Das Nordfriisk-Instituut in Bredstedt: Die Dialekt-Retter

Das Nordfriisk-Instituut in Bredstedt erforscht Dialekte, kulturelle Eigenheiten und „Mentalität“ der Friesen. Wobei sich die nur grob umreißen lässt.

Eingang der Nordfriisk-Instituut in Bredstedt

Hat die Friesen endlich vereint: das Nordfriisk-Instituut in Bredstedt Foto: Nordfriisk Instituut

BREDSTEDT taz | Es ist kaum zu glauben: Da sind sie schon so wenige, und dann leisten sie sich massig Varie­täten: die Friesen, in Nord-, West- und Ostfriesen nur unzureichend unterteilt – wobei die in den Niederlanden lebenden 450.000 Westfriesen die größte einheitliche Sprechergruppe bilden. Während Ostfriesisch ganz ausgestorben ist, hat jede nordfriesische Gegend ihren eigenen Dialekt: Amrum, Sylt, Helgoland, Föhr, die Halligen, das Festland.

Das ist auf den Inseln und im durch viele – einst schwer überwindbare – Wasserströme gegliederten Marschland durchaus erklärlich. Und die Gemeinden im emsländischen Saterland, die das alte Ostfriesisch bewahrt haben, waren von Mooren umgeben und gleichfalls unzugänglich. Da gedeiht Sprache eigenständig und eigenwillig.

Erforscht wird das alles am Nordfriisk-Instituut in Bred­stedt, dessen Leiter seit vier Jahren der gelernte Archäologe Christoph Schmidt ist. Er setzt auf Erforschung und Beförderung der Sprache, „denn das ist es, was die Friesen eint, darum sammeln sich die Friesen.“ Obwohl es ein „Hochnordfriesisch“, das alle mittragen würden, nicht gibt, sondern nur besagte Dialekte. „Wenn wir ein Buch auf Sylter Friesisch herausgeben, wird es auf dem Festland nicht gekauft und umgekehrt“, sagt er.

Um möglichst vielen Facetten gerecht zu werden, hat das Institut in den letzten Jahren Wortbildungs-Handbücher mehrerer friesischer Dialekte herausgegeben, um der Sprache wiederzugeben, was ihr jahrhundertelang fehlte: die Verschriftlichung. Da Friesisch immer die Sprache der Fischer und Bauern, aber nie Kirchen- oder Amtssprache war – das waren Platt- oder Hochdeutsch – wurde es in Schulen nicht gelehrt. Die Spre­che­r*in­nen konnten ihre Sprache also weder schreiben noch lesen.

Friesische Literatur erst im 19. Jahrhundert

Erst im 19. Jahrhundert erschien erste Literatur auf Friesisch, begannen Wanderlehrer mit selbst geschriebenen Lehrbüchern umherzuziehen. Bis heute würden Unterrichtsmaterialien aus Kostengründen von Lehrerinnen und Lehrern selber erstellt oder im Landesauftrag aus dem Plattdeutschen übersetzt und von Ehrenamtlern korrigiert, sagt Schmidt.

Dabei hätten viele heutige junge Eltern das Friesisch nicht von ihren Eltern gelernt, denn in den 1960ern, 70ern und 80ern wurde davon abgeraten. Zweisprachigkeit galt als Gefahr, eine nicht hochdeutsche Muttersprache als potenzieller Makel. Das Interesse sei heute bei Eltern und Kindern aber grundsätzlich da, sagt Schmidt. „Um das in echte Nachfrage umzusetzen, bräuchte man Angebote, die motivieren: hochwertiges Unterrichtsmaterial, vollwertigen Unterricht sowie Lehrerstunden, die nicht zulasten anderer Fächer gehen.“

„Bisher wird Friesisch fast ausschließlich in Grundschulen gelehrt, und auch nicht kontinuierlich, sagt Schmidt. „Das zu ändern, ist ein Ziel meiner Lobbyarbeit in der Politik.“ Auch das Nordfriisk-Instituut selbst bekommt erst seit zehn Jahren eine verstetigte Finanzierung durch Land und Bund. Heute firmiert es als An-Institut der Europa-Universität Flensburg, wo die Institutsmitarbeiter auch unterrichten.

