Obdachlose in der Hitze: Schutzlos auf dem Asphalt

Der Sommer bringt obdachlose Menschen in Lebensgefahr. In Berlin organisieren Stadt und Vereine Angebote der Hitzehilfe. Doch das reicht nicht.

Die Sonne hinter dem Berliner Fernsehturm

Besonders Großstädte wie Berlin heizen sich im Sommer auf – und werden zur Gefahr für Menschen Foto: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Das mit der Hitzehilfe habe sich sofort herumgesprochen, sagt Artan Zeka. Und er klingt dabei selbst fast ein bisschen erstaunt. Zeka leitet die Mitte Juli in Berlin-Schöneberg eröffnete Anlaufstelle, mit der das Land Berlin obdachlosen Menschen tagsüber Schutz vor Sonne und Hitze bieten will.

„Schon am ersten Tag sind um die zwanzig Menschen gekommen, am zweiten Tag waren es schon mehr als dreißig“, sagt er. Das sei vor allem im Vergleich zur Kältehilfe im Winter auffällig. „Denn da dauert es nach unseren Erfahrungen immer etwa eine Woche, bis die Menschen den Weg zu uns finden.“

Der Tag, an dem Zeka gemeinsam mit Berlins Sozialsenatorin und den Leiterinnen des Trägers Internationaler Bund (IB) durch die Einrichtung führt, ist ein besonders heißer. Und einer, der verdeutlicht, wie wichtig Hitzehilfe für obdachlose Menschen ist. Genau wie Kälte kann auch die Hitze tödlich sein für Menschen ohne Obdach, konkrete Zahlen zu Hitzetoten unter Obdachlosen gibt es bislang nicht.

Schon am Morgen sind es um die 30 Grad, im Laufe des Tages wird die Temperatur in der Hauptstadt auf 38 Grad ansteigen. Für Menschen, die keine eigene Wohnung aufsuchen können, sei das durchaus eine lebensbedrohliche Gefahr, sagt Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke).

„Gerade dicht besiedelte Städte sind noch einmal ein besonderer Wärmespeicher, auch nachts kühlt es kaum ab“, sagt sie. „Wer obdachlos ist, kann sich nicht einmal mit einer kühlen Dusche oder einem kalten Fußbad Linderung verschaffen.“

Mobile Teams in Parks und unter Brücken

Das soll nun in Berlin-Schöneberg wenigstens für einige Menschen möglich gemacht werden. Die Unterkunft eröffnet erstmals im Rahmen eines Modellprojekts, Kipping erhofft sich daraus auch Erkenntnisse darüber, was die Menschen bräuchten. Dass sie damit nur wenige erreichen, ist ihr klar.

In Berlin sind neben der nun neu eröffneten stationären Unterkunft seit 2020 auch mobile Teams von der Sozialgenossenschaft Karuna im Rahmen der offiziellen Hitzehilfe unterwegs. Sie fahren mit Kleinbussen und Lastenfahrrädern viele der Plätze ab, an denen obdachlose Menschen ihre Zelte oder Matratzenlager aufgebaut haben – etwa unter Brücken, in Parks, am Rand des Landwehrkanals oder in der Nähe von S-Bahnhöfen und U-Bahnstationen – und verteilen Wasser.

Außerdem reagieren sie auf Anrufe bei der Hitzehotline: Eine Anwohnerin hat in der Nähe von Bellevue einen Mann gesehen, der wohl Wasser braucht. Arvid Meinicke und Michael Birchner sind an diesem heißen Julitag mit einem der drei Kleinbusse von Karuna im Westen der Stadt und machen sich auf den Weg.

Tatsächlich liegt ein Mann auf der Brücke hinter dem S-Bahnhof komplett in der Sonne, die Augen geschlossen. „Das gefällt mir gar nicht“, kommentiert Birchner. Mit einer 1,5-Liter Flasche Wasser und einem Wasserbeutel geht er auf den Mann zu, fragt ihn, ob alles in Ordnung sei, ob er etwas Wasser haben wolle.

