„Ein Ersatz für die Love Parade“

Der CSD ist notwendig; der CSD ist ’ne freizeitmäßige Sache; der CSD bleibt auf der Stelle stehen – Meinungen von Leuten am Rande der CSD-Parade in Mitte und des „transgenialen CSD“ in Kreuzberg

Ein Polizist auf der Potsdamer Brücke entlang der Route des großen CSD:

„Ob der CSD noch zeitgemäß ist? Schon, aber ich frage mich, ob das so eine Parade sein muss. Ich frage mich auch, ob die Ehe noch zeitgemäß ist – darüber lässt sich auch streiten. Aber das hat ja alles mit Kultur und Kirche und Gesetz zu tun. Ich akzeptiere, was hier veranstaltet wird, weiß aber nicht, was sie bei denen, die anders denken, mit so einer Parade erreichen. Wie soll ich sagen? Man fühlt sich durch die Art, wie das hier abläuft, bedrängt. Ich sag ja auch nicht jedem, dass ich Hetero bin.“

Australierin, seit 25 Jahren in Berlin lebend:

„Eine politische Demonstration ist es nicht, aber als Fest notwendig. Es ist gut, dass Homosexuelle sichtbar werden, aber ich finde es schlecht, wenn der Kommerz dominiert. Leider sind auch die Lesben unterrepräsentiert. Aber besser als in Australien. Da muss jede Einzelne sich zum CSD-Umzug anmelden und sich einem thematischen Block zuordnen. Flugzeugbegleiterinnen, Polizisten, Lehrer und so. Ganz vorne laufen die Politiker.“

Jörg Steinhaus und Helge Hagen Hoffmann:

Im Hinblick auf die Wahl im Herbst und einen möglichen Rechtsruck ist es wichtig, dass man zeigt: Es gibt Alternativen. Es ist doch auch schwer, sich den konservativen Familienwerten anzunähern, wenn man nicht teilhaben kann. Die Konservativen werden nicht ausbauen, was Rot-Grün in die Wege geleitet hat, und Stillstand ist Rückschritt. Das macht den CSD wieder wichtig. Gut, er ist ein bisschen verkommen. Was politisch mit Steinewerfen angefangen hat, ist zu einem Sponsoren-Event geworden. Die Freiheiten, die wir haben, haben andere erkämpft. Ich finde es schade, dass die Jungen das nicht wissen. Da ist die Demo in Kreuzberg näher am Original geblieben.“

Rheinländer, Akademiker, seit einem Jahr in Berlin:

„Wenn es schön ist, macht man gern ’ne Party. Ich hoffe, dass das Politische in Zukunft nicht mehr so eine Rolle spielt wegen der Gesetze, die wir jetzt haben. Homoehe und so. Wenn die CDU an die Macht käme, das sähe ich nicht bedrohlich. Dass man sichtbar ist, das kann man durch Feiern unterstreichen. Für mich ist das hier ’ne freizeitmäßige Sache.

Nadine, Berlinerin:

„Es müssten mehr Zeichen gesetzt werden. Der CSD bleibt auf der Stelle stehen, geht nicht weiter. Es müssten mehr Sachen nach draußen getragen werden, die noch gemacht werden müssen. Meine Freundinnen und ich kommen noch, aber wir ziehen nicht mehr großartig hinter den Wagen her. Es soll den CSD geben, er muss nur besser werden.“

Ein Touristenpaar aus Nürnberg:

„Ich kann das nur schwer gut finden. Manchmal denke ich, die können sich selbst mit ihrer Sexualität gar nicht identifizieren, sonst würden sie doch keine Schau draus machen. Ich habe in den 60er-Jahren mit einem schwulen Architekten zusammengearbeitet. Damals gab es den Paragrafen 175 noch. Der hätte ins Gefängnis kommen können für seine Homosexualität. Er hatte es wirklich schwer. Aber hier, das finde ich menschenunwürdig, sich so zu präsentieren. Nackt, mit Leder, mit Militärischem.

Maxi Reschke, seit 25 Jahren in Berlin:

„Es schließen sich zu viele Gruppen an, die eigentlich zur Love Parade wollen. Für mich ist es wichtig, dass gezeigt wird, wir, die Homosexuellen, sind da, und wir sind einmal die Mehrheit. Das ist für mich das Schönste am CSD. Unter einer konservativen Regierung würde sicher zurückgerudert, aber damit muss man zurechtkommen als Bewegung, als Homosexuelle, als Einzelne. Wenn der Wind härter weht, muss man sich bewegen. Wenn man eine Bewegung ist, dann kann man reagieren. Ich finde das positiv, dass ich uns zutraue, dass wir reagieren können.“

Wolfgang Müller vor der Ankerklause auf der Kottbusser Brücke beim Kreuzberger CSD:

„Der Kampf der Homosexuellen hat dazu geführt, dass Jacobs Kaffee jetzt Werbung auf dem CSD macht. Durch so was wird deutlich, dass sich Identitäten auflösen. Aber solche großen Fragen sind beim großen CSD noch nicht angekommen. Dort wird nur noch deutlich, dass Schwule genauso doof sein können wie der Rest der Welt. Aber jetzt wissen wir es allmählich. Der transgeniale CSD hier dagegen zeigt, dass es keine gemeinsame homosexuelle Identität gibt. Was mich ärgert, ist, dass die Leute, die davon profitieren, dass andere den Kopf hingehalten haben, heute so tun, als wäre Homosexualität selbstverständlich. Ole von Beust etwa. Oder – was für ein Albtraum, mir vorzustellen, mich plötzlich hinter einem FDP-Wagen zu finden, auf dem Guido Westerwelle, verborgen unter einer Fetischmaske, zu „In the Navy“ tanzt.

Renate und Filomena:

Wir wollen nicht auf den großen CSD. Er ist so domestiziert von der Werbeindustrie. Man kann ja schon eine Homo-Woche in Berlin mit Stadtfest und CSD für 170 Euro buchen. Hin und zurück.

Olga L. und Rosa M.:

Der große CSD in der jetzigen Form ist nicht mehr zeitgemäß, und der transgeniale CSD hier ist zu klein. Mich macht das eher stumm. Das Politische ist jetzt im Regen auch nicht zu sehen. Die sollen die Parade einfach mal ein Jahr lang aussetzen. Damit sie darüber nachdenken können, um was es wirklich geht: Entsolidarisierung zum Beispiel.“

Susanne A., Künstlerin:

Die große Parade kommt mir wie ein Ersatz für die Love Parade vor. Aber wenn man nach Warschau guckt, sieht man, dass es gebraucht wird. Und hier in Kreuzberg bin ich zum ersten Mal. Ich bin noch dabei, rauszufinden, ob es für mich ein Festtag ist oder eine Manifestation. Ich musste mich erst trauen zu kommen, ich gehöre ja noch nicht lange dazu. Jetzt muss ich rausfinden, was das ist, wozu ich gehöre. Ich bin da noch ganz offen und neugierig. Der CSD gibt mir die Möglichkeit, vieles kennen zu lernen, wozu ich an anderen Tagen Schwellen überwinden müsste. Als ich noch nicht dazugehörte, bin ich nicht zum CSD gegangen, weil ich nicht voyeuristisch sein wollte.

PROTOKOLLE: W. SCHWAB