Power to the Bauer

Wie ein Bauer den Wechsel von der alten Polykompetenz zur neuen Multifunktionalität prima hinbekommen hat

Martin Stark (26) ist Landwirt in der Wetterau.

Wer als Landwirt überleben will, der muss heutzutage übern Tellerrand hinaus schauen, auf die andern Bauern zugehen. Früher waren die Bauern engstirnig, verbohrt, da wollte keiner was vom Nachbarn wissen, hören oder sehen. Heute gibt es kaum noch Landwirte, deswegen müssen wir die Kräfte bündeln, zusammenarbeiten. Wir teilen uns z. B. unseren Mähdrescher mit einem anderen Betrieb. Wir dürfen uns nicht gegenseitig kaputtmachen.

Jeder Landwirt muss für sich eine Lücke finden, in die er reinstößt. Ich versuche das mit der Hühnerzucht. Es gibt einen anderen Bauern, der verkauft Stroh übers Internet, liefert Zehn-Kilo-Päckchen an private Haushalte. Für Kaninchen oder so. Das ist ein gutes Geschäft. Hier in Niederursel sind nur noch vier Leute, die Landwirtschaft betreiben, ich bin der einzige im Ort, der den Beruf gelernt hat. Die Eier von unseren Hühnern verkaufen wir – genauso wie Kartoffeln, Nudeln, Äpfel, Rapsöl und Honig – hier auf unserem Hof und liefern sie an zwei Gaststätten im Ort: ‚Den Lahmen Esel‘ und ‚Die Drei Raben‘.

Einem Bauer kann man das Wetter nie recht machen: Wenn die Sonne scheint, braucht er Regen; wenn es regnet, braucht er Sonnenschein. Wenn’s zu nass ist, kann er nicht auf den Acker; und wenn’s zu windig ist, kann er nicht spritzen. Ich bin da keine Ausnahme. Ich bin zwar heilfroh, dass es jetzt wieder warm ist, weil ich alles andere als ein Winterfreak bin. Was ich mir aber mehr wünsche als alles andere, ist Regen. 20, 25 Millimeter wären ideal. Der schlimme Frost im Winter hat nämlich die Feuchtigkeit aus dem Boden gezogen, er ist viel zu trocken. Und die Pflanzen brauchen, gerade jetzt in der Wachstumsphase, nun mal Wasser zum Leben. Zwei, drei Tage Regen wären ein Traum – danach kann die Sonne wieder scheinen.

Diese Woche habe ich Erbsen und Hafer gesät, demnächst steht Unkrautbekämpfung auf dem Programm. Danach säe ich die Zuckerrüben – wenn das Wetter mitspielt, es muss auf jeden Fall stabiler sein als jetzt. Nachtfrost ist Gift. Den darf es nicht geben, sonst sind die Zuckerrüben gleich wieder hin. Drei Grad halten sie schon mal eine Nacht lang aus, aber wenn es richtig eisig und frostig wird, na dann gute Nacht.

Der Juni ist für mich der kribbeligste Monat. Dann sind es noch vier Wochen bis zur Ernte – ich schaue auf das Feld, bin stolz und voller Vorfreude, wenn alles prächtig gediehen ist und steht wie eine Eins. Und doch habe ich da so ein komisches Gefühl in der Magengegend, denn der Juni ist auch der Monat der Unwetter. Und wenn dann wirklich Sturm aufzieht, dann komme ich ins Schwitzen, denn dann ist die Ernte in Gefahr. Hagel ist das Schlimmste. Da knickt das Getreide ab, und dann machen sich die Tauben darüber her. Zum Glück ist Hagel hier aber relativ selten, der Taunus hält viel ab.

Tja, und dann folgt die Ernte, die schönste Jahreszeit für den Bauer. Da brummt es richtig. Zwei Wochen wird fast rund um die Uhr gebuckelt: 20 Stunden am Tag sind keine Seltenheit. Tagsüber dreschen wir, dann fahren wir das Getreide in die Mühle, wo wir oft fünf, sechs Stunden warten müssen. Das nervt. Aber trotz allem entschädigt die Erntezeit für alles.

Es ist heute nicht mehr so, dass die Bauern ständig mit Gummischuhen im dicksten Mist stehen. Das kommt zwar vor, ist aber nicht mehr die Regel. Für mich ist Dreck in der Kabine vom Traktor inzwischen sogar das Schlimmste. Da werde ich wahnsinnig. Ansonsten ist alles ganz easy. Ich höre im Traktor genauso meine CD wie jeder andere im Auto. In jedem Schlepper gibt es Klimaanlage und luftgefederte Sitze. Das muss auch sein, wenn ich da zehn Stunden drauf sitze.

Als Hobby nach Feierabend mach ich Musik, schon seit ich 15 bin. Mit E-Gitarre habe ich angefangen, heute spiele ich Schlagzeug. So richtig in ner Band, auch mit Auftritten gelegentlich. Wir sind keine Profis, schlechte Musiker sind wir aber auch nicht. Musik ist gut zum Abreagieren. Ab ans Schlagzeug, mal ne Stunde getrommelt – und dann geht’s weiter auf dem Acker.

PROTOKOLL: INGO DURSTEWITZ