SPD-Chefin Esken über Entlastungen: „Es fehlt uns nicht am Geld“

Appelle zum Energiesparen? Davon hält Saskia Esken wenig. Stattdessen fordert die SPD-Chefin mehr Hilfe für Ärmere – und Zugeständnisse von der FDP.

Saskia Esken blickt in die Kamera

Will Mahnerin für Verteilungsgerechtigkeit sein: SPD-Chefin Saskia Esken Foto: F. Kern/Snapshot

taz: Frau Esken, duschen Sie gern kalt?

Saskia Esken: Nur wenn es unbedingt sein muss.

Müssen wir alle bald häufiger kalt duschen, wenn kein Gas mehr aus Russland fließ t?

Appelle sind aus meiner privilegierten Position wohlfeil und reichen allein nicht aus. Menschen mit geringen Einkommen haben sich schon vor der Krise im Alltag einschränken müssen. Diesen Menschen muss niemand erklären, wie man spart. Diese Menschen brauchen dringend Unterstützung. Davon abgesehen sollten wir uns alle bemühen, nach Kräften Energie zu sparen, um das Klima zu schonen, um uns aus der Abhängigkeit von Russland zu befreien und natürlich auch um Kosten zu sparen.

Brauchen wir ein drittes Entlastungspaket, das gezielt Menschen mit geringen Einkommen hilft?

Die Bundesregierung hat gerade Entlastungen im Umfang von über 30 Milliarden beschlossen, die breit wirken. Zum 1. Juli wurde etwa die EEG-Umlage abgeschafft, dadurch werden Strompreise für alle wesentlich günstiger. Grundsicherungsempfänger haben eine Einmalzahlung erhalten, Familien einen Kinderbonus, Wohngeld- und BaföG-Empfänger einen Heizkostenzuschuss. Zum ersten Juni kamen der Tankrabatt und das sehr erfolgreiche Neun-Euro-Ticket, über dessen Weiterentwicklung ja schon munter debattiert wird. Und es stehen noch die 300 Euro Energiepreispauschale aus, die alle Erwerbstätigen erhalten.

Die Pauschale muss versteuert werden, aber um die 174 Euro bekommen auch Gutverdiener wie Sie. Brauchen Sie das Geld, Frau Esken?

Nein. Wir haben diskutiert, ob wir die Pauschale auf bestimmte Einkommen begrenzen, aber das hätte die Sache komplizierter gemacht, deshalb haben wir uns entschieden, soziale Gerechtigkeit über die Steuerprogression zu erreichen. Gerade für Geringverdiener – auch für Selbständige oder Minijobber, die wir damit ebenfalls erreichen – ist das eine erhebliche Unterstützung.

Reichen diese Maßnahmen bei knapp acht Prozent Inflation aus?

Das ist tatsächlich eine wichtige Frage, die ja auch damit zu tun hat, wie lange die Belastung andauert. Denn selbst wenn die Inflation sich normalisieren sollte, werden die Preise hoch bleiben. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass Menschen mit niedrigen Einkommen dauerhaft Unterstützung bekommen. Das kann aber nicht alleine der Staat leisten. Die Löhne müssen steigen.

12 Euro Mindestlohn reichen nicht aus?

Der Mindestlohn stellt eine Haltelinie nach unten dar. Ab Oktober wird er wesentlich erhöht, und wir erreichen damit eine Lohnsteigerung für über 6 Millionen Beschäftigte. Das ist großartig, aber natürlich ist das aber auch weiterhin kein Einkommen, das für ein gutes Leben reicht. Und die Inflation bringt auch Familien im Durchschnittseinkommen in Nöte. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass vor allem die unteren und mittleren Einkommen wesentlich erhöht werden. Im Tarif ist das Angelegenheit der Tarifpartner. Leider sinkt die Tarifbindung seit Jahren, für nicht einmal die Hälfte der Ar­beit­neh­me­r:in­nen gilt ein Tarifvertrag. Das ist vor allem im Osten ein Riesenproblem. Im Einzelhandel werden lausige Löhne bezahlt, obwohl einige – nicht alle – Unternehmen gerade in den letzten zwei Jahren dort richtig gutes Geld verdient haben.

