China droht Taiwan mit Annexion: Nicht ob, sondern wann

In China wundert man sich, wenn Europa die offizielle Propagandalinie nicht für bare Münze nimmt. Und die lautet: Taiwan muss angegliedert werden.

Die chinesische Flagge groß im Vordergrund, am Rande, kleiner, die taiwanesische

Für die chinesische Führung ist klar, wohin Taiwan gehört Foto: Dado Ruvic/reuters

Wenn sich Annalena Baerbock darüber besorgt zeigt, dass China mit seinen Drohungen gegenüber Taiwan ernst machen könnte, dann sind das nicht bloß krude Theorien des US-Geheimdienstes, sondern es ist die Anerkennung von Tatsachen, aus denen die Parteiführung in Peking keinen großen Hehl macht.

Innerhalb Chinas gibt es immer weniger Experten und Akademiker, die überhaupt noch offen mit westlichen Journalisten sprechen. Doch die, die zumindest zu Hintergrundgesprächen bereit sind, zeigen sich fast ausnahmslos verwundert darüber, wenn in Europa die offizielle Propagandalinie nicht für bare Münze genommen wird: Und diese lautet seit Gründung der Volksrepublik 1949, dass Taiwan ein unabdingbarer Teil von China ist, der mit allen Mitteln ins Mutterland eingegliedert wird.

Es ist also weniger eine Frage des „Ob“ als des „Wann“: In diplomatischen Kreisen wird es als wahrscheinlich betrachtet, dass Xi Jinping – Chinas mächtigster Staatsführer seit Mao Zedong – die „Wiedervereinigung“ Chinas noch zu seinen Lebzeiten verwirklicht sehen will. Derzeit ist Xi 69, mehr als 15 aktive politische Jahre bleiben ihm wohl nicht mehr.

Ein offener Krieg wäre dabei jedoch nur ein mögliches von vielen Szenarien. Wesentlich wahrscheinlicher ist es, dass China durch eine umfassende Blockade des See- und Luftraums die Insel ohne direkten Feuerbeschuss in die Knie zwingt. Die Gretchenfrage bleibt offen: Würden die USA in einem solchen Fall eingreifen?

Die deutsche Wirtschaft, die zunehmend abhängig vom Zugang zum chinesischen Markt ist, debattiert solche Szenarien nur geheim hinter verschlossenen Türen. Längst überfällig ist jedoch eine offene gesellschaftliche Debatte über den vielleicht entscheidenden geopolitischen Konflikt dieser Tage – nicht zuletzt, weil die ökonomischen Auswirkungen einer Annexion Taiwans durch China noch wesentlich drastischer ausfallen würden als beim Ukrainekrieg.

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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