Hohe Inflation: „Verdeckte Armut“ erschwert Hilfen

Angesichts der starken Teuerung fordern Diakonie und DIW-Institut mehr Staatszuschüsse für arme Haushalte. Zielgenauigkeit bleibt ein Problem.

Ein alter Mann trägt eine Rot-weiß gepunktete Einkaufstasche

Rent­ne­r:in­nen würden kaum von dem 100-Euro-Zuschuss-Vorschlag profitieren, so eine Studie Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

BERLIN taz | Angesichts der Preisentwicklung fordern der Sozialverband Diakonie und der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, weitere Entlastungen für einkommensschwache Haushalte. „Wir sehen derzeit eine höchst unsoziale Inflation“, erklärte Fratzscher am Mittwoch in Berlin.

Eine von der Diakonie in Auftrag gegebene Studie des Consulting-Unternehmens DIW Econ, einer DIW-Tochterfirma, zeigt nun, dass das ärmste Fünftel der Bevölkerung nahezu zwei Drittel seiner Konsumausgaben für die Preistreiber Nahrungsmittel, Wohnen und Haushaltsenergie aufwenden müsse und daher besonders unter der Inflation leide. Ein Drittel der Menschen in Deutschland, mehr als in fast allen anderen Ländern Europas, habe „praktisch kein Erspartes“, auf das sie zurückgreifen könnten, um 150, 200 Euro mehr im Monat stemmen zu können, erläuterte Marcel Fratzscher.

Der DIW-Präsident unterstützte den Vorschlag der Diakonie, wonach Haushalte, die Wohngeld, Kinderzuschlag, Hartz-IV-Leistungen oder Grundsicherung im Alter beziehen, für einen Zeitraum von sechs Monaten 100 Euro pro Monat an staatlicher Hilfe erhalten sollen, um die Folgen der Inflation abzufedern. Die Inflationsrate hatte im Juni 7,6 Prozent betragen, das war etwas weniger als die 7,9 Prozent im Mai, so die Zahlen des Statistischen Bundesamts vom Mittwoch.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie forderte die Bundesregierung auf, eine „Notlage von nationaler Tragweite“ zu beschließen, um dann den Zuschuss mit Gesamtkosten von 5,4 Milliarden Euro festzulegen. Dieser würde die bisher schon vorliegenden Entlastungspakete in Höhe von 30 Milliarden Euro ergänzen.

Anhand der Studie zeigte sich allerdings, dass Rent­ne­r:in­nen kaum von dem 100-Euro-Zuschuss profitieren würden. Hier zeige sich das Phänomen der „verdeckten Armut“, sagte Maximilian Priem von DIW Econ. Da Rent­ne­r:in­nen trotz sehr kleiner Einkommen oft weder Grundsicherung noch Wohngeld beantragen, würden sie – wie auch bei der Energie-Pauschale – nicht die Voraussetzungen für den 100-Euro-Zuschuss erfüllen.

Der Vorschlag der Diakonie beziehe sich auf eine bestimmte Gruppe, ergänzte Fratzscher. Aber auch viele Menschen in der Mittelschicht seien extrem belastet durch die Inflation. Deshalb müsse die Politik weitere Maßnahmen erarbeiten. Fratzscher sprach sich unter anderem für einen Preisdeckel für Heizenergie bis zu einer bestimmten Verbrauchsgrenze aus.

Der DIW-Präsident räumte ein, dass von dieser Preisdämpfung dann auch wohlhabende Haushalte profitieren würden. Das sei der Preis dafür, bedürftigen Menschen helfen zu können. Die Sozialsysteme in Deutschland hätten das Problem, nicht zielgenau genug agieren zu können. Zur bedarfsgerechten Entlastung aller Bedürftigen brauche es eine Daten-Infrastruktur, die sicherstelle, dass niemand durchs Raster falle. Er sprach sich für eine Datenbank auf Bundesebene aus, die Informationen der Steuer- und Sozialbehörden zu Haushaltszusammensetzung und Einkommenssituationen zusammenführen und so unbürokratische Auszahlungen ermöglichen könnte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.