Treiben steigende Löhne nicht auch die Preise in die H ö he?

Nein. Sogar der Arbeitgeberpräsident sagt, dass die Löhne derzeit nicht der Preistreiber sind. Im Gegenteil richtet der Kaufkraftverlust der unteren Einkommensgruppen nicht nur sozialen, sondern auch volkswirtschaftlichen Schaden an. Durch steigende Niedriglöhne lösen wir ganz unmittelbar eine Lohn-Kaufkraft-Spirale aus, die die Binnennachfrage stärkt. Deswegen warne ich vor zu geringen Lohnabschlüssen.

Die Politik kann nur appellieren, die Einkommen anzuheben. Mehr nicht.

Auf die Tarifbindung können wir mit einem Bundestariftreuegesetz Einfluss nehmen. Der Bund ist ein großer Kunde. Wenn er Tarifbindung als Bedingung vorgibt, ist das ein starkes Signal. Auch die Konzertierte Aktion muss sich aus meiner Sicht zum Ziel setzen, die Tarifbindung in den großen Branchen wieder wesentlich zu erhöhen. Die EU gibt uns als Zielmarke 80 Prozent vor – ich wäre mit einer Erhöhung von 50 auf 70 Prozent aber schon sehr glücklich.

Ist es nicht ein wenig optimistisch, zu hoffen, dass die Tarifbindung die seit Jahrzehnten sinkt, binnen weniger Monate auf 70 Prozent steigt?

Der Bundeskanzler hat Kapital und Arbeit zur Konzertierten Aktion eingeladen, weil er in der aktuellen Situation mit horrenden Preissteigerungen, unterbrochenen Lieferketten und weiteren wirtschaftlichen Störungen eine gesamtgesellschaftliche Vorgehensweise vereinbaren will. Es geht darum, Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und den sozialen Frieden zu bewahren. Eine starke Tarifbindung, wie wir sie in Deutschland lange Zeit genießen durften, war immer ein Garant für sozialen Frieden. Olaf Scholz hat vom Unterhaken gesprochen. Die Erhöhung der Tarifbindung wäre ein deutliches Signal des Unterhakens.

Die Politikerin

Saskia Esken ist seit 2019 SPD-Co-Chefin. Sie gehört dem linken Flügel der Partei an.

Das macht ihr Angst

„Keine Angst, aber große Sorge bereitet mir das weiteres Auseinanderdriften unserer Gesellschaft aufgrund der Auswirkungen der weltweiten Krisen.“

Das macht ihr Hoffnung

„Dass wir mit Olaf Scholz einen klugen und besonnenen Kanzler haben, der mit seinem kooperativen Führungsstil sicher durch die Krisen führt.“

Ihre Parteifreundin, die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi schlägt vor, dass jede Bür­ge­r:in ein Grundkontingent Energie zu einem Festpreis erhält. Wer mehr verbraucht, muss dafür den Marktpreis zahlen. Ein guter Vorschlag?

Ein solcher Preisdeckel wäre durchaus hilfreich und sinnvoll, aber nur wenn wir ihn langfristig halten können und nicht nur für wenige Monate. Eine solche Maßnahme käme den Staat sehr teuer zu stehen, würde aber auch ein bisschen nach dem Prinzip Gießkanne entlasten. Denn der günstige Preis käme ja allen zugute.

Sie sind also skeptisch?

Ich bin der Meinung, dass wir gezielt entlasten und zudem Sicherheit geben müssen, wo es am dringendsten gebraucht wird. Sicherheit bietet beispielsweise ein Kündigungsmoratorium. Wer jetzt die Miete oder Rechnungen für Strom und Gas nicht zahlen kann, darf nicht sofort aus dem Vertrag fallen. Bei Hartz-IV-Empfängern werden die Heizkosten ja übernommen. Da müssen wir sicherstellen, dass die Ämter die in voller Höhe bezahlen. Den Heizkostenzuschuss für die Empfänger von Wohngeld und BaföG haben wir ja auch verdoppelt. Es ist aber gut möglich, dass ein weiterer Zuschuss nötig wird.