Der Mann nimmt die Flasche und stellt sie neben sich. Eine Verständigung ist schwierig, er spricht weder Deutsch noch Englisch, erklärt aber, er komme aus Rumänien. Birchner meint, dass er gern an einem anderen Tag mit Sprachmittler wiederkommen würde, um ihn zu einem Arzt zu begleiten. Er notiert sich Zeit und Ort.

Schluck aus der Flasche

Während die beiden bei dem Mann stehen, kommt ein Nachbar mit einer weiteren Flasche dazu und bietet Wasser an. Der Mann stellt die Flasche neben die erste, nach etwas Hin und Her ist er auch bereit, von seinem Platz in der prallen Sonne etwas weiter in den Schatten des Brückenkopfes zu wandern.

Genau wie Kälte kann auch Hitze tödlich sein

Birchner und Meinicke machen sich wieder auf den Weg. Als der Karuna-Bus gerade anfährt, nimmt der Mann auf der Brücke einen Schluck aus der Wasserflasche. „So hat er eine gute Chance, dass er den Tag ohne Kopfschmerzen übersteht“, sagt Meinicke.

Theoretisch könnten sie auch Menschen in ihre Busse aufnehmen, die heißen offiziell Cooling Busse und sind klimatisiert. Doch in der Praxis komme das bisher kaum vor. Meinicke sagt, dass er den Menschen oft auch rate, zwischendurch in einen Supermarkt zu gehen, wenn es zu heiß werde.

Andere obdachlose Männer treffen sie auf ihrer Tour mit entblößtem Oberkörper an. Birchner fragt dann jedes Mal, ob sie noch ein Hemd dabei haben. Er kennt die Probleme obdachloser Menschen aus eigener Erfahrung. Neun Jahre habe er auf der Straße gelebt.

Über betreutes Wohnen sei er Schritt für Schritt zurück zu einer eigenen Wohnung gekommen und weg vom Alkohol. Vor knapp zwei Jahren hat er bei Karuna als Obdachlosenlotse angefangen, finanziert wird er über das solidarische Grundkeinkommen des Lands Berlin. „Ich kenne die Straße aus eigenem Erleben. Es ist genau der Job, den ich immer machen wollte“, sagt er. Und weiter: „Wir gucken, wo wir schnell und flexibel unterstützen können“, sagt Birchner. Wo sie nicht weiterkommen, informieren sie Sozialarbeiter*innen.

Fokus auf Hitze wegen Klimakatastrophe

Die Teams von Karuna sind nicht die einzigen, die Menschen auf den Straßen von Berlin unterstützen. Die Streetworker des Vereins Gangway Berlin etwa verteilen ebenfalls Wasser und Hygienebeutel, „ohne das jetzt groß Hitzehilfe zu nennen“, sagt der dortige Fachleiter für Straßensozialarbeit, Juri Schaffranek.

„Seit sich die Kli­ma­ka­tastro­phe bemerkbar macht mit längeren und heißeren Phasen haben wir darauf auch einen Fokus gelegt“, sagt er. Die Tageseinrichtung der Hitzehilfe findet er sehr sinnvoll, auch die Arbeit von Karuna lobt er. „Manchmal würde ich mir aber wünschen, dass wir uns untereinander besser absprechen, damit nicht einige Orte überversorgt sind, während andere vielleicht unter den Tisch fallen.“

Der Hansaplatz in Berlin-Mitte könnte so ein Ort sein, an dem viele Un­ter­stüt­ze­r*in­nen vorbeischauen. Birchner verteilt hier vier ­Wasserflaschen an die Menschen, die dort sitzen und Bier trinken. Einer der Männer freut sich fast noch mehr über die Pfandflasche als über das Getränk und fragt nach mehr, Birchner hat aber nur noch Wasserbeutel.

Die Beutel haben die Berliner Wasserbetriebe für die Hitzehilfe abgefüllt. Im Alltag erwiesen sie sich als nicht besonders praktikabel, weil das Wasser in einem Schwung rausschwappt, wenn man sie aufreißt. Die einzige Frau in der Runde legt sich einen Beutel an den Hals, um sich etwas abzukühlen. Ein Mann fragt nach Essen, Kleidung und einem Sommerschlafsack. Birchner sagt, dass sie heute nur Wasser dabei hätten, und verweist ihn an die Bahnhofsmission am Zoo.

Als er zurück zum Auto geht, folgt die Frau ihm. Sie brauche einen Ausweis, sagt sie. „Foto habe ich.“ Birchner bespricht mit ihr, wann er wiederkommen kann, um sie zur Behörde zu begleiten, und ob sie das Geld für die Ausweisgebühr hat. „Zwei Wohnungen habe ich verloren“, sagt sie. „Ich kann nicht mehr. All der Alkohol und so viel Streit immer.“ Sie hoffe, dass sie noch mal eine Chance bekomme.

„Weil wir hier regelmäßig unterwegs sind, kommen wir gut in Kontakt und können bei solchen Dingen helfen“, sagt Birchner, der auf der Tour fast alle mit Namen kennt. „Aus dieser Regelmäßigkeit entwickelt sich dann etwas.“ Am Ausweis hinge oft auch viel anderes, etwa Leistungen vom Amt. „Was wirklich helfen würde wäre aber Housing First“, sagt Birchner, also der bedingungslose Zugang zu einer Wohnung.

Angebot hat sich herumgesprochen

In Berlin gibt es auch dazu ein Modellprojekt, doch die begehrten Plätze sind begrenzt. „Wenn die Menschen erst einmal wieder eine Wohnung haben, dann haben sie vielleicht auch die Kraft, andere Probleme anzugehen“, sagt er. „Was auch gut wäre: Eine Anlaufstelle für obdachlose Menschen, die rund um die Uhr geöffnet ist. Mit Essen, Trinken, ärztlicher Versorgung, Duschen, Friseur und vielleicht sogar Zugang zu Ämtern.“ Dann müssten sie sie nicht immer auf den nächsten Tag oder die kommende Woche vertrösten.

So bleibt die akute Hilfe zusammengestückelt. An zwei Wochentagen etwa öffnet in Berlin die Taborkirche in Kreuzberg ihren Vorraum, um Schutz vor der Hitze zu bieten. Die Gemeinde leistet seit knapp zwanzig Jahren in den Wintermonaten auch einmal pro Woche Kältehilfe.

So lange ist auch Gemeindemitglied Wolfgang Rudolph dabei, der nun den Menschen Tee, Kaffee und belegte Brote anbietet. Auch dieses Angebot hat sich schon herumgesprochen. Eine Frau holt sich heißes Wasser für Instant-Nudeln und freut sich über einen Kaffee, das Brot nimmt sie sich für später mit.

„Ich sehe hier fast immer dieselben Leute“, sagt Rudolph. „Für diese Gruppe hat sich also in diesem langen Zeitraum fast nichts verändert. Das ist unfassbar für mich“, sagt er. In der Gemeinde könnten sie auch noch mehr machen – wenn sich weitere ehrenamtliche Hel­fe­r*in­nen finden würden.

Das Modellprojekt Hitzehilfe in Berlin gilt auf jeden Fall schon nach wenigen Tagen als Erfolg. Aufgrund großer Nachfrage plant der IB, seine Hitzehilfe nun auch in anderen Städten anzubieten.

In der Unterkunft in Schöneberg erhoffen sich die Mitarbeiter*innen, dass sie mit den Menschen über die akute Hilfe hinaus ins Gespräch kommen und vielleicht in der Zeit bis Ende Oktober ein paar Probleme lösen können. Denn die Zeit nach den heißen Sommertagen ist auf der Straße nicht weniger gefährlich.

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