Fußball-EM in England: Orangefarbene Feierbiester

Beim Sieg gegen die Schweiz überzeugen niederländische Fans mehr als ihr Team. Im Viertelfinale gegen Frankreich muss sich die Elf deutlich steigern.

Drei niederländische Fußballspielerinnen jubeln nach einem Tor gegen die Schweiz

Junge Niederlande: Jubel nach dem vierten Tor gegen die Schweiz Foto: Imagoimago/Aflosport

Nach dem 4:1 tobt die niederländische Party in Sheffield. Schon vorher strahlte die Stadt im englischen Norden in Oranje, standen orange Partybusse in überfüllten Straßen, dröhnte Karnevalsmusik aus den Boxen, während sich vor geschmückten Kneipen Fans beider Lager beim Wegbier drängten. Hier ist die EM die Königin Fußball, und wenn Niederlande spielt, ist sie ein rauschendes Volksfest. Zwei Mal waren die Niederländerinnen an einem Publikumsrekord der Vorrunde ohne Gastgeberin beteiligt, diesmal spielten sie vor unaufhörlich musizierenden, ekstatisch tanzenden 22.500 Fans in Sheffield.

Gäbe es eine Wertung für die Oranje-Crowd, wären die Niederlande schon Europameisterin. Der 4:1-Sieg über die Schweiz klingt hingegen deutlich besser, als er war. Das rauschhafte 4:1 war die meiste Zeit des Spiels nämlich ein Remis mit hochkarätigen Schweizer Chancen, bei denen die Niederlande arg phlegmatisch an der Grenze des Ausscheidens balancierte. Erst in der 83. Minute fiel das Führungstor durch die junge Romée Leuchter, das alle Schleusen öffnete.

Die Titelverteidigerinnen haben eine durchwachsende Vorrunde hinter sich. Das liegt zur Hälfte an Umständen, für die sie nichts können. Dreimal in drei Spielen musste der neue Coach Mark Parsons mit neuer Startelf ran. In der ersten Partie verletzte sich Torhüterin und Kapitänin Sari van Veenendal, was die Mitspielerinnen sichtlich schockte. Die blutjunge Daphne van Domselaar, die seither herausragend hält, wurde von einer Sekunde auf die andere zur Stammtorhüterin.

Sherida Spitse

„Ich bin stolz, wie wir mit Rückschlägen umgehen“

Dann setzte eine Coronawelle unter anderem Mittelfeldspielerin Jackie Groenen außer Gefecht, ebenso Superstar und Rekordtorschützin Vivianne Miedema. Zwischenzeitlich fiel Verteidigerin Aniek Nouwen mit Knöchelverletzung aus. „Ich bin wirklich stolz auf das ganze Team, wie wir mit den Rückschlägen umgegangen sind“, so die energische Mittelfeldspielerin Sherida Spitse. „Das macht uns so stark. Nicht nur die erste Elf, sondern auch die, die reinkommen, wie viel Energie sie reinbringen, wie wir zusammenhalten. Wir können viel erreichen.“

Furchteinflößender Angriff

Die vielen Ausfälle sind allerdings nur die Hälfte des Problems. Schon vorher ließ sich gegen Schweden beobachten, wie wenig körperliche Präsenz die Niederlande zeigten, wie schlecht oft Kombinationen liefen und wie abwartend sie agierten. Es ist nicht das Auftreten einer Titelverteidigerin, und auch nicht das Auftreten eines Landes mit großer Offensivtradition. Viel zu selten gelingt es, den immer noch furchteinflößenden Angriff ins Spiel zu bringen. Gegen engagierte Schweizerinnen war der zweite große Star des Teams, Lieke Martens von Paris St. Germain, erneut völlig unsichtbar.

Bayern Münchens Lineth Beerensteyn verlor in der Spitze mehr Bälle, als sie errang. Und hätte nicht in der 56. Minute van Domselaar gegen Coumba Sow gerettet und in der 79. einen Distanzschuss von Riola Xhemaili rausgefischt, hätte das Team gegen ein Vorrunden-Aus anrennen müssen. Die Abwehr, die schon beim 3:2 gegen Portugal wackelte, ließ sich auf Rechtsaußen immer wieder von der starken Ramona Bachmann überrennen. Seltsam passiv blieb Team Oranje.

Es waren letztlich die Jungen, die kurz vor Schluss für den Umschwung sorgten. Allen voran die Torschützin Victoria Pelova von Ajax, die erst 18-jährige Esmee Brugts von PSV und die 21-jährige Romée Leuchter (ebenfalls Ajax), die doppelt traf. So überzeugend waren die alle, dass Parsons sich überlegen muss, ob er nicht im Viertelfinale wieder die Startelf wechselt, diesmal freiwillig. Gegen Frankreich müssen die Niederländerinnen zwei Schippen drauflegen, um das Viertelfinal-Aus zu verhindern. „Frankreich ist eine schwere Gegnerin, und das sind wir auch“, konterte derweil Trainer Parsons kühl.

Der Brite, 2021 von den Portland Thorns gekommen, tritt hier ein schweres Erbe an. Er ist Nachfolger der so beliebten wie coolen Europameisterinnen-Macherin Sarina Wiegman, die nun mit den Engländerinnen von Sieg zu Sieg eilt. Dagegen kann man fast nur verlieren. Dass sein Team sich steigern wird, davon gibt sich Parsons nach der wackeligen Gruppenphase überzeugt. „Sie wissen, wie man gegen große Gegnerinnen spielt, wie man auf dieses Level kommt. Wir waren anfangs nicht das beste Team und wir sind es immer noch nicht, aber wir wollen stark genug sein, das beste Team zu schlagen.“ In der Schlussphase blitzte auf, wie das gehen kann. Aber im Gegensatz zur Oranje-Army fehlt noch einiges zu titelträchtigem Glanz.

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