Aminata Touré über ihren neuen Job: „Regierung ist für alle zuständig“

Aminata Touré die nicht nur neue Sozialministerin in Schleswig-Holstein, sondern die erste deutsche Schwarze Landes­ministerin überhaupt.

Aminata Touré.

Aminata Touré ist seit 2017 im Landtag von Schleswig-Holstein Foto: Marcus Brandt/dpa

taz: Frau Touré, Sie sind seit Juni Sozialministerin in Schleswig-Holstein. Was war der beste und was war der schrägste Moment bisher?

Aminata Touré: Ein sehr guter Moment war auf jeden Fall, als das komplette Team hier zusammen stand. Da war ein starkes Gefühl, dass wir nun gemeinsam angekommen sind und loslegen dürfen. Das ist nicht mehr Theorie, sondern die Arbeit geht jetzt wirklich los. Jetzt arbeiten wir uns ein, laufen auch viel durch die Flure, klopfen an Türen und führen Gespräche.

Und der seltsamste Moment?

Den hatte ich noch nicht.

ist Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig-Holstein. Zuvor war sie Vizepräsidentin des Landtags und Sprecherin der Grünen-Fraktion für Antirassismus. Die 29-Jährige wurde in Neumünster geboren, ihre Eltern flüchteten aus Mali.

So ein Ministerium ist ja eine Welt für sich. Da ist sogar geregelt, mit welcher Farbe wer unterschreiben darf …

Okay, ja, das war ein seltsamer Moment. Ich saß in meinem Büro und dachte, das sind aber nette Stifte, da sagte meine Assistentin, dass ich als Einzige mit Grün schreiben darf und dass das bindende Wirkung hat.

Ist so ein großer Verwaltungsapparat auch ein Klotz am Bein?

Überhaupt nicht! Auch als Abgeordnete und Landtagsvizepräsidentin hatte ich engen Draht zu den Ministerien. Aber der Unterschied ist, dass hier sehr viele Menschen – allein hier im Haus knapp 300 – gemeinsam an Lösungen arbeiten. Als wir im Kabinett beschlossen haben, dass wir ein 100-Tage-Programm machen, griffen sofort die normalen Reflexe, sprich, ich habe mich hingesetzt und losgeschrieben, wie ich das als Abgeordnete gewohnt war. Dabei kann ich jetzt auf die Arbeit ganzer Abteilungen zurückgreifen. Die Kontrolle über die Prozesse liegt zwar bei mir, und natürlich mache ich inhaltliche Punkte, aber ich muss das nicht mehr alles allein leisten.

Sie waren die erste Schwarze Landtagsvizepräsidentin, jetzt sind Sie die erste Schwarze Landesministerin. Damit Vorbild, Rollenmodell, Vorkämpferin. Wie sind die Erwartungen der Umwelt, wie groß ist der Druck?

Ich habe ja schon mehrere erste Male dieser Art erlebt, auch als Schwarze Abgeordnete. Was es so richtig bedeutet, habe ich mit der Wahl zur Landtags-Vizepräsidentin gemerkt. Das Schreiben meines Buchs „Wir können mehr sein“ hat mir geholfen zu verstehen, welche Erwartungen an mich als Politikerin und Person gerechtfertigt sind und was eben nicht meiner Verantwortung unterliegt. Also: Ja, es gibt Erwartungen von außen, die lasse ich aber nicht tief an mich heran – und andere nehme ich ernst und versuche, sie zu erfüllen. Grundsätzlich sage ich aber: Veränderung passiert nicht durch einzelne, sondern durch viele Menschen.

Von Ihnen stammt auch der Satz: „Biografie ersetzt keine Politik.“ Schauen wir also auf die Politik. Die schwarz-grüne Regierung in Schleswig-Holstein hat sich relativ reibungslos gebildet, dennoch gibt es viel Kritik am Koalitionsvertrag. Können Sie das verstehen? Oder haben Sie alles super gemacht?

