Schorsch Kamerun am Residenztheater: Die wunderschöne Togetherness

So viele Gemeinsamkeitsprofis, wie sein Netzwerk hergibt, versammelt Schorsch Kamerun. Sie treffen ins vom Lockdown verstaubte Herz.

Eine Bühne mit Schorsch Kamerun am Mikro, im Hintergrund eine Videoaufnahme von einer Stadt, Kugeln an der Decke

Schmettern Berts Brechts Barbarasong mit Grandezza: Alice und Ellen Kesser in „All together now!“ Foto: Katarina Sopcic

Was für ein Spektakel: Wenn Schorsch Kamerun, Ex-Frontsänger der Punkband Goldene Zitronen und Betreiber des Hamburger Golden Pudel Club, in München eine Bühne bespielt, hat er selten enttäuscht.

So auch diesmal. An zwei – leider nur zwei! – Juliabenden ballt er kurz vor Spielzeitende und Sommerpause noch einmal alles an Mut, Tiefe und kreativer Energie zusammen, was sein Netzwerk hergibt. Man möchte fast heulen, als diese Show nach knapp 80 Minuten schon zu Ende geht. Klappt aber nicht, weil man auch lachen, pfeifen, klatschen muss.

Auf der Bühne des Residenztheaters bringt der 59-Jährige seine verspielte Performance mit dem Titel „All together now!“ zur Aufführung. Formal fühlt sich die „Happening-Gala für nachhaltige Gemeinsamkeit“, die aus einer Abfolge von sich stetig an Irrsinn und Fantasie überbietenden Einzel­auftritten besteht, nicht wie Theater an, sondern eher wie eine locker komponierte Revue. Aber eben wie eine, die man, wäre sie ein Buch, gern gleich noch einmal gelesen hätte, um sie in allen Zwischentönen zu durchdringen – und die das Publikum gar nicht loslassen mag, als es dann durchgerüttelt und begeistert hinausstolpert in die Münchner Sommernacht.

Was zuvor geschah: Schorsch Kamerun erklärt sich an diesem Abend zunächst selbst, er sei der „Abendspielleiter“, sagt er, sein Ziel: „Togetherness“. Als solcher moderiert er Teil-Acts an, die alle für sich genommen „Gemeinsamkeitsprofis“ seien. Sein „Experiment der kollektiven Öffnung“ setzt er spalterischen Tendenzen und Entfremdung entgegen: „Wie wollen wir als Gesellschaft zu einer ‚direkten Beteiligung‘ (Habermas) kommen, in einer Sprache, die ein annehmbares WIR beschreibt?“, fragt das Programmheft. Kamerun gibt die Antwort.

Dreigroschenoper mit Grandezza

Die bald 86-jährigen Kessler-Zwillinge sind mit dabei. Sie schmettern den Barbarasong aus Bertolt Brechts Dreigroschenopper von 1928 mit Grandezza. Thema des Songs ist das Aufbegehren gegen die Perfidie einer untergegangenen Zeit: „Und wenn er Geld hat / Und wenn er nett ist / Und sein Kragen ist auch werktags rein / Und wenn er weiß, was sich bei einer Dame schickt /Dann sage ich ihm ‚nein‘“ – freilich nur, um dann mit einem Player abzustürzen, der keine bürgerlichen Eigenschaften besitzt, aber Nonchalance.

Die Münchner Sängerin QUEEN Lizzy rappt mehrmals – kämpft allerdings trotz ihrer beeindruckend souligen Stimme gegen eine zu laut ausgesteuerte Begleitmusik, sodass Textteile akustisch verloren gehen. Eine Schulklasse aus jungen Frauen skandiert auf Pulten stehend die Vorwürfe der kommenden Entscheidergeneration gegen die jetzige. Oder klappert einen harten Rhythmus mit Büroutensilien wie Tackern und Scheren.

Die „Mikro-Girls“ (darunter Elisa Arnolds, Hannah Chio­ma Ekezie und Sophie Colindres) kennt man schon aus einer früheren Produktion der Spielzeit 2022 des zum Residenztheater gehörenden Marstalls: In „Ist mein Mikro an?“ von Jordan Tannahill spielten sie den Kampf der heute 19-jährigen Greta Thunberg um Klima­gerechtigkeit nach.

Beeindruckend sind auch das Kostüm- und Bühnendesign (Katja Eichbaum): Sechs mannshohe Wasserbälle schweben in die Luft, Trockennebel und blaues Licht umwabern eine 20er-Jahre-Diva (Juliana Zara) mit Koloratursopranstimme, Glitzerkleid, Wasserwelle und dramatischem Gestus.

Eine versehrte Hausfrau im Blumenkleid (Katja Jung), die ihre große Wunde auf der Wange mit einem Heftpflaster verklebt hat, irrt durch die Kulissen und faselt überfordert davon, wie gern sie ihre „Komfortzone“ verlassen hätte, eigentlich, denn man müsse doch mal „um die Ecke schauen“, eigentlich.

„Synchron atmen wie eine kanadische Gasturbine“

Ein Chor um Schorsch Kamerun bringt eine eingängige Melodie gegen Hetzer vor („Du bist so he-rab-lassend – da-bei so un-un-passend! Wir, wir brauchen nichts, nicht von dir“), das Publikum darf mitsingen, seinem Sitznachbarn Komplimente aussprechen, „synchron atmen wie eine kanadische Gasturbine“ (Kamerun) und gern mit dem Handy filmen.

Neben den Zeitebenen – von Kessler-Schwestern bis Thunberg – verschränken sich die Räume: Teilweise findet die Show vor dem Residenztheater statt. Eine riesige Luftskulptur mit Armen und Augen wird aufgeblasen, kurz zum Mittelpunkt eines Tanz-Flashmobs – und fällt in sich zusammen.

Eine Seiltänzerin legt per Tau einen Bogen zwischen Stadt und Theater. Eine gefiederte Vogelfrau (Mareike Beykirch) rast als wild gewordene Papagena herum und interagiert mit überwiegend amüsierten Passanten: „Es ist so schön, wenn es hier um uns geht und nicht um mich!“

Den Kopf kann man nicht unbedingt gebrauchen an diesem Abend. Musik und Texte gehen direkt ins vom Lockdown angestaubte Herz. Die Eindrücke verweilen angenehm kurz, weil dann schon der nächste irre Akt über die Bühne oder durch die Stadt wirbelt. Zuletzt aber bleibt, wie es im Stück heißt: das wiedererwachte Bewusstsein für die „Schönheit von Bildern, die nicht in Tarnfarben gemalt sind“.

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