FDP-Finanzminister Christian Lindner hat aber schon klar gesagt, dass es mit ihm keine weiteren Entlastungen in diesem Jahr geben wird. Akzeptiert die SPD das?

Wenn wir sehen, dass weitere Entlastungen nötig sind, dann werden wir darüber sprechen. Dann wird auch der Finanzminister Wege finden müssen, damit umzugehen.

Christian Lindner möchte lieber die kalte Progression abbauen, also den Effekt, dass man mit steigendem Lohn in einen höheren Steuersatz rutscht. Sind Steuererleichterungen in ihren Augen eine zielgerichtete Entlastung?

Von Steuersenkungen profitieren doch immer die am meisten, die sehr viel verdienen, während das untere Drittel der Erwerbstätigen, die wegen ihres geringen Einkommens gar keine Lohnsteuer zahlen, gar nichts davon haben. Dieser FDP-Vorschlag geht also in die völlig falsche Richtung. Er ist sehr teuer und steht im Übrigen auch nicht im Koalitionsvertrag.

Sagen Sie das im Koalitionsausschuss auch so Herrn Lindner? Oder nennen Sie ihn Christian?

Ich nenne ihn Christian.

Sagen Sie also: 'Christian, das war so nicht abgemacht?

Wenn die FDP jede Überlegung, wie höhere Einkommen zur Finanzierung der notwendigen Investitionen beitragen können, mit „das steht nicht im Koalitionsvertrag“ abtut, dann braucht sie auch Ideen zur Entlastung von Gutverdienern nicht in Talkshows vortragen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Im Koalitionsvertrag steht aber die Kindergrundsicherung. Wann kommt die?

Anders als die große HartzIV-Reform hin zum Bürgergeld schaffen wir das sicher nicht zu Beginn des Jahres 2023. Die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung ist nicht trivial. Die große Herausforderung wird sein, dass sie nicht nur auf Antrag bezahlt wird, sondern wir automatisch alle so erreichen, wie sie es brauchen.

Also kommt die Kindergrundsicherung erst in zwei, drei Jahren?

Die Konzepte von SPD und Grünen liegen ja schon lange vor, jetzt wird zwischen den Ressorts und den Fraktionen beraten. Zur Überbrückung haben wir jetzt für alle Kinder in der Grundsicherung und im Kinderzuschlag einen Sofortzuschlag von 20 Euro pro Monat vereinbart, als Abschlag auf die Kindergrundsicherung.

Im Konzept der SPD ist von einem Grundbetrag von 250 Euro und einem Maximalbetrag von 478 Euro die Rede. Sind das die Summen, mit denen Familien dann rechnen k ö nnen?

Diese Berechnungen sind ja schon etwas älter. Seitdem haben wir es mit massiv steigenden Preisen zu tun. Es ist vollkommen klar und ich werde notfalls dafür streiten, dass wir die Familien besonders schützen, die unter den Folgen der Pandemie und der Inflation leiden.

Das heißt die Kindergrundsicherung wird am Ende h ö her sein? Im Konzept der Grünen ist von einem Grundbetrag von 280 Euro und einem Maximalbetrag von 503 Euro die Rede.

Wir werden uns in der Koalition dazu einigen, zwischen den Ressorts und den Fraktionen und – wenn nötig – auch im Koalitionsausschuss.

Zu Beginn des Jahres 2023 soll das Bürgergeld für Menschen die derzeit Hartz IV beziehen kommen. Klappt das?

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat angekündigt, im Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen. Ich bin sicher, dass ihm das gelingt.

Die Wohlfahrtsverbände haben ausgerechnet, dass der Satz von derzeit 450 auf über 600 Euro steigen müsste, um armutsfest zu sein. Wie hoch soll die Grundsicherung für die 3,8 Millionen Berechtigten denn sein?