Alles bestimmt nicht, dann hätten wir das grüne Wahlprogramm komplett übernehmen müssen. Natürlich sind wir Kompromisse eingegangen. Die Kritik daran fand ich aber teilweise absurd. So wollen wir unter anderem den Tafeln helfen, das wurde als „Almosen-Politik“ bezeichnet – das empfinde ich als unmöglich, auch den Tafeln gegenüber. Und es ist ja durchaus nicht so, dass sich unser Programm im Sozialbereich damit erschöpft. Beispiel Wohnungspolitik: Die Opposition hat noch vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen ein Wohnraumschutzgesetz beantragt, weil sie dachten, das bekommen wir als Grüne nicht in den Vertrag hineinverhandelt. Haben wir aber. Aber natürlich darf man sich nicht zurücklehnen. Zum Beispiel bei der Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut. Der Bund will eine Kindergrundsicherung bis 2024 – ich wünsche sie mir früher und werde mich dafür einsetzen. Mit Blick auf die nächsten Wochen und Monate geht es bei vielen Menschen um Heizkosten, Kitakosten, die Zuzahlungen für die Pflege. Auf diese Sorgen müssen wir Antworten liefern.

Bei aller Freude über Ihre Verhandlungserfolge: Die CDU als stärkere Partei prägt den Vertrag stark. So führt der ehemalige Bauernpräsident das neue Landwirtschaftsministerium. Und CDU-Fraktionschef Tobias Koch kündigt an, dass Schleswig-Holstein bei der Ansiedlung von Betrieben Bayern überholen will. Klappen so die Klima- und Umweltziele?

Wir haben in den Bereichen Energie­wende, Umwelt- und Klimaschutz sowie der Landwirtschaft klar gesagt, was wir wollen. Wir haben um viele inhaltliche Punkte im Koalitionsvertrag gerungen und auf dieser Basis werden wir alle Politik machen, auch Werner Schwarz als Landwirtschaftsminister.

Trotzdem: Sie wollen zum Wohle des Klimas mehr Industrie ansiedeln?

Um es mal überspitzt zu sagen: Wenn Schleswig-Holstein nicht nur eine Urlaubsregion sein will, brauchen wir Arbeitsplätze. Aber wir müssen sie so gestalten, dass sie zum Ziel passen, Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutral zu machen. Die CDU sieht die Klimapolitik als Motor von Arbeitsplätzen, für uns hat der Kampf gegen die Erderwärmung den Vorrang. Gemeinsam nehmen wir die Herausforderung an, das Land umzugestalten.

Sie leiten das Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung. Klingt nach viel – aber die Gesundheit fehlt, sie hängt nun am Justizministerium. SPD-Oppositionsführer Thomas Losse-Müller sagt, dass weder CDU noch Grüne das Ressort wollten. Stimmt das?

Es war keinesfalls so, dass wir nicht wollten. Gesundheit ist eine Riesenherausforderung. Aber wo Gesundheit ist, bleibt wenig Raum für andere Fragen. In den vergangenen Jahren war dieses Haus teils Pandemie-, teils Kitaministerium. Nun kann ich einen klaren Schwerpunkt auf das Soziale legen. Man kann die Teilung also auch als Aufwertung sehen.

Was steht bei Ihnen für die nächsten Jahre obenan?

Am Ende der Wahlperiode möchte ich alles geschafft haben, was im Koalitionsvertrag in meinem Bereich steht. Darüber hinaus wird es neue Herausforderungen und Entwicklungen geben, für die wir Lösungen anbieten wollen. Das ist mein Anspruch, daran möchte ich mich messen lassen. Und wir fangen sofort an: Im Kitabereich wollen wir kurzfristig einen Personalergänzungsfonds auflegen, langfristig wollen wir den Fachkräfte-Kind-Schlüssel erhöhen. Im Bereich Gleichstellung möchte ich die Ursachen von Gewalt gegen Frauen bekämpfen und dazu ein Kompetenzzentrum auf den Weg bringen. Bei der Integration ist die Herausforderung, dass viele Menschen in Kettenduldung sind. Für sie wollen wir Perspektiven schaffen, indem Ausländerbehörden ihre Spielräume nutzen und in unsere Fachkräfte-Initiative einbezogen werden. Zudem planen wir ein Resettlement-Programm.

Also ein verkürztes Aufnahmeverfahren für besonders schutzbedürftige Menschen. Aus welchem Land könnten sie kommen?

