PflegerInnen aus dem Ausland: Warten statt Loslegen

PflegerInnen aus dem Ausland müssten in Niedersachsen zu lange auf eine Anerkennung ihrer Abschlüsse warten, kritisiert der Verband BPA.

Eine Pflegehausbewohnerin eines Seniorenzentrums hält sich in ihrem Bett an einem Haltegriff fest, im Hintergrund steht eine Pflegekraft.

Pflege in einem Seniorenzentrum: Der Mangel an Fachkräften ist seit vielen Jahren bekannt Foto: Angelika Warmuth / dpa

OSNABRÜCK taz | Wenn Optimisten die Personallage in Deutschlands Pflegebranche beschreiben, sagen sie: Mangel oder Engpass. Realisten drücken sich anders aus: Sie sagen Notstand und Kata­strophe. Mehr als vier Millionen Deutsche sind pflegebedürftig. Bis 2035 könnten bundesweit 500.000 Pflegekräfte fehlen. Jede helfende Hand wird also dringend gebraucht. Ein Potenzial dafür sind Fachkräfte aus dem EU-Ausland und aus Drittstaaten.

Diese Arbeitskräfte nach Deutschland zu bekommen, ist aber gar nicht so einfach: Jüngst hat der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) für das Bundesland Niedersachsen Alarm geschlagen. Teils dauere es hier über ein Jahr, den notwendigen Bescheid zu erhalten.

Das Bundesland, in dem der zukünftige Arbeitsplatz der Fachkräfte aus dem Ausland liegt, muss ihre Qualifikation prüfen, ihre Aus- und Fortbildungen, ihre Berufserfahrung, so wollen es die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie und das Kranken- und Altenpflegegesetz. Checks, die dauern. Bis zum Anerkennungsbescheid vergehen überall oft Monate. Doch ist die Lage in Niedersachsen besonders prekär? Bremst das Landesamt für Soziales, dessen Außenstelle Lüneburg für die Checks zuständig ist, internationale Bewer­ber­In­nen aus?

Ulrich Kruthaup, Vorstandsmitglied der Landesgruppe Niedersachsen des BPA, weiß aus eigener Erfahrung, wie langsam die Ämtermühlen mahlen. Als Geschäftsführer der Blomberg-Klinik in Bad Laer und der Residenz am Salzbach in Bad Rothenfelde versucht er seit Februar, vier kirgisische Pflegefachkräfte nach Deutschland zu holen. Bisher ohne Erfolg. „Jetzt hieß es, der Bescheid komme vielleicht im Oktober“, sagt Kruthaup der taz.

Ulrich Kruthaup, Niedersachsen-Vorstand des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste

„Die Politik weiß ja schon seit Jahrzehnten, was auf uns zukommt. Da wurde lange weggesehen“

Er ist frustriert. Seine vier BewerberInnen haben die geforderten B2-Deutschkenntnisse und könnten sofort anreisen. Aber solange die Prüfung andauert, lohnt sich das nicht. „Das ist ein Nadelöhr“, sagt Kruthaup. „Das muss doch schneller gehen! Das belastet die Pflegebedürftigen, die Unternehmen und ihre Bestandsbelegschaft, die Geduld und Motivation von BewerberInnen, die sich so womöglich in anderen Ländern umsehen – oder nach anderen Berufen.“

Kruthaups Vorwurf gilt nicht den Behörden, denn die haben selbst Personalnot. Er gilt der Politik. „Die weiß ja schon seit Jahrzehnten, was auf uns zukommt. Da wurde lange weggesehen.“ Der Bedarf an Arbeitskräften wachse stetig. „Und jetzt zerschellen Neueinstellungen am Anerkennungsverfahren. Inakzeptabel!“

Klar, Kruthaups kirgisischen Arbeitswilligen könnten freiwillig auf die Gleichwertigkeitsprüfung verzichten und als Hilfskraft anfangen. Aber das würde das Verfahren nur in die Zukunft verschieben. Und es würde nicht helfen: „Solange dürften sie ja keine Fachkraft-Tätigkeiten verrichten“, sagt Kruthaup. „Außerdem müssten sie dann eine Kenntnisprüfung ablegen, und auch das kann bis zu einem Dreivierteljahr dauern.“

Auch das beschleunigte Fachkräfteverfahren über die Ausländerbehörde, für das eine Gebühr von rund 400 Euro anfällt, dauere oft lange, sagt Kruthaup. Die Behörde erteilt dabei eine Vorab-Zustimmung. ArbeitnehmerInnen können dann schon ein Einreisevisum beantragen.

Niedersachsens Sozialministerium tritt der BPA-Kritik entgegen. „Die durchschnittliche Verfahrensdauer der im Jahr 2020 erstmals beschiedenen Anerkennungsverfahren in Niedersachsen betrug insgesamt 80 Tage“, sagt Sprecherin Stefanie Geisler der taz. Im Bereich der medizinischen Gesundheitsberufe sei die Zahl sogar noch geringer: 78 Tage. Die Hälfte der Verfahren habe maximal 43 Tage gedauert. Aber sie sagt auch: 2021 habe die Landesregierung Maßnahmen ergriffen, die „Prozesse zu optimieren und die Verfahrensdauer weiter zu verkürzen“. Das Landesamt für Soziales sei personell aufgestockt worden. 18 Mitarbeitende sind derzeit mit den Prüfverfahren befasst.

Bisher kaum PflegerInnen aus dem Ausland

In Niedersachsen sind über 460.000 Pflegebedürftige registriert. Drei Viertel davon werden zu Hause betreut, mit oder ohne Unterstützung durch ambulante Dienste. Rund 77.000 Pflegefachkräfte sind allein in der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege beschäftigt. Mitarbeitende aus dem Ausland sind hier bisher eine kleine Gruppe. 1,9 Prozent kommen aus dem EU-Ausland, 1,5 Prozent aus Drittstaaten. 25.000 Pflegestellen sind offen.

Dass die Lage prekär ist, bestätigt auch der Landespflegebericht Niedersachsen 2020. Er besagt, dass „in keiner Region in Niedersachsen eine Arbeitsmarktreserve vorliegt, die mobilisiert werden könnte“. Nennenswerte Steigerungen der Zahl der Beschäftigten in der Pflege seien kaum zu verzeichnen. Kein Ruhmesblatt für Sozialministerin ­Daniela Behrens (SPD).

Doch einen kleinen Lichtblick gibt es: Fast alle Anträge aus dem Ausland werden positiv beschieden. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage „Anerkennung ausländischer Qualifikationen im Pflegebereich“ der niedersächsischen FDP aus dem Frühjahr 2022 bestätigt das Sozialministerium: Von 2017 bis 2020 gab es nur 570 Ablehnungen, bei mehr als 21.000 Verfahren. Wichtig sei, so das Ministerium, die Attraktivität der Anerkennungsverfahren „weiter zu verbessern“. Eine kluge Erkenntnis.

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