Hilfesystem für junge Flüchtlinge: Jugend-Notdienst ist überlastet

Aufnahme für junge Flüchtlinge seit Monaten überbelegt. Hilferuf der Beschäftigten: Den Kindern gehe es schlecht. Behörde dementiert Polizeieinsätze.

Drei ältere Jungen sitzen in einem Reisebus und gucken aus dem Fenster

Seit September schon reisen wieder deutlich mehr Minderjährige allein ein: Ankunft in Deutschland Foto: Hauke-Christian Dittrich

HAMBURG taz | Ein anonymer Hinweis wies dieser Tage die taz auf ­„aktuell prekäre Verhältnisse“ beim Hamburger Kinder & Jugendnotdienst (KJND) hin. Die Erstaufnahme für junge, unbegleitete Flüchtlinge in der Feuerbergstraße sei stark überbelegt. „Und keiner weiß mehr, wohin mit den in Obhut genommenen Kindern“, heißt es in dem ­Schreiben. Es gebe viele Gewaltmeldungen und Polizeieinsätze. „Den verwahrten Kindern geht es schlecht.“

Die taz hat ferner Kenntnis von einer behördeninternen Mail, die schon Ende Mai vor einer Zuspitzung warnte und die Jugendämter aufforderte, sich bei freien Trägern der Jugendhilfe um Plätze für die Kinder zu bemühen.

Der Notdienst besteht aus drei Abteilungen: einem Mädchenhaus mit elf Plätzen, einer allgemeinen Unterbringung für Kinder ab zehn Jahren mit maximal 46 Plätzen und besagter „Erstaufnahme“ für unbegleitete junge, männliche Kinder und Jugendliche ab acht Jahren mit 44 „betriebserlaubten“ Plätzen.

So steht es jedenfalls in der Antwort auf eine Linken-Anfrage von Ende Juni, in der Hamburgs Senat die hohe Belegung bestätigt. Die städtische Einrichtung ist die einzige in Hamburg, die Kinder nicht abweisen darf und aufnehmen muss.

Personalschlüssel ist deutlich schlechter

Die Hinweisgeber, die ­anonym bleiben wollen, berichten, dass die Heimaufsicht der KJND-Erstaufnahme eigentlich vor etwa zwei Wochen einen Belegungsstopp auferlegt habe. Dies habe sie aber auf Ansage der Behördenleitung zurücknehmen müssen und sei nun angewiesen „die Füße still zu halten“.

Wie aus der Linken-Anfrage hervorgeht, gibt es zudem keine Gleichbehandlung der Kinder und Jugendlichen im Betreuungsschlüssel. So ist im Idealfall für die inländischen Kinder ein Personalschlüssel von 1:1,09 vorgesehen, für die eingereisten Kinder ein Schlüssel von 1:5 – ein deutlich schlechteres Betreuungsverhältnis also für die ausländischen Kinder.

Für die 44 aktuell erlaubten Plätze für allein aus dem Ausland eingereiste Kinder und Jugendliche gibt es auf dem Papier nur 18 Pädagogenstellen, von denen aber zudem Ende Juni viereinhalb unbesetzt waren. Also leisten faktisch 13,5 Fachkräfte die Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Hinzu kommen Krankenfehltage und Fluktuation. Das führte offenbar zu diesem Hilfe­ruf.

Stellen spät ausgeschrieben

Der Senat räumt in der Anfrage ein, dass vier dieser Stellen erst im Mai ausgeschrieben wurden. „Die Bewerbungsfrist läuft noch.“ Der ohnehin magere Stellenschnitt war bis dahin noch nicht angepasst worden, obwohl seit September 2021 im Zuge des Afghanistan-Abzuges die Zahlen deutlich anstiegen.

Auf Anfrage der taz erklärt die Sozialbehörde, dass im März 107, im April 62, im Mai 77 und im Juni 66 Kinder und Jugendliche in der Erstaufnahme waren. „Es handelt sich dabei um die insgesamt im Monat betreuten, nicht um gleichzeitig betreute Personen“, sagt Sprecher Martin Helfrich. In der Regel liege die Verweildauer bei vier Wochen. Aktuell, Stand Mitte Juli, seien dort 32 junge Menschen untergebracht, so der Sprecher. Laut jenen Hinweisgebern ist die Lage trotzdem prekär.

Helfrich berichtet, es seien in den letzten Monaten viele junge Geflüchtete aus Afghanistan und der Ukraine gekommen. Die Überschreitung der vorgesehenen Belegung sei „durch die Heimaufsicht genehmigt“. Gefragt, ob es stimme, dass die Heimaufsicht einen Belegungsstopp zurückziehen musste, sagt er: „Die Behördenleitung war mit den diesbezüglichen Entscheidungen nicht befasst.“ Auch Polizeieinsätze habe es nicht gegeben. Nur eine Gewalttat sei bekannt.

Besagte Personalstandards ergäben sich daraus, dass die Unterbringung in der Erstaufnahme nur vorübergehend sei. Allerdings halten sich die jungen Geflüchteten laut Daten aus der Linken-Anfrage dort im Schnitt sogar länger auf als die inländischen KJND-Kinder in ihrer Unterbringung.

Zwei-Klassen-System der Jugendhilfe?

Die Linken-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus will nun noch mal eine Anfrage stellen, um Licht in die Sache zu bringen. Sie wolle hier niemanden an den Pranger stellen, aber generell müsse dieses Hilfesystem auf den Prüfstand. „Man müsste überlegen, ob die Kapazitäten ausreichen und ob der KJND nicht besser dezentral organisiert wäre.“

Der frühere Jugendreferent der Linken und heutige Straßenkinder-Botschafter Ronald Prieß sieht zudem das Problem einer „Zwei-Klassen-Jugendhilfe“. So seien die Personalstandards auch in den Folgeeinrichtungen für junge Geflüchtete schlechter. Ermöglicht werde dies durch den Einsatz von Sicherheitsdiensten. Prieß: „Das ist fachlich inakzeptabel.“

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