Entstanden ist das Institut aus einem Verein, der sich 1948 gründete, um die Debatte um das Friesische zu versachlichen und sich vom Klischee des vom NS-Regime propagierten blonden, blauäugigen, „arischen“ Friesen zu befreien. Man versuchte, „die ideologische Vereinnahmung der Friesen im Dritten Reich durch eine politisch wie national neutrale, streng wissenschaftliche Arbeit zu friesischer Sprache, Geschichte und Kultur zu überwinden“, steht auf der Homepage.

Erst seit zehn Jahren stabil finanziert

Geld für ein Nordfriesisches Institut werde es aber nur geben, wenn die jahrhundertealte innerfriesische Spaltung in „Deutsche“ und „Dänen“ überwunden werde, sagten die Regierungen beider Länder, als junge Wissenschaftler darum ersuchten. „Das muss eine mühsame Pendeldiplomatie von Verein zu Verein gewesen sein“, sagt Schmidt.

1965 schließlich wurde das Institut eröffnet. Aus der Laienbewegung war eine wissenschaftliche Einrichtung geworden. „Wobei wir die Balance halten müssen zwischen Elfenbeinturm und Populärwissenschaft, denn wir müssen relevant bleiben für die, die uns tragen – etwa für den Verein mit rund 850 Mitgliedern“, sagt Schmidt. Die jüngst edierten sprachwissenschaftlichen Bücher müssen daher auch für Laien verständlich sein und heißen „Gebrauchsgrammatiken“.

Dabei sind es Pionierarbeiten. „Da haben sich Wissenschaftler mit Muttersprachlern getroffen, Tonaufnahmen gemacht, verschriftlicht und Aussprache und Grammatik mit älteren Vorlagen verglichen“, sagt Schmidt. Und unter den Einsendungen des Institut-Erzählwettbewerbs „Ferteel iinjsen!“ („Erzähl doch einmal“), den der NDR zusammen mit dem Institut organisiere, seien immer wieder Dialekte, „von denen wir glaubten, dass sie nur noch wenige und sehr alte Menschen sprechen“, sagt Schmidt.

Auch im „Futurum“, einer interaktiven Ausstellung im Institut, geht es bodenständig zu: Beim Karaoke kann man Friesisch üben, anderswo ertasten, aus welchen Materialien Friesenhäuser bestehen. Man kann aber auch in die 15.000 Bände fassende Präsenzbibliothek oder ins Institutsarchiv gehen und die Nachlässe nordfriesischer Forscher und Kulturschaffender sichten.

Wirtschaftsgeschichte im Miniformat bieten etwa die Koogsbücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert – Verrechnungsbücher, in denen steht, wie viel man welchem Landarbeiter gezahlt hat, zu welchem Preis die eigenen Produkte auf dem Markt weggingen oder welche Tiere angeschafft wurden. Spannend auch die Unterlagen eines Vaters, der 1920, nach der Teilung Schleswigs, lange versuchte, ein Visum für den Besuch bei seiner erwachsenen Tochter im nun dänischen Landesteil zu bekommen.

Friesische Migration war immer ein Thema

Wobei Aufbruch und Migration für die Nordfriesen immer Thema war: Nach der Sturmflut von 1634, der „Groten Manndränke“ heuerten viele, die ihr Land verloren hatten, auf niederländischen Schiffen an. Auch im 19. und 20. Jahrhundert flohen etliche vor Armut, Weltwirtschaftskrise, dem NS-Regime, meist in die USA. Etliche blieben, einige kehrten zurück – wie jenes Ehepaar, das den „Manhattan“ nach Föhr brachte. Dieser New Yorker Cocktail ist inzwischen Föhrer „Nationalgetränk“. Nur wenige wissen noch, warum.

Umso interessierter sind die Nachfahren der USA-Auswanderer: „Wir bekommen immer wieder Anfragen von Menschen, die uns fragen, ob wir etwas über ihre Familie wissen oder sagen können, wer wann auf welchem Schiff ausgewandert ist“, berichtet Schmidt.

Oft kann das Institut helfen. Denn seit 1994 gibt es dort das Nordfriesische Auswanderer-Archiv mit Dokumenten zu rund 5.000 Übersee-Auswanderern aus Nordfriesland. „Man sieht, Friesen sind keineswegs so stur wie ihr Ruf“, sagt Schmidt. „Ich habe den Eindruck, aus der Tradition der ‚friesischen Freiheit‘, möglichst viele Dinge selber zu regeln, folgt ein gewisser Hang zur Anarchie. Der es manchmal nicht leicht macht, aber mir doch ziemlich sympathisch ist.“

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