Finanzielle Unterstützung der Ukraine: Geld, die ultimative Waffe

Nichts würde Putin mehr ärgern als eine stabile Ukraine nach dem Krieg. Deutschland darf deshalb jetzt keinesfalls knausern oder nur Kredite vergeben.

Feuerwehrmänner im Einsatz. Im Hintergrund zerstörte Gebäude

Schule in Kramatorsk: Wir können es uns mühelos leisten, Schulden für den Wiederaufbau der Ukraine aufzunehmen Foto: Gleb Garanich/reuters

Die Deutschen haben eine Kompetenz, die jetzt in der Ukraine wieder nützlich werden könnte: Sie haben mehrfach erlebt, wie Wiederaufbau geht. Im Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland bekanntlich flächendeckend bombardiert, so dass ein Drittel aller Wohnungen komplett zerstört oder stark beschädigt war. Auch Züge fuhren kaum noch, weil die Alliierten gezielt Bahnhöfe und Gleise attackiert hatten, um die NS-Kriegsmaschine lahmzulegen. Zufrieden konstatierte das amerikanische Militär hinterher: „Der Angriff auf die Transportwege war der entscheidende Schlag, der die deutsche Wirtschaft ins Chaos gestürzt hat.“

Dieses Chaos währte allerdings nicht lange. Die westdeutsche Industrie produzierte Ende 1949 bereits wieder genauso viel, wie sie 1936 hergestellt hatte. Deutsche glauben gern, dass es allein ihrem Fleiß zu verdanken sei, dass sich die Bundesrepublik so schnell vom Krieg erholte – aber mindestens genauso wichtig waren die klugen Finanzmaßnahmen der Amerikaner. Sie entwickelten das Konzept für die D-Mark, schoben mit dem Marshallplan den Wiederaufbau in ganz Westeuropa an und schufen mit der Europäischen Zahlungsunion einen Mechanismus, der den innereuropäischen Handel erneut in Gang brachte.

Gerade Deutsche sollten also wissen, dass es sich lohnt, zerbombte Länder großzügig zu unterstützen – weil sie schon bald nichts mehr kosten, sondern sich selbst versorgen können. Diese Lektion hält allerdings nicht nur die westdeutsche Nachkriegsgeschichte bereit. Genauso lehrreich ist die Entwicklung in der Ex-DDR.

In Ostdeutschland hinterließ nicht nur der Zweite Weltkrieg große Schäden – auch die „zentrale Planwirtschaft sowjetischen Typs“ funktionierte höchstens mangelhaft. Als die Ostdeutschen im Herbst 1989 die „Wende“ erzwangen, war die DDR weitgehend ruiniert, wie das SED-Politbüro genau wusste. Die staatliche Planungskommission hatte ermittelt, dass der „Verschleißgrad“ in der Industrie bei 53,8 Prozent lag. Im Bauwesen waren es 67 Prozent, im Verkehrswesen 52,1 Prozent und in der Landwirtschaft 61,3 Prozent. Viele Firmen produzierten fast gar nichts mehr, weil die Maschinen verrottet waren. Überall bröckelte es, und in den Innenstädten waren die Altbauten vielerorts nicht mehr bewohnbar.

Auf den ersten Blick war es extrem teuer, die ehemalige DDR zu sanieren. Dennoch war die Einheit letztlich gratis

Auf den ersten Blick wirkt es, als wäre es extrem teuer gewesen, die ehemalige DDR zu sanieren. Ex-Finanzminister Theo Waigel (CSU) schätzt, dass in den vergangenen 30 Jahren etwa 2,5 Billionen Euro vom Westen in den Osten geflossen sind. 2.500 Milliarden sind sehr viel Geld – und dennoch war die Einheit letztlich gratis. Dies zeigt ein kleiner Vergleich mit anderen Ländern in Europa: Vor Corona lag die deutsche Staatsverschuldung bei niedrigen 59,8 Prozent der Wirtschaftsleistung, während Frankreich auf 97,5 Prozent und Großbritannien auf 83,9 Prozent kamen, obwohl beide Staaten keine teure Wiedervereinigung zu stemmen hatten.

Auch die Steuer- und Abgabenlast ist in Deutschland nicht höher als in anderen europäischen Ländern und liegt im „oberen Mittelfeld“. Die deutsche Einheit hat sich weitgehend selbst finanziert, weil der Umbruch im Osten einen Wachstumsschub ausgelöst hat, von dem die gesamte deutsche Wirtschaft profitiert hat.

Diese Erfahrung lässt sich auf die Ukraine übertragen. Schon jetzt werden die Kriegsschäden auf 750 Milliarden Dollar geschätzt – und dennoch würde es Europa nichts kosten, den kompletten Wiederaufbau zu finanzieren. Es wäre ein Konjunkturpaket, von dem auch die Nachbarn profitieren. Katastrophal wäre nur das Gegenteil: Es muss unbedingt vermieden werden, dass die Europäer knausern oder nur Kredite vergeben, die die Ukraine später zurückzahlen soll. Diese Pfennigfuchserei würde nicht nur die Ukrainer in dauerhafte Armut stürzen, sondern auch den restlichen Kontinent belasten, weil dieses riesige Land ein permanenter Sanierungsfall bliebe.

Leider drängt sich der Eindruck auf, dass die deutsche Politik aus der eigenen Geschichte nichts gelernt hat. SPD-Kanzler Olaf Scholz hat zwar im Bundestag verkündet, dass die Ukraine „wie damals das kriegszerstörte Europa“ einen „Marshallplan für den Wiederaufbau“ benötigen würde. Aber FDP-Finanzminister Christian Lindner hat andere Pläne. Europäische Zuschüsse an die Ukraine will er unbedingt verhindern; stattdessen soll das Land Darlehen bei der EU aufnehmen, die dann wieder abzustottern sind.

Eine kleine Rechnung macht deutlich, wie fatal dieser FDP-Geiz wäre. Da der Ukrainekrieg noch längst nicht vorbei ist, dürften die Schäden am Ende bei mindestens 1.500 Milliarden Dollar liegen. Wahrscheinlich ist selbst diese Summe noch zu niedrig angesetzt. Es könnten auch 2.000 Milliarden Dollar sein.

Vor dem Krieg betrug die ukrainische Wirtschaftsleistung 588 Milliarden Dollar im Jahr – und da waren Fabriken, Häuser, Straßen, Bahnhöfe oder Elektrizitätswerke noch nicht zerbombt. Zudem bezog sich diese Zahl auf die komplette Ukraine, aber inzwischen halten die Russen etwa ein Fünftel des Landes besetzt.

Daher wäre es schon üppig, wenn die Ukrai­ne nach dem Krieg auf eine Wirtschaftsleistung von 250 Milliarden Dollar käme. Damit lassen sich Kredite in Höhe von 1.500 bis 2.000 Milliarden nicht tilgen, denn Zinsen würden ebenfalls fällig – und von irgendetwas müssen die Ukrainer ja auch noch leben. Sie können nicht ihr ganzes Geld aufwenden, um Kredite zurückzuzahlen.

Statt zu knausern, sollten die Europäer zeigen, wozu der wohlhabende und demokratische Westen ökonomisch fähig ist: Wir können es uns mühelos leisten, Schulden aufzunehmen, um den Wiederaufbau in der Ukraine zu finanzieren. Das Land würde bald florieren, und Europa wäre sogar noch reicher. Nichts würde Putin mehr ärgern, als zu erleben, dass seine Raketen die Ukraine nicht vernichtet haben. Es wäre die ultimative Waffe des Westens, und ganz gewaltfrei.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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