Zunächst einmal steckt in der Reform vor allem ein grundsätzlich anderer Umgang des Sozialstaats mit den Menschen, die seine Unterstützung benötigen. Wir werden das Sanktionsregime überarbeiten, die Zuverdienstregeln verbessern und die Bereitschaft zur Weiterbildung honorieren. Wir müssen aber auch die Berechnung der Regelsätze grundlegend ändern. Derzeit bezieht sich das Berechnungsmodell als Referenz auf die unteren 20 Prozent der Einkommensgruppen und rechnet bestimmte Bedarfe, zum Beispiel Energiekosten raus. Wir müssen also den Warenkorb verändern und die Berechnung muss sich mindestens auf die unteren 30 Prozent der Einkommensgruppen beziehen. Auf diesem Weg werden auch die Regelsätze wesentlich steigen.

Eine Erhöhung der Regelsätze um 10 Prozent kostet etwa 14 Milliarden Euro. Die Kindergrundsicherung kostet laut Ifo-Institut bis zu 37 Milliarden Euro pro Jahr. Woher soll das ganze Geld kommen? Im Koalitionsvertrag sind keine Summen genannt.

Es fehlt in unserem Land nicht am Geld.

Aha.

Ja. Deutschland ist ein sehr reiches Land. Das Vermögen der Allerreichsten ist in den letzten beiden Jahren der Corona-Pandemie um 20 Prozent gestiegen. In einer Phase, in der viele Menschen in existentieller Not waren.

Die SPD hat ja im Wahlprogramm eine Vermögenssteuer für Superreiche vorgeschlagen. Die steht allerdings auch nicht im Koalitionsvertrag.

Die SPD wird in dieser Koalition auch weiterhin Mahnerin für Verteilungsgerechtigkeit sein, dafür stehe ich auch persönlich grade. Deswegen werden wir auch immer wieder den Finger heben und darauf hinweisen, dass sehr hohe Einkommen und sehr hohe Vermögen einen höheren Beitrag zum Gemeinwesen leisten müssen.

So häufig hat man diesen Finger in den letzten Monaten nicht gesehen.

Das kann man nun wirklich nicht sagen. Die Diskussion um die Übergewinnsteuer hat das gezeigt und ich werde nicht müde, diese Verteilungsfrage deutlich hörbar zu stellen.

Und was sagt Ihr Parteifreund Olaf dazu?

Wie sie selbst sagen, die Vermögenssteuer steht in unserem Wahlprogramm, dessen Autor auch Olaf Scholz ist. Wir sind uns da einig, mit ihm muss ich darüber also nicht sprechen. Die Frage der Finanzierung unserer Zukunftsaufgaben und der Bewältigung der Krisen werden wir in der Koalition klären. Wenn Kindergrundsicherung und Bürgergeld als Konzepte auf dem Tisch liegen, dann werden wir auch über die Finanzierung sprechen.

Gehen die Vorstellungen von FDP einerseits und SPD und Grünen andererseits nicht gerade massiv auseinander? Der FDP ist es wichtig keine neuen Schulden zu machen und keine Steuererhöhungen zuzulassen, SPD und Grüne dringen auf teure Projekte wie Bürgergeld und Kindergrundsicherung.

In dieser Koalition haben sich drei unterschiedliche Parteien zusammengefunden. Wir haben über alle Verschiedenheit hinweg aber wichtige Zukunftsprojekte vereinbart, die wir gemeinsam verfolgen. Insofern ist es kein Drama, dass wir uns bei bestimmten Themen immer wieder einigen müssen. Dass es Unterschiede zwischen den Beteiligten gibt, darf auch immer wieder deutlich werden – die sind das Salz in der Suppe. Gleichzeitig muss man sagen: Keine Regierung seit 1949 hat eine so dramatische Situation vorgefunden wie wir. In so einer Situation müssen alle bereit sein, Zugeständnisse an die aktuