Kunstprojekt Tropez in Berliner Freibad: Die Kunst mit Badehose

Eine Schnittstelle zwischen Kulinarik, Ästhetik und Spaßbad soll das Tropez im Sommerbad Humboldthain sein. In diesem Jahr aber schneidet sich wenig.

Badende im Becken des Sommerbades Humboldthain in Berlin

Das Vergnügen im Wasser funktioniert im Sommerbad Humboldthain Foto: picture alliance/dpa/Paul Zinken

Ein schimmelndes Croissant auf einem Klumpen blassroter Johannisbeeren, darunter braune Erde. Grashalme ragen aus dem schwiemeligen Grund in dem kleinen Kubus auf einer weißen Säule, von den Glaswänden rinnt Kondenswasser.

„Wardscher Kasten“ hat die Künstlerin Isa Melsheimer ihre Installation genannt, die ein paar hungrige Besucher auf der Terrasse des kleinen Imbisses im Berliner Sommerbad Humboldthain ratlos beäugen. Den Namen hat sich Melsheimer von dem britischen Arzt geborgt, der im 19. Jahrhundert Minigewächshäuser erfand, die wie der Treibhauseffekt funktionieren. Schwer zu sagen, welcher Pädagogik die Arbeit folgt. Soll sie vor dem Effekt, der gerade den Globus versengt, warnen oder ihm die Hoffnung auf neues Leben abgewinnen?

Die Humboldthainer haben sich für die positive Sicht entschieden. Letzte Woche hatte ihnen der „zeitweilig bewölkte“ Himmel noch die Laune verdorben. Jetzt, wo die Sonne endlich wieder knallt, kann ihnen der kunstverdächtige Backsteinpavillon gestohlen bleiben.

Als vor fünf Jahren das Kunstprojekt Tropez in dem Sommerbad seine Pforten öffnete, ging ein Ruck durch die Berliner Kunstszene. Das 50er-Jahre-Relikt zu Füßen der Humboldthöhe avancierte plötzlich zur Côte d’Azur der urbanen Art-Avantgarde.

Lustloses rumstochern in der Currywurst

Wie jedes gute Kunstprojekt florierte auch das Tropez durch ein raffiniertes Crossover aus Förderknete und Service. Den in die Jahre gekommenen Kiosk hatten die Tropezianer mit Kaffee aus guter Röstung, Fritteuse ohne Palmöl und Kaltem Hund in eine magical Schnittstelle zwischen Kulinarik, Ästhetik und Spaßbad verwandelt.

Ein Jammer, dass sie das jetzt aufgegeben haben. Im Vorjahr rührten noch flutschfingernde Kids mit großen Augen in den seltsamen, grünblauen Glibberkugeln im Plastikfass, während nebenan die Pils trinkenden Hornbrillen aus Mitte in Schwimmshorts den Art-Talk führten. Heute stochert eine einsame Security-Kollegin in neongelber Sicherheitsweste lustlos in der Currywurst.

Wie die Kunst auf den Nullpunkt der stummen Rezeption gefallen ist, ganz ohne Diskurs und Performance auf der ausgeblichenen Humboldtwiese, heißt es auch bei der festen Nahrung back to the basics: Filterkaffee, Eis am Stiel, Fritten & Wurst – das war’s. Fantasie und Fun sind wieder getrennte Sphären.

Ohne den Hof der Vermittlung reagiert die noch nicht ganz so kunstbereite Szene hilflos auf die visuelle Challenge der Saison. „Irgendetwas mit Dschungel?“, knurrt einer der migrantisch angehauchten Jungs seinem Kumpel zu, als sie Grit Burmeisters und Franzi Kleinerts bunte Fantasiefahnen vor dem Pavillon zu deuten versuchen. Schließlich konzentrieren sie sich doch lieber auf die Pommes in der gewellten Pappschale, von denen ein fetter Batzen Ketchup tropft.

Träge vergeht der Nachmittag. Inzwischen hat die Hitzewelle Berlins Global North erreicht. Selbst die Schirme aus flirrendem Kunstbast, die zu Beginn der Tropez-Story noch verheißungsvoll Azur leuchteten, sind schon ganz braun.

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Ingo Arend, Politologe und Historiker, Autor, Kritiker und Juror für Bildende Kunst, Literatur und Politisches Feuilleton. Lange Kulturredakteur des "der freitag", 2007 bis 2009 sein Redaktionsleiter. Redakteursstationen bei taz und Deutschlandfunk Kultur. 2015-2023 Mitglied des Präsidiums der neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK). Spezialgebiet: Global Art, Kunst und Politik, Kunst und Geschichte, Kunst und Kultur der Türkei. Weblog: Ästhetik und Demokratie.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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