben des Stadions von Milton Keynes die Jour­na­lis­t:in­nen auch diesen letzten Schritt des deutschen Teams ins ikonische Wembley-Stadion, in das Finale der Europameisterschaft nachvollziehen wollten, mit dem die wenigsten zuvor gerechnet hätten, kam dieses Zuspiel. Was war in der Halbzeitpause in der deutschen Kabine los?

Voss-Tecklenburg hätte nun erzählen können, wie das Team nach dem Ausgleich der Französinnen kurz vor dem Halbzeitpfiff mental wieder aufzurichten war, wie sie ihre Elf strategisch neu justiert hat und welchen möglicherweise nicht ganz unbedeutenden Tipp sie der einen oder anderen Spielerin mit auf den Weg gegeben hätte. Aber die Bundestrainerin nutzte die Gelegenheit nicht und, um im Bild zu bleiben, spielte ab. Sie gab einen Einblick in die Kabine, wie man ihn vermutlich eher selten erhält.

Auch im Erfolg brezelt sie sich nicht auf, sondern berichtet, wie ihre As­sis­ten­t:in­nen ihre Verantwortung wahrnehmen

Es sei ganz ruhig gewesen, erzählte sie. „Ich habe erst gefragt, ob alle weiterspielen können, dann sagt Britta Carlsson immer noch ein paar Sachen.“ Taktisches, was man sich auf einem Tablet noch einmal anschaue. Und: „Thomas Nörenberg kam noch einmal von oben runter, er macht dann immer zum Abschluss noch mal die emotionale Ansprache, bevor es wieder rausgeht.“

Auch in der großen Stunde des Erfolgs brezelte sich die Hauptverantwortliche des DFB-Teams nicht auf, sondern berichtete uneitel und unverstellt darüber, wie ihre As­sis­ten­t:in­nen ihre Verantwortung wahrnehmen, sorgte für deren Sichtbarkeit. Die 54-Jährige sieht sich selbst in der Rolle des Supervisors, der alle Fäden zusammenführt. Vor dem Turnier sagte sie der Süddeutschen Zeitung, sie habe gelernt, die Kompetenzen ihres Trainerteams stärker zu nutzen. Das gebe ihr die Ruhe und Freiheit, genauer zu beobachten.

Das deutsche Team nahm keine Gestalt an

Damals schien es so, als müsste Voss-Tecklenburg ­einen Kud­del­mud­del an Fäden ordnen. Seit der Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich, als sie erstmals das deutsche Team leitete, das nach eher mittelprächtigen Auftritten bereits im Viertelfinale gegen Schweden ausgeschieden war, hatte sich wenig getan. Auch wegen vieler Verletzungsausfälle, Coronaerkrankungen, kräftezehrender Spielzeiten mit dem neuen Cham­pions-­League-Format, nahm das deutsche Team einfach keine Gestalt an. Im April blamierten sich die Deutschen noch in der WM-Qualifikation beim krassen Außenseiter Serbien.

Wenn Voss-Tecklenburg in diesen Tagen von dem großen Potenzial ihrer Spielerinnen und der großen Zukunft des Teams schwärmt, könnte man meinen, dass diese dunklen Stunden Jahre zurückliegen müssten. So ist es ja häufig, wenn Erfolgsgeschichten vom Gipfel aus erzählt werden, dann scheint im Nachhinein der Weg dahin vorgezeichnet gewesen zu sein.

In Wahrheit jedoch ist Voss-Tecklenburg mit ihrem Team mehrmals um den Berg gekreist, und hat nach einigen Irrwegen im letzten Moment, als die Wolkendecke aufriss, den richtigen Abzweig gefunden.

Sie kann Fehler zugeben

Die unter anderem vom DFB bezahlte ARD-Dokumentation „Born for this“ über die deutschen Fußballerinnen ist als Marketingprodukt mit Vorsicht zu genießen. Erhellend ist sie aber in den Passagen, als von einem kleinen Spielerinnenaufstand berichtet wird, getragen von dem Gefühl, dass es so nicht weitergehen könne. Zu den Stärken von Voss-Tecklenburg gehört es nämlich, offen Fehler einzuräumen und umzusteuern, was ihr in diesem Fall eindrücklich gelang. Sie ist eine große Kommunikatorin mit einem Sinn fürs Pragmatische.

Als Systemkritikerin ist Voss-Tecklenburg im DFB nie aufgefallen, obwohl sie in ihrer Kar­rie­re als Spielerin und Trainerin immer wieder gegen Widerstände ankämpfen musste. Sie gehört zum ersten deutschen EM-­Ge­win­ner­team 1989, das vom Verband mit einem Kaffeeservice abgespeist wurde, und erfreut sich bis heute daran, wie sie gern erzählt.

Der DFB habe ihnen damals ja keine Prämien zahlen dürfen, weil sie Amateurinnen gewesen seien. Auf der Trainerbank sitzt sie heute nur, wie sie einmal bekannte, weil ihr Mann, der Bauunternehmer Hermann Tecklenburg, ihr erst die dafür nötige finanzielle Unabhängigkeit gewährleistete.

Bundestrainerin strotzt vor Energie

Sie begann bei weniger gut ausgestatteten Vereinen wie FCR Duisburg und FF USV Jena. Auch als Nationaltrainerin der Schweiz lernte sie Strategien zu entwickeln, wie man gegen individuell stärker besetzte Teams bestehen kann. Es sind Erfahrungen, die ihr nun beim einst im Frauen­fußball mächtigen DFB zugutekommen, weil der einige Entwicklungen verschlief.

Von Defensivlust etwa hat man beim achtmaligen Europameister bislang eher selten gesprochen. Es ist eines der Lieblingswörter von Martina Voss-Tecklenburg bei dieser EM. Gern spricht sie auch von Energie. Diese ist nicht nur bei den Auftritten des deutschen Teams augenfällig. Die Bundestrainerin selbst strotzt vor Energie. Bereits bei den Aufwärmübungen vor dem Spiel beklatscht sie dieser Tage gelungene Aktionen mit größter Leidenschaft. Ein Energieproblem, so viel steht schon fest, wird die DFB-Elf im Finale gegen England im Wembley-Stadion nicht haben.

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