Hasskriminalität im Netz: Offensive gegen digitale Gewalt

Nehmen die Behörden Hasskriminalität im Netz ernst genug? Nach dem Tod der Ärztin Kellermayr stehen Polizei, Justiz und die Plattformen in der Pflicht.

Ein Mann fährt ein Drohplakat gegen Impfärzte bei einer Demonstration mit dem Fahrrad herum

Die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr war Hass im Netz wie Bedrohungen in der analogen Welt ausgesetzt Foto: Golejewski/AdoraPress

BERLIN taz | Fünf Tage ist es her, dass die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr sich das Leben nahm. Das Entsetzen über die Folgen brutaler digitaler Gewalt dauert weiter an – und Forderungen an Behörden und Plattformanbieter, schärfer gegen Hasskriminalität im Netz vorzugehen, werden lauter. Kellermayr wurde sowohl im virtuellen Raum als auch im realen Leben beschimpft, beleidigt und bekam Morddrohungen. Von den zuständigen Stellen bei Polizei und Justiz fühlte sie sich im Stich gelassen. Die Ärztin hatte Coronamaßnahmen verteidigt und wurde deshalb systematisch von Impf­geg­ne­r:in­nen angegriffen.

Die Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag, Tabea Rößner (Grüne), zeigte sich tief betroffen von dem Fall. Sie verwies beim Thema Hasskriminalität im Internet auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das die Verantwortlichkeiten von Plattformbetreibern bei Posts verschärft hat, sowie auf den Digital Services Act auf EU-Ebene. „Die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zur Bekämpfung von Hasskriminalität und einer Inpflichtnahme der Plattformen sind also vorhanden“, sagte Rößner der taz.

Es sei vor allem eine Frage der Durchsetzung dieser Regelungen durch die Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden sowie die Gerichte. Zudem unterstrich sie, dass es bereits Ansätze für die Zusammenarbeit von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Landesmedienanstalten zur Bekämpfung von Hasskriminalität wie die Initiative „Verfolgen und Löschen“ gebe. Aber: „Bei alledem muss das Ziel sein, dass in der digitalen Welt dieselben Regeln des zivilen Umgangs gelten und durchgesetzt werden wie in der analogen“, erklärte die Grünen-Politikerin.

Deutlich schärfer äußerte sich die Linken-Politikerin und Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg. Sie sieht im Tod von Kellermayr ein „Versagen der Gesellschaft“. Noch immer werde digitale Gewalt von den zuständigen Behörden nicht angemessen ernst genommen, sagte Domscheit-Berg der taz. „Das ist oft eine Frage der Kompetenz, weil es an fachlicher Weiterbildung und spezialisierten Kräften fehlt, aber auch eine Frage des Ermittlungswillens und der ausreichenden Ressourcen.“

Mehr Kooperation von Bund und Ländern gefordert

Die Linken-Politikerin hat selbst digitale Gewalt erfahren und beklagt eine – wie sie sagt – Erfolglosigkeit von Anzeigen bei der Polizei: „Noch keine meiner Anzeigen ist jemals vor einem Gericht gelandet“, sagt Domscheit-Berg. Um effektiv gegen Hass im Netz vorzugehen, brauche es mehr ausgebildete Fachkräfte bei Ermittlungsbehörden und Justiz und verpflichtende Weiterbildungen auch zu Grundlagen, wie der digitalen Beweissicherung. Sie forderte zudem Spezialstaatsanwaltschaften für digitale Gewalt sowie mehr Unterstützung für die Opfer und gut ausgestattete Beratungsstellen.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

Bund und Länder müssten dabei eng miteinander kooperieren. Die Bundesregierung dürfe nicht darauf hoffen, dass die Plattformen selbst konsequenter agieren. Aus Sicht der Sozialpsychologin Pia Lamberty ging mit der Pandemie ein Anstieg an Bedrohungen und Gewalt einher. „Es reicht schon, dass man fürs Impfen wirbt, um mit Beschimpfungen und Drohungen überzogen zu werden“, sagte Lamberty der taz.

Es sei kaum wahrgenommen worden, wie bedrohlich die „Pandemie der Gewalt“ sei. „Wenn die Presse nicht mehr frei berichten kann, wenn schon der Hinweis auf Gesichtsmasken zur Lebensgefahr werden kann, wenn Impfen Morddrohungen mit sich bringt, dann läuft etwas gewaltig schief.“ Mit Blick auf den Herbst vermutet sie, dass sich die Bedrohungslage noch einmal verschärfen kann.

Prominente Use­r:in­nen verlassen Twitter

In den vergangenen Tagen haben insbesondere auf Twitter Use­r:in­nen von ihren Erfahrungen mit Hass und Hetze berichtet. Prominente Schrei­be­r:in­nen wie etwa der IT-Rechtsanwalt Chan-jo Jun oder die Ärztin Natalie Grams-Nobmann hatten die Plattform verlassen. Auch die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl macht nach massiven Anfeindungen eine Twitter-Pause. Nach dem Tode Kellermayrs hatte sie aktuelle Hassposts gegen sie auch öffentlich gemacht.

Die Netzexpertin Katharina Nocun hatte im taz-Interview von ihren Erfahrungen mit Bedrohungen aus dem Netz berichtet. Sie forderte Twitter-User:innen auf Hasspostings verstärkt an die Plattformen zu melden. Nocun äußerte Verständnis dafür, dass sich Nut­ze­r:in­nen aus den Social-Media-Kanälen zurückziehen. Auch sie hat ihre Tweets und Posts reduziert, doch „will den Hatern nicht das Feld überlassen“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.