Nach der Hafenexplosion im Libanon: Neues Trauma für Beirut

Nach wochenlangem Brand ist im Hafen von Beirut ein Weizenlager teilweise eingestürzt. Die Silos sind ein Mahnmal für die Explosion 2020.

Brennender Getreidespeicher in Beirut

Mahnmal in Flammen: Getreidesilo im Beiruter Hafen im Juli 2022 Foto: Hassan Ammar/dpa

Beirut/Frankfurt taz | „Zieht eure Masken auf“, warnt ein Hafenmitarbeiter seine umstehenden Kolleg*innen, während sie das Szenario filmen: Aus den Weizensilos im Beiruter Hafen krachen vier Betonzylinder heraus. Rauchschwaden steigen auf, dicke Staubwolken ziehen in Richtung Stadt.

Neben den Weizenhaufen hat die Explosion einen Krater in die Erde gerissen

Die Videos, die sich am Sonntag in den sozialen Medien verbreiten, erinnern die Beirutis an die Explosion, die sich am Donnerstag zum zweiten Mal jährt. Am 4. August 2020 detonierten mehr als hunderttausend Tonnen Ammoniumnitrat am Hafen. Über 230 Menschen starben, rund 6.000 wurden verletzt, knapp 30.000 Personen verloren ihr Zuhause. Nun die nächste Katastrophe: Seit Mitte Juli schon brennen die 5.000 Tonnen Weizen, die durch die damalige Detonation aus den Silos gefallen sind – und seitdem an deren Fuße fermentieren und sich durch die Sonne immer wieder entzünden.

Der Hafen ist zum Mahnort geworden. Hafenmitarbeitende und Militär haben zwar aufgeräumt, eine deutsche Firma hat Giftstoffe und entzündbare Materialien entsorgt. Trotzdem gleicht der Hafen einem dystopischen Filmset. An der Zufahrtsstraße zum Explosionsort stehen ausgebrannte Trucks, gegenüber ein Haufen Müll: Plastik, Aluminium, Ziegelsteine, Metallgerüste, dazwischen Schreibtischstühle. Dahinter das ausgebrannte Gerüst einer Lagerhalle. Auch die Haufen von gelb-braunem Weizen wurden nie entsorgt. Daneben hat die Explosion einen Krater in die Erde gerissen.

Die Zivilgesellschaft sieht die Silos als „stille Zeugen“ der Explosion vor zwei Jahren, eines Verbrechens, das bis heute unaufgeklärt ist. Es gibt keinen Bericht der Untersuchungskommission, kein ranghoher Politiker wurde zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen verhafteten die Behörden den Hafenmanager und mehr als 20 Hafen- und Zollbeamt*innen, weil sie nichts unternommen hatten, um das Ammoniumnitrat zu entfernen. Dabei wussten laut Human Rights Watch auch die Sicherheitsbehörden sowie der damalige Regierungschef Hassan Diab und Präsident Michel Aoun von der tödlichen Fracht.

Die derzeitige Regierung unter Nadjib Mikati hat im April den Abriss der Silos beschlossen. Dann fing der Weizen im Juli Feuer. Weil Wasser den Brand verschlimmern könnte, wies Mikati die Feuerwehr an, nicht zu löschen. Es schien, als wartete die Regierung darauf, dass die Silos von selbst einstürzen.

Neue Silos in Planung

Für den nördlichen Teil der verbleibenden Silos besteht kaum eine Chance auf Erhalt. Die südlichen 42 Zylinder könnten aber gerettet werden: Die immer wieder lodernden Weizenhaufen könnten noch abtransportiert werden.

Die Silos sind nicht nur als Mahnmal und Symbol von Korruption von Bedeutung. Sie waren auch das größte Lager für Weizen und das einzige Lager an einem Hafen im Libanon. Deshalb plant die Regierung, zwei neue Silos zu bauen, sagte Wirtschaftsminister Amin Salam der Zeitung L’Orient-Le Jour.

Die Weltbank erarbeite einen Plan für den ganzen Hafen. Doch bis der Hafen rechtlich freigegeben, gereinigt und saniert sei, könne es einige Jahre dauern. Neue Silos am selben Ort zu bauen ist nicht möglich, da der kaputte Boden kein hohes Gewicht mehr tragen kann. Salam möchte die neuen Weizenreserven am Hafen von Tripoli bauen – der zweitgrößten Stadt nördlich am Mittelmeer. Eine Machbarkeitsstudie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung habe ergeben, dass der Bau innerhalb eines Jahres entstehen kann.

Doch europäische Länder weigern sich, Geld in dieses marode System zu investieren, solange es keine Reformen gibt. Korruption hat den Staat in eine tiefe Wirtschaftskrise getrieben.

Um zumindest das Problem der Ernährungssicherheit anzugehen, hat die Weltbank zuletzt einen Kredit für Weizenlieferungen gewährt. Dafür stapeln sich 1,4 Kilometer vom Explosionsort entfernt intakte Container am Ladeterminal. Immerhin hier können importierte Nahrungsmittel von Schiffen geladen und in Supermärkte transportiert werden.

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