Das ausgetrocknete Flussbett der Dreisam bei Freiburg

Foto: Andree Kaiser

Austrocknung der Flüsse:Wo nichts fließt, kann nichts leben

Der Fluss Dreisam in Baden-Württemberg fällt immer früher trocken, das Ökosystem kollabiert. Die Klimakrise droht das Erreichte hinfällig zu machen.

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28.7.2022, 13:42  Uhr

Es fällt schwer, das Rinnsal als Fluss zu bezeichnen. Go with the flow? Nicht in diesem Sommer an der Dreisam. Dabei leitet sich der Name des knapp 30 Kilometer langen Flusses im Breisgau vom keltischen Wort „tragisamā“ ab, was so viel wie „die Schnellfließende“ bedeutet. Hier draußen, nordwestlich von Freiburg, fließt nichts. Mehr Steine als Wasser. Nur bei genauem Hinschauen ist leichte Bewegung zu erkennen. Ganz langsam rinnt das, was von der Dreisam übrig ist, in Richtung Rhein.

Cargohose, Trekkingsandalen, eine etwas zu locker sitzende Cap: Nikolaus Geiler, den alle nur Nik nennen, weiß, seit er 14 Jahre alt ist, dass er im Gewässerschutz arbeiten möchte. Das war Anfang der 70er Jahre. Heute ist er der Experte, den Naturschutzverbände anrufen, wenn es um Binnengewässer geht. Er zieht seine beigen Sandalen aus und geht barfuß in das Flussbett hinein.

Einen runden, glatten Stein bringt er mit ans Ufer und zeigt auf ein kleines Insekt. Es schlängelt sich über die feuchte Oberfläche. „Eine Eintagsfliegenlarve“, erklärt Geiler. Die brauche vor allem kühles Wasser mit hohem Sauerstoffgehalt. Ist es so heiß wie an diesem Dienstag, geht den Tierchen „die Puste aus“, so formuliert es der Limnologe. Steigen die Temperaturen im Wasser, sinkt die Löslichkeit von Sauerstoff.

Das Rinnsal, das sich mit Mühe seinen Weg durch das Flussbett bahnt, erhitzt sich an Hitzetagen schnell. Für die Larven stehen die Überlebenschancen schlecht. „Bei bestimmten Steinfliegenlarven dauert der Entwicklungszyklus bis zum geflügelten Insekt drei Jahre“, weiß Geiler. 2018 war ein Dürrejahr, die zwei darauffolgenden Jahre waren mindestens genauso trocken. „Letztes Jahr war es etwas besser, aber das reicht nicht“, sagt er. Geht es so weiter – und daran bleibt wenig Zweifel – wird wohl kaum eine Larve jemals in den Genuss des Fliegens kommen.

Keine Insekten heißt: weniger Nahrung für andere Flussbewohner wie Bachstelze, Wasseramsel und Wasserfledermaus. Nur eine der vielen Auswirkungen der Trockenheit auf das Ökosystem.

Die mysteriöse Geschlechtswandlung

Rechts und links folgen kleine Wege dem geraden Verlauf des Flusses. Nik Geiler erzählt – und eine Fahrradklingel läutet. Er macht den Weg frei, redet weiter, die nächste Radfahrerin saust vorbei. Radeln zwischen Fluss, Feldern und Weiden mit Kühen. Wie idyllisch! Schade nur, dass der Fluss keiner mehr ist, das Gras vor Trockenheit pikst und die Kühe müde in der Ecke liegen. Auch ihnen muss heiß sein.

Damals wollte Geiler noch Rundfunkingenieur werden, bis er in der Zeitung las, Fische in der Themse hätten ihr Geschlecht geändert. „Im Industriekurier stand das.“ Der Mann mit der eckigen Metallbrille erinnert sich an Details, dabei liegt das Ereignis mehr als 50 Jahre zurück. Die Erklärung der mysteriösen Geschlechtswandlung fand sich im Abwasser. Die Antibabypille, die in den 60er Jahren auf den Markt kam, führte dazu, dass männliche Fische zunehmend „feminisierten“. Durch Urin gelangten die Hormone über das Abwasser in den Fluss. „Das fand ich so spannend, dass ich Limnologie studieren wollte“, sagt Geiler.

Limnologie ist die Wissenschaft der Binnengewässer und ihrer Ökosysteme. Seit Abschluss des Studiums arbeitet Geiler freiberuflich. Er ist eher zurückhaltend, redet erst, wenn er mit Fragen dazu aufgefordert wird. „Ich habe Gutachten ausgestellt und solche Dinge. Ich schrieb wissenschaftsjournalistische Texte, leitete Fortbildungen und Ausbildungen von Gewässerschutzbeauftragten. Und ich habe einen kleinen Lehrauftrag an der Uni“, zählt er seine Tätigkeiten auf.

Portait von Nik Geiler

Der Limnologe Nik Geiler, 69, interessiert und engagiert sich Zeit seines Lebens für die Dreisam Foto: Andree Kaiser

Tippt man seinen Namen in die Suchmaschine ein, wird klar: Spricht Nikolaus Geiler von sich, untertreibt er. „Eine der wichtigsten und herausragendsten Personen der Freiburger Umwelt- und Naturschutz-Aktiven ist Nik Geiler“, ehrte ihn der BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein im Jahr 2017. Nicht zuletzt, weil er klare Worte finde. Damit macht er sich nicht immer beliebt. Ob er sich als Aktivist bezeichnen würde? Manchmal wartet Geiler, bis er spricht, diesmal antwortet er direkt. „Auf jeden Fall.“ Pause. „Weil wir die letzten Jahrzehnte ganz viele Aktionen zum Gewässerschutz gemacht haben.“ Wenn Geiler „wir“ sagt, meint er den Arbeitskreis Wasser vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz.

„Herr Geiler ist unser größter Kritiker“, sagte ein Vertreter des Umweltschutzamtes Freiburg über ihn. Als er das hört, schmunzelt er in seinen grauen Bart hinein. Er kann sich schon denken wieso. „Die setzen zu wenig Man Power in die Hochwasser- und Starkregenvorsorge“, antwortet er. Er wird nicht müde, das Thema anzusprechen. Das Umweltschutzamt meint: Die Hochwassersicherheit ist gegeben. Nik Geiler weiß: Regnet es in Freiburg jemals so viel wie vor einem Jahr im Ahrtal, ist die Stadt nicht vorbereitet. „Man kann es nicht verhindern, man muss einen Plan für Evakuierungen in der Schublade haben“, sagt er.

Da ist kaum etwas, was Nik Geiler nicht über seinen Fachbereich weiß. Sein Leben lang beobachtet er schon die Dreisam. Politiker:innen, Behörden und Ämter wollen seine Meinung hören. Aber sie entscheiden ohne ihn.

Pfützen unter der Brücke

„Der Herr Geiler, der kann ein unangenehmer Typ sein. Wenn’s scheiße ist, sagt er, dass es scheiße ist“, sagt Biologe und Angler Ingo Kramer. Die Männer kennen sich schon lange. Kramer ist Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes Baden-Württemberg und teilt Geilers Meinung: Der Fluss muss als Lebensraum für zahlreiche Arten erhalten bleiben. Kramer steht mit einem Plastikeimer im trockenen Flussbett. Hier, noch nördlicher entlang der Dreisam, ist der Fluss komplett trockengefallen. Die Vertiefung, durch die sonst literweise kühles Wasser strömt, gleicht jetzt nur noch einem Schotterweg in der prallen Sonne. 37 Grad Celsius zeigt die Wetter-App auf dem Smartphone, der bisher heißeste Tag des Jahres.

Pfützen unter einer Autobrücke sind der einzige Hinweis darauf, dass hier einmal Wasser floss. Es riecht leicht modrig. Bewegt sich da etwas? In einer der Wasserlachen tummeln sich Dutzende kleiner Fische. Hektisch schwimmen sie hin und her. Dreißig Zentimeter in die eine Richtung, umdrehen und wieder zurück. „Fische sind wechselwarme Tiere“, erklärt Kramer. Je wärmer das Wasser, desto aktiver werden sie und desto höher ihr Sauerstoffbedarf. „In zwei bis drei Tagen sind die hinüber“, schätzt der Biologe. Er sagt hinüber, meint: tot. Kein Sauerstoff mehr. Erstickt sozusagen. „Es ist fatal, was da alles verreckt und elendig vertrocknet.“

Kramer holt ein Thermometer aus dem Eimer. Ein schwarzes Gerät mit zwei Reglern, an einer Art Kabel hängt ein Messstab. Etwa 200 Meter von der Brücke entfernt plätschert Wasser aus einem Bachzufluss in die ausgetrocknete Dreisam und an der anderen Uferseite wieder raus. Es sieht aus, als wolle der kleine Bach den großen Fluss wieder befüllen. Die Erfolgschancen stehen ungefähr so gut wie beim Versuch, einen Großbrand mit nur einem einzigen Feuerlöscher zu bändigen.

Ingo Kramer schmeißt den Messstab des Thermometers in eine Wasserlache. Dort, wo das Bachwasser einströmt, steht 23,0 auf der digitalen Anzeige. Das sei recht kühl, für viele Fische eine gute Temperatur. Ein letzter Pool mit Kaltwasser, in den sich die überlebenden Tiere flüchten. Der Großteil erlag schon der Dürre oder landete in den Mägen von Fischreihern und Mardern. Kramer läuft durch das Becken zu einer anderen, flacheren Stelle und wiederholt den Vorgang. 35,2 Grad Wassertemperatur misst er. Er zückt sein Handy und fotografiert die Zahl. „Morgen ist das hier auch trocken“, sagt er und deutet auf die Stelle mit dem warmen Wasser. „Es ist erschütternd, diese Fische in irgendwelchen Pools, Kolken und Gumpen zu sehen und genau zu wissen: Die kommen da nicht wieder raus.“

Die Anglervereine versuchen, so viele Fische wie möglich zu retten, sie mit Keschern abzufischen und an anderer Stelle wieder ins Wasser zu setzen. „Stressmäßig geben wir denen damit den Rest“, sagt Kramer. Immer wieder rufen Menschen verzweifelt an, die Fische in Not gesehen haben. Ob man die nicht retten könne? Ingo Kramer zuckt ratlos mit den Schultern. „Wo sollen wir die denn hinbringen? Da oben irgendwo in die Bäche setzen macht überhaupt keinen Sinn, das ist nicht deren Lebensraum. Und außerdem gibt es da schon Fischbestände“, sagt er.

So einfach lassen sich die Folgen der Dürre nicht mehr abfedern. Der Biologe Kramer spricht immer wieder von Resilienz. Ein naturbelassenes Ökosystem ist resilienter, kann also Dürrephasen besser überstehen. Über die letzten drei Jahrhunderte wurde die Dreisam begradigt, verengt und umgeleitet. Hauptsächlich, um Fläche für Landwirtschaft und Wohnraum zu gewinnen. Der Fluss schlägt keine Schlingen mehr. Westlich von Freiburg verläuft er fast geradlinig. Kramer sagt dazu nur noch „Canale Grande“ ­– großer Kanal.

Alles wird zurückgedreht

Vor einigen Jahren setzte die Stadt eine Renaturierungsmaßnahme für die Dreisam um. Ein Teil des Flusses im Osten von Freiburg wurde verbreitert, ein Seitenarm hinzugefügt. Einer der Erfolge von Geilers Aktivismus. Nur leider hält sich der positive Effekt auf das Ökosystem nicht ewig. „Alles wird durch den Klimawandel zurückgedreht“, sagt er. „Das ist die Tragik der Klimakrise. Sie ist kontraproduktiv zum Gewässerschutz.“ Schlimmer seien die Auswirkungen natürlich weltweit, das wisse er auch. „Im Vergleich zu Dritte-Welt-Ländern sind das Luxusprobleme, die wir hier haben.“

Der 69 Jahre alte Geiler bewegt sich mit der Straßenbahn und einem Cityroller fort. Nicht mit einem der neumodischen E-Roller, wie sie mittlerweile in fast jeder deutschen Großstadt am Straßenrand stehen. Nein, Geiler fährt einen Metallroller mit neongelben Rädern, wie ihn sonst meist Grundschü­le­r:in­nen besitzen. Er stößt sich kräftig mit seinem linken Bein ab, schwingt es angewinkelt nach hinten und setzt den Fuß erneut auf den Asphalt. Einmal rollt er einen Hügel herunter, die Cap fliegt von seinem Kopf. In diesen Momenten wirkt der Mann, der seit Jahren gegen die Zerstörung der Natur ankämpft, unbeschwert. Als hätte das alles nichts mit ihm zu tun.

Nik Geiler ist Limnologe, Aktivist und Kleingärtner. Im Westen Freiburgs hat er einen Schrebergarten gepachtet. Normalerweise fließt ein Gewerbekanal, gespeist von der Dreisam, durch die Stadt, von dem sich Unternehmen Kühl- und Klein­gärt­ne­r:in­nen Gießwasser abpumpen. Auch die für Freiburg typischen „Bächle“ erhalten ihr Wasser aus dem Kanal. Der liegt jetzt trocken. Mit dem Verein Regiowasser setzte Geiler sich für ein Niedrigwasser-Reglement ein, das in Trockenphasen der Dreisam mehr Wasser zubilligt. „Insofern bin ich selbst Leidtragender unserer Gewässerschutzaktivitäten“, sagt Geiler und lacht.

Dieses Jahr sei die Wasserzufuhr zum Gewerbekanal schon viel früher abgedreht worden, erzählt Andrea Utz. Unangekündigt. Auch sie hat einen Kleingarten in der Anlage. Ersatz sollen zwei große Wasserkanister bieten, aus denen je­de:r sich Gießwasser abzapfen kann. In der Theorie.

An diesem Dienstag um 11:13 Uhr sind sie leer. „Man weiß auch nie, wann die Kanister wieder gefüllt werden. Das macht eine externe Firma. Die kommen mal am Donnerstag, mal am Freitag, mal um elf und mal um vier“, sagt Utz. Planen könne man damit nicht. Das Wasser reiche auch nicht für alle Gartenbesitzer:innen. Utz stellt ihren Garten mittlerweile auf mediterrane Sorten um. „Ich mache jetzt halt einfach Rosmarin- und Salbeipestos, weil die Pflanzen kaum Wasser brauchen“, sagt sie und lacht.

Die Wasserknappheit sorgt für Unmut, weiß Nik Geiler. Die Nutzungskonflikte nehmen zu. In der Landwirtschaft, in der Trinkwasserversorgung und eben in der Kleingartenanlage. „Wenn die Leute sehen, dass ihre Paprika vertrocknet, die sie so liebevoll gepflegt und wochen-, monatelang gewässert haben und dann gibt es auf einmal kein Wasser mehr. Da ist man natürlich total enttäuscht“, sagt er. „Man idealisiert ja immer so Schrebergartengemeinschaften, aber tatsächlich gibt es da gerade keine große Harmonie.“

Die kleine Wasserkraft meutert

Einer, den die Wasser-Agenda der Um­welt­schüt­ze­r:in­nen besonders nervt, ist Michael Wagner. Er besitzt ein kleines Wasserkraftwerk an der Dreisam. „Die meinen, wir müssten zu 120 Prozent alles wieder zurück in den natürlichen Zustand bringen, das geht halt nicht. Wir sind eine Konsumgesellschaft. Wir brauchen den Strom“, regt er sich auf. Immer, wenn er „die“ sagt, deutet er auf Nik Geiler, der neben ihm im efeubewachsenen Häuschen der Anlage steht. „Ich bin in vielen Dingen mit ihm sicherlich auf einer Linie. Nur ich muss Kompromisse machen“, sagt Wagner. Er ist ein großer Mann, überragt Geiler um fast zwei Köpfe.

Geiler und Wagner, sie stehen sinnbildlich für den Interessenkonflikt an der Dreisam. Naturschutz gegen wirtschaftliche Nutzung. Als Michael Wagner den Bau seiner Wasserkraftanlage plante, musste er sein Vorhaben vom Gemeinderat absegnen lassen. Er wendet sich wieder an Geiler. „Sie haben damals im Umweltausschuss eine Stellungnahme dazu abgegeben. Wissen Sie gar nicht mehr, oder?“ Nik Geiler lacht, sagt nur „Nee“. Auf einmal holt Wagner seine lederne Geldbörse aus der Hosentasche. „Hier“, er klappt sie auf, zieht einen zusammengefalteten Zettel heraus. Ein zerfledderter Brief, datiert auf den 2. April 2013. „Den habe ich dabei. Da haben Sie dagegen gehetzt – das können Sie sich nicht vorstellen!“, sagt Wagner. Nik Geiler sagt nichts. In dem Brief positionierte er sich gegen die kleine Wasserkraft.

Ein Teil von Wagners Frust rührt daher, dass seine Wasserkraftanlage zu den moderneren und umweltfreundlicheren zählt. Anstatt einer Turbine dreht sich eine große Schraube, die Wasserkraftschnecke. Anstatt eines Querbaus steht die Anlage seitlich am Fluss, die Fische können durch einen Bypass vorbeischwimmen. Warum sollte seine Anlage also nicht weiterlaufen dürfen? „Natürlich, man kann sagen: Was soll dieses kleine Ding? Das trägt doch nur einen minimalen Teil zur regenerativen Energie bei. Aber Kleinvieh macht Mist!“, verteidigt Wagner die kleine Wasserkraft.

Nik Geiler sieht es differenziert. Ja, Wagners Anlage ist eine Ausnahme. Die etwa 7.000 Kleinkraftwasseranlagen in Deutschland seien aber nicht alle so. „Die sind teilweise uralt. Die gehören eigentlich ins Technikmuseum wegen des schlechten Wirkungsgrads“, sagt er. „Da gibt es auf beiden Seiten Dogmatiker – ich denke, ich bin keiner. Es ist eine CO2-arme Energie, aber geht in den meisten Fällen auf Kosten der Gewässerökologie.“

Die Umweltverbände versuchen seit Jahren, die staatliche Förderung der kleinen Wasserkraft zu stoppen. Zu umweltbelastend seien die Turbinen, die Schnecken, die Querbauten. Fische können den Fluss nicht mehr auf- und abwandern. „Die Fische, die durch die erste Turbine noch lebendig durchgekommen sind, werden spätestens in der zweiten, dritten oder vierten gehäckselt“, erklärt Geiler das Problem. „Verteidiger der Wasserkraft unterschätzen die kumulative Wirkung.“ Fast erreichten die Verbände ihr Ziel, im letzten Moment wurde die Passage dann aber doch aus der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) gestrichen. Kleine Wasserkraft wird vorerst weitergefördert. „Für uns wäre das existenzbedrohend gewesen“, sagt Wagner.

Nachwuchsprobleme

Mindestens genauso lange wie den Brief trägt Michael Wagner den Groll mit sich. „Ich habe das für eine Unverschämtheit gehalten“, sagt er. „Das war für mich menschlich so niederschmetternd.“ Bei dem Konflikt geht es schon lange nicht mehr nur um die Frage: Brauchen wir Wasserkraft oder nicht? Wagner ist anzumerken, dass der Zwist ihm nahegeht. „Man muss was zu tun haben“, sagt er etwas leiser. „Wenn man aktiv ist, wird man nicht so schnell alt. Ich bin 74. Wenn ich andere sehe, die lassen sich hängen und sitzen nur so auf der Couch rum.“

Wagner möchte unbedingt weitermachen, Geiler bald aufhören. Er sitzt im Schatten und wartet auf die Straßenbahn. Sein Roller steht neben ihm. Ab nächstem Jahr will er seine Tätigkeiten im Gewässerschutz beenden. Bald wird er 70. „Dann kümmere ich mich nur noch um meinen Schrebergarten“, sagt er. Er habe so viele Ideen für den Garten, aber auch für sein Haus in Freiburg. Da ist sie wieder, die Unbeschwertheit. Wer könnte der nächste Nik Geiler sein? „Gibt’s nicht“, sagt er. „Ich bin sozusagen ein lebendes Fossil.“ Menschen, die ihr Leben der einen Sache verschreiben, die gebe es nicht mehr. „Es gibt Praktikanten, die sich ein paar Monate reinhängen, dann sind sie wieder weg.“

In Nik Geiler vereint sich fachliches Wissen mit politischem Engagement. Diese Mischung gebe es nicht mehr oft. Zumindest im Gewässerschutz sieht er eher ältere Menschen in den Arbeitskreisen, Menschen wie ihn. Warum? Andere Zeiten, vermutet er. „Und dann die Verschulung des Studiums. Zumindest sagen viele Studis, dass sie gar keine Zeit dazu haben“, sagt Geiler. Er schenkt sich kühles Wasser aus der Thermoskanne ein. „Das ist ein Riesenproblem für die ehrenamtlich arbeitenden Umweltverbände. Die leiden unter Vergreisung.“ Jüngere Menschen seien eher im hauptamtlichen Apparat der Verbände tätig, sagt Geiler.

Die BUND Jugend zählte im vergangenen Jahr 84.357 Mitglieder – eine Steigerung zu den vorherigen drei Jahren. Jedoch scheint die Nische Gewässerschutz die junge Generation im Vergleich zu großen Themen wie Klima oder Mobilität tatsächlich nicht sehr anzusprechen. Vielleicht, weil sie ein Teil des großen Ganzen ist, die Brennpunkte zu viele sind, um sie alle einzeln zu adressieren.

Geiler macht den jungen Leuten trotzdem keinen Vorwurf. „Man kann nichts dagegen tun, es ist einfach so. Die Zeiten sind inzwischen völlig anders. Ich habe keinen Groll auf die jüngere Generation, ich sehe eher mit großen Sorgen in die Zukunft, die ihnen bevorsteht.“

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