Revisionsverhandlung zu Mordurteil: Der lange Kampf der Familie Lübcke

Ab Donnerstag verhandelt der Bundesgerichtshof über die Revisionen zum Mordurteil im Fall Walter Lübcke. Seine Familie hofft auf einen neuen Prozess.

Die Witwe des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, Irmgard Braun-Lübcke, kommt mit ihren Söhnen in den Gerichtssaal

Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe von Walter Lübcke, und ihre Söhne im Ober­landes­gericht Frank­furt/Main 2021 Foto: Kai Pfaffenbach/reuters/picture alliance

BERLIN taz | Am Donnerstag wird auch die Familie Lübcke in Karlsruhe beim Bundesgerichtshof sein. Dann, wenn erneut über die Ermordung ihres Ehemanns und Vaters Walter Lübcke verhandelt wird, im Revisionsverfahren. Und die Familie hat eine Hoffnung: die Aufhebung des Freispruchs für den Mitangeklagten Markus H. und einen neuen Strafprozess.

Schon den ersten Prozess zum Mord an Walter Lübcke hatte die Familie vor Ort begleitet, fast keinen Verhandlungstag verpasst. In der Nacht zum 1. Juni 2019 war der CDU-Politiker und Kasseler Regierungspräsident auf der Terrasse seines Hauses erschossen worden. Verurteilt wurde dafür im Januar 2021 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main der Rechtsextremist Stephan Ernst zu lebenslanger Haft, mit besonderer Schwere der Schuld. Sein einstiger Kumpel und Mitangeklagter Markus H., der Ernst zur Tat angestachelt haben soll und laut dessen Aussage sogar mit am Tatort war, wurde dagegen freigesprochen und nur wegen eines Waffenverstoßes verurteilt.

Die Lübckes hatten den Freispruch schon damals kritisiert und Revision eingelegt. Aufgrund „einer Vielzahl an Indizien“ sei man überzeugt, dass Markus H. den Mord mit vorbereitete und gemeinsam mit Ernst in der Tatnacht ausführte, erklärt die Familie aktuell über ihren Sprecher. Das Gericht sei diesen Indizien nicht ausreichend nachgegangen oder habe sich über diese „hinweggesetzt“, weshalb „zentrale Fragen zum Tathergang ungeklärt blieben“. Der genaue Ablauf des Mordes und die Rolle von Markus H. treibe die Familie aber weiter um. Mit der Aufhebung seines Freispruch und einem neuen Prozess hoffe man doch noch auf „restlose Aufklärung“.

Bundesanwaltschaft und Nebenklage sehen Rechtsfehler

Und auch die Bundesanwaltschaft hatte hier Revision eingelegt. Sie hatte Markus H. für Beihilfe zum Mord zu fast zehn Jahren Haft verurteilen wollen. In ihrer Revisionsbegründung wirft sie dem Oberlandesgericht nach taz-Informationen vor, an den Beihilfevorwurf „zu hohe rechtliche Anforderungen“ gestellt zu haben. So sei unverständlich, warum der Senat nur den Aussagen von Ernst zu seinen eigenen Tatbeiträgen glaubte, nicht aber denen zur Rolle von Markus H. Dessen rechtsextreme Ideologie und Schießtrainings mit Ernst habe das Gericht nicht ausreichend gewürdigt.

Tatsächlich bewegte sich auch Markus H. schon in den Neunzigern in der rechtsextremen Szene, beteiligte sich noch 2018 an einem rechten Großaufmarsch in Chemnitz. Ermittler fanden bei ihm NS-Devotionalien und eine Zyklon-B-Dose als Stifthalter. Zudem stellte der Waffennarr eine verkürzte Videosequenz online, in der Lübcke 2015 auf einer Bürgerversammlung Geflüchtetenfeinde kritisierte. Ernst begründete seinen Mord vor allem mit diesem Auftritt Lübckes. Auch Markus H. soll einer Freundin danach gesagt haben, Lübcke müsste man dafür „erhängen“. Für das Oberlandesgericht aber blieben Zweifel, ob H. wirklich den Mordplan bestärkte. Und Markus H. schwieg im Prozess, verfolgte diesen grinsend und vertreten von zwei Szeneanwälten.

Die Bundesanwaltschaft will zudem, dass Ernst auch tatsächlich für viele Jahre im Gefängnis bleibt. Denn das Gericht hatte neben der lebenslangen Haftstrafe, die mindestens 15 Jahre Haft bedeutet, eine anschließende Sicherungsverwahrung nur vorbehaltlich ausgesprochen. Die Bundesanwaltschaft will diese aber fest verhängt wissen. Ernst wiederum will diese dagegen ganz loswerden und auch nur wegen Totschlags verurteilt werden, nicht wegen Mordes. Auch er hatte deshalb Revision eingelegt.

Doch auch noch Verurteilung für Messerangriff?

Die Bundesanwaltschaft fordert zudem, dass Ernst auch für eine zweite Tat verurteilt wird: einen Messerangriff auf den irakischen Geflüchteten Ahmad I. von 2016, in der Nähe seines Hauses. Die Tat blieb lange unaufgeklärt, bis Ermittler bei Ernst ein Messer mit DNA-Fragmenten von I. fanden. Das Gericht sah aber auch diese Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Die Bundesanwaltschaft sieht hier ebenso Rechtsfehler und betont, dass noch weitere Indizien „in ihrer Gesamtheit auf den Angeklagten Ernst als Täter deuten“.

Auch Ahmad I. hatte Revision eingelegt. Das Gericht habe die Indizien falsch bewertet, sagt auch sein Anwalt Alexander Hoffmann. „Wenn man alle Punkte zusammennimmt, ist glasklar, dass Ernst der Täter auch des Messerangriffs war und dafür verurteilt werden muss.“

Über all das soll nun am Donnerstag vor dem Bundesgerichtshof verhandelt werden. Eine Entscheidung soll erst am 25. August fallen.

Die Familie Lübcke kämpft derweil auch außerhalb des Gerichtssaals weiter für das Vermächtnis des CDU-Politikers. Erst vor wenigen Wochen, zum dritten Todestag, verteilte Sohn Christoph Lübcke mit hessischen Po­li­ti­ke­r:in­nen verschiedener Parteien an gut 600 Bundestagsabgeordnete Kaffeebecher mit dem Porträt seines Vaters. Als „tägliche Erinnerung an das stete und selbstbewusste Eintreten für unsere freiheitlichen demokratischen Werte“, wie Lübcke erklärte. Dann stellte er sich mit den Par­la­men­ta­rie­r:in­nen vor den Bundestag, mit einem Plakat in der Hand: „Demokratische Werte sind unsterblich.“

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