Sandabbau nur grün gewaschen

Die Bau- und Rohstoffindustrie in Niedersachsen feiert sich für Nachhaltigkeit – und wirbt zeitgleich für mehr Abbaugenehmigungen. Die Baugewerkschaften spielen das Spiel mit

40 Millionen Tonnen Sand und Kies werden pro Jahr in Niedersachsen gewonnen Foto: Roland Weihrauch/dpa

Von Lotta Drügemöller

Es klingt nicht schlecht, was der Verband der Bau- und Rohstoffindustrie (Vero) und die Gewerkschaft IG BAU da in ihrer Pressemitteilung zum „sozialen Sand“ versprechen: Durch die Verabschiedung einer Sozialcharta beginne in Niedersachsen „eine neue Ära in der Rohstoffgewinnung für den Bau“. Man habe einen „,Branchen-Deal’ mit sozialem und ökologischem Akzent“ verabschiedet. „Ziel ist es, Baumaterial grüner zu machen. Es geht dabei um die Reduzierung von CO2-Emissionen. Aber auch darum, das Recycling auf dem Bau voranzubringen“, wird Nico Steudel, niedersächsischer Landesvorsitzender von Vero, zitiert.

Schön sozial, schön grün, schön, schön – wer die Abschluss­erklärung allerdings nach konkreten Vorschlägen durchsucht, wird nur zur Hälfte fündig: Arbeitsschutz, Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung haben ihren Weg in die Erklärung gefunden. „Die Charta ist ein Riesen-Fortschritt für die Arbeitnehmerrechte“, freut sich Eckhard Stoermer, Regionalleiter der IG BAU.

Was fast völlig in der Charta fehlt, ist aber die versprochene ökologische Nachhaltigkeit. Einen kleinen Hinweis gibt es: Man müsse „verantwortlich mit den vorhandenen Ressourcen umgehen“, schreiben die Ver­fas­se­r*in­nen unter Punkt 15. Und: „Gemeinsam mit den Umweltverbänden im Sozialen Dialog Niedersachsen müssen wir erarbeiten, was Nachhaltigkeit heißt“, steht dort unbestimmt. Das Wort Recycling kommt nicht einmal vor.

Etwa 90 Prozent der alten Baustoffe lassen sich mittlerweile durch Recycling aufbereiten. Klingt viel, die Rechnung aber hat einen Haken: In Bau- und Straßenprojekten werden nur zwischen sechs und 17 Prozent der benötigten Baustoffe durch Recyclingmaterial ersetzt, der Rest besteht aus frisch geförderten Materialien. Der Naturschutzbund (Nabu) etwa fordert deshalb neue Baustandards, die einen höheren Recyclinganteil erlauben.

Statt selbst konkrete Schritte hin zu mehr wiederverwendeten Materialien zu unternehmen, weisen Vero und die Baugewerkschaften mit ihrer Sozialcharta in die genau entgegengesetzte Richtung: Sie wollen mehr Abbaurechte. Unter Punkt 14 der Charta heißt es: „Zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit und zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Unternehmen wird zugesichert, grundsätzlich Genehmigungs- und Raumordnungsverfahren auch öffentlich zu unterstützen.“

Wer hier was zusichert, ist durch die Passivkonstruktion verschleiert – sinnvollerweise kann aber nur die Gewerkschaft gemeint sein, das Versprechen ergibt vom Industrieverband selbst wenig Sinn. Schon in der Presseerklärung zur Charta fordern die Unterzeichnenden, mehr Abbauflächen zu genehmigen – und zwar „schlanker, schneller und effektiver“.

Was fast völlig in der Charta fehlt, ist aber die versprochene ökologische Nachhaltigkeit

Haben sich die Gewerkschaften die sozialen Versprechen des Unternehmensverbandes also mit gemeinsamer Lobbyarbeit gegenüber der Politik erkauft? Die Gewerkschaft weist den Vorwurf zurück: „Wir sind die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt“, sagt Stoermer. „Umwelt steckt uns im Namen. Natürlich gilt die Zusicherung nur, solange das mit unserer Satzung vereinbar ist.“ Es sei aber auch klar: Wenn die Unternehmen nicht weiter abbauen könnten, dann stünden sie vor dem Aus – und mit ihnen die Belegschaft.

Die Kooperation von Industrie und Gewerkschaften scheint erfolgreich: „Niedersachsen wollte die Abbaurechte stark einschränken“, erzählt Stoermer. „Wir haben gemeinsam intensiv dran gearbeitet, auf die Politik Einfluss zu nehmen.“ Tatsächlich werden in neueren Entwürfen für eine neue Landesraumordnung Flächen wieder für den Rohstoffabbau freigegeben. Im Falle des umstrittenen Gipsabbaus wurde zuletzt ein Entwurf bekannt, der die Förderung in Zukunft in zusätzlichen Gebieten erlauben würde.

Dass sich ein Industrie­verband für seine Interessen einsetzt, ist normal. Der Mangel an Nachhaltigkeit in der Charta wäre kaum aufgefallen, hätte die Pressemitteilung nicht anderes versprochen. Auch sonst bemüht sich Vero um einen grünen Anstrich – und arbeitet erfolgreich mit NGOs zusammen: Gemeinsam mit dem Nabu, so schreibt der Verband, habe man in Niedersachsen verabredet, das Thema „heimische Rohstoffgewinnung dauerhaft in Unterrichtsmaterialien zu verankern“. Und in Nordrhein-Westfalen haben die Kooperationen schon handfeste Erfolge gehabt: Die Einführung einer Rohstoffabgabe konnte man „seinerzeit im Schulterschluss mit den Gewerkschaften und Umweltverbänden verhindern“.