Abschiebung in Sachsen: Die Akte des pakistanischen Pastors

Sechs Jahre kämpft ein anglikanischer Pastor um Asyl. Frank Richter, für die SPD im Landtag, wird deswegen observiert.

Portrait von Frank Richter

Der parteilose Frank Richter wurde wegen seines Engagements gegen Abschiebung observiert Foto: Sebastian Kahnert/picture alliance

DRESDEN taz | Bevor er 2019 für die SPD in den Sächsischen Landtag einzog, war der 62-jährige Frank Richter unter anderem katholischer Priester und später acht Jahre Direktor der Landeszentrale für Politische Bildung. In der Fraktion kümmert er sich um Kulturpolitik, ist aber auch für Religionsfragen zuständig. Zunehmend begleitet er deshalb auch geflüchtete christliche Glaubensgenossen. Als einen der Weichensteller für den friedlichen Verlauf der Herbstrevolution 1989 in der DDR schockiert es ihn nun, wie das Landratsamt Meißen seine Flüchtlingshilfeaktivitäten observiert.

Im Vorjahr konnte er mithilfe einer öffentlichen Kampagne und der des Bischofs des katholischen Bistums Dresden-Meißen einen Pakistani vor der Abschiebung retten. Jetzt versuchen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und die sächsischen Ausländerbehörden jedoch, diesen vom Tode bedrohten pakistanischen Geistlichen um jeden Preis loszuwerden. Das lässt Richter an den vermeintlichen christlich-abendländischen Wurzeln der Bundesrepublik zweifeln.

Ausreise binnen 30 Tagen

„Dass eine solche Person ermordet werden sollte, egal wo er ist und wer er ist“, heißt es in der beglaubigten Übersetzung der von einem pakistanischen Mullah gegen den Pastor K. verhängten Fatwa Nr. 76/16. Wer ihn findet und tötet, dem wird das Paradies versprochen. K. ließ Freunde und Familienangehörige zurück und floh im August 2016 nach Deutschland. Nach seiner Einreise wurden ihm sämtliche Papiere abgenommen, auch die Nachweise seiner theologischen Ausbildung und ein Zeugnis der Church of Pakis­tan über seine Tätigkeit.

Das Bamf lehnte jedoch im Januar 2017 seinen Asylantrag ab und forderte ihn zur Ausreise binnen 30 Tagen auf. K. hatte in seiner Anhörung berichtet, dass er nach einer Predigt angegriffen und verletzt wurde und dass man auf ihn geschossen habe. In sein Haus wurde eingebrochen, er durfte es nicht mehr betreten. Für das Bamf sind das und die verhängte Fatwa Bagatellen. „Ein Verfolgungsmerkmal ist nicht erkennbar“, heißt es im Bescheid. Das Blasphemieverbot im pakistanischen Strafgesetzbuch lasse nicht den Schluss einer systematischen staatlichen Unterdrückung zu. „Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Christen in Pakistan fehlt es jedoch an der erforderlichen Verfolgungsdichte“, meint der Bearbeiter des Bamf.

Das Verwaltungsgericht Dresden und das Sächsische Oberverwaltungsgericht bestätigten 2018 die Ablehnung des Bamf. Die beschlagnahmten Dokumente K.s wurden offenbar nicht in die Entscheidungen einbezogen. Aus Fragen der Gerichte nach Martin Luther schließt Frank Richter, dass die Richter nicht wussten, dass die Church of Pakistan keine lutherische Kirche, sondern vielmehr der anglikanischen verwandt ist.

Seither kommt es zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen K., der Ausländerbehörde des Kreises Meißen und der Landesdirektion als vollziehende Abschiebebehörde. Richter spricht von einer regelrechten Jagd. K. hielt sich zeitweise in der zugewiesenen Sammel­unterkunft, meist aber in einem südbrandenburgischen Kirchen­asyl auf. Die genannten Behörden tauschten Informationen darüber aus, wann man seiner möglicherweise außerhalb des Kirchen­asyls habhaft werden könnte. Einmal entging er nur um einen Tag einer überfallartigen Abschiebung, weil er eher als geplant seinen in Deutschland lebenden Vater besuchte.

Klärendes Gespräch wegen Observierung

Die Härtefallkommission des Landtages folgte den Gerichten und lehnte ein Bleiberecht ab. Der Aktenstapel aber wuchs weiter, weil der Meißener Pfarrer Bernd Oehler den Petitionsausschuss anrief. „K. ist der am meisten untersuchte Mensch im Landtag“, meint Frank Richter mit Galgenhumor.

Worüber er aber überhaupt nicht scherzen kann, sind detaillierte Aufzeichnungen über seine Treffen mit K. Ab November 2021 wurden im Ausländer­amt des Kreises Meißen nicht nur K.s Aufenthalte in der Gemeinschaftsunterkunft Großenhain protokolliert, sondern auch seine Kontakte mit Frank Richter. Der hat jetzt im Juli wegen seiner Observierung um ein klärendes Gespräch gebeten, aber noch keine Antwort erhalten. Offenbar wurden Informationen über seine Kontakte auch zwischen mehreren Stellen des Landratsamtes ausgetauscht.

Über die Petition des Pfarrers Oehler hat der Petitionsausschuss des Sächsischen Landtages noch nicht entschieden. Berichterstatterin in Dresden ist die Linken-Abgeordnete Antonia Mertsching. Sie verweist nicht nur auf die gravierenden Fehleinschätzungen der Be­hörden, sondern auch auf die Integrationsbereitschaft von K. und seine guten Arbeitszeugnisse. Pikanterweise habe im Dezember 2020 sogar die AfD-Bundestagsfraktion verlangt, „den Druck auf Pakistan zu erhöhen, um die Christenverfolgung in dem südasiatischen Land zu stoppen“. Mertsching empfiehlt, die Petition auch dem Bundestag zuzuleiten.

Seine persönliche kritische Erklärung zur Petition hatten einige Abgeordnete vor der jüngsten Sitzung des Ausschusses offenbar nicht einmal gelesen, wie Richter aus deren Überraschung schließt. Im Gespräch äußert der SPD-Abgeordnete den Verdacht, dass es einen Druck des Bundesinnenministeriums auf Ausländerbehörden, wenn nicht gar eine interne Quotierung gebe. „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ – nach wie vor ist der Theologe von solchen Sätzen aus dem Matthäusevangelium überzeugt. Er verfügt darüber hinaus auch über einigen Witz, wenn er nun eine szenische Lesung mit Dokumenten aus der unsäglichen Akte K. plant.

Der sechsjährige Kampf um dessen Bleiberecht verspricht inzwischen Erfolg. Im Oktober des Vorjahres erhielt er seine persönlichen Dokumente zurück. In diesem Juli nun winkt wenigstens eine Arbeitserlaubnis, die seine tägliche Angst vor Abschiebung mildern kann.

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