Angesicht von 100 Millionen, die weltweit auf der Flucht sind, kommen viele Regionen infrage. Wir wollen dazu die Fachleute auf Bundesebene und des UN-Flüchtlingshilfswerks kontaktieren, um das Programm möglichst sinnvoll und erfolgreich aufzulegen.

Die Grünen sind bundesweit im Aufwind, nicht nur bei Wahlen, auch bei Mitgliederzahlen. Was macht das mit der Partei?

Sie ändert sich total stark. Diese Diskussion hat bereits vor meiner Zeit angefangen, aber auch in den zehn Jahren, die ich dabei bin, ist sie weitergegangen, und zwar orientiert an der Realität: Welche Herausforderungen stellen sich, wie antworten wir darauf? Wenn man nur aus der Verantwortungslogik argumentiert, kann man sich entkernen. Das ist ein schmaler Grat, aber ich glaube, dass die Menschen sehr gut wissen, wofür die Grünen stehen. Angesichts des Kriegs stellt sich die Frage allerdings wieder. Ich habe das im Haustürwahlkampf gespürt: Einige Leute halten uns für Verräter und wenden sich ab, wie bereits während des Kosovo-Kriegs. Auf der anderen Seite sagen Menschen, die uns bisher kritisch gesehen haben, dass etwa Annalena Baerbock einen tollen Job macht. Man muss sich bewusst sein, dass eine Regierungspartei für alle zuständig ist, nicht nur für das eigene Klientel. Man verliert Leute auf diesem Weg, aber man gewinnt auch viele dazu.

Diejenigen, die Sie gerade verlieren, sind Aktive des Umwelt- und Naturschutzflügels, da gibt es Protest gegen die Novelle des Naturschutzgesetzes. Lässt sich der Bruch heilen?

Ich finde es schade, wenn Leute die Partei verlassen, wenn sie sich nicht mehr zu Hause fühlen. Nehmen wir den Streit um das Flüssiggasterminal in Brunsbüttel …

… das die Basis ablehnt, dem die Landesregierung aber zustimmt …

Diese Debatte haben wir lange theo­retisch geführt. Aber aktuell stellt sie sich neu angesichts der Unsicherheit, ob es noch Gaslieferungen aus Russland gibt. Man kann für sich allein sagen, ich stelle meine Ideale über alles. Aber das kann man nicht 80 Millionen Menschen erklären oder der Industrie, die Energie braucht. Dennoch sagen wir nicht: Hey, dann lassen wir die Kohlekraftwerke eben weiterlaufen, kaufen Flüssiggas und vergessen die Klima­krise. Würden wir so handeln, würden wir unsere Ideale verraten. Wir baden heute aus, dass jahrelang keine vorausschauende Politik betrieben wurde und es nicht genug Energie aus Wind und Sonne gibt. In diesem Zwiespalt stecken wir gerade, und ich glaube, Robert Habeck schläft kaum noch, weil er versucht, Energie nach Deutschland zu bringen und gleichzeitig Klima und Naturschutz nicht aus dem Blick zu verlieren.

Schwarz-Grün ist das Modell der Stunde. Probieren Sie und Ihre Par­tei­ in NRW, was alles geht in Hinblick auf ein schwarz-grünes Bündnis auf Bundesebene?

Nö. Hier in Schleswig-Holstein hatten wir die Wahl zwischen Schwarz-Grün oder gar nichts – abgesehen von einer Neuauflage von Jamaika, die wir nicht wollten. In NRW haben sich die Parteien zusammengetan, die an Stimmen gewonnen hatten. Also: Wir gucken nicht taktisch, welche Optionen es gibt, sondern machen unseren Wahlkampf und wollen unsere Ziele erreichen. Dabei kriegen wir nicht immer das Maximalziel durch, aber wir regieren auch nicht um des Regierens Willen.

Sie haben bisher eine Blitzkarriere hingelegt – wann wird Kiel Ihnen zu klein?

Das wurde ich schon häufig gefragt, aber ich bleibe dabei: Ich will nicht weg, ich mache gern hier Politik. Der Job ist herausfordernd, und ich finde es krass, dass ich Sachen konkret verändern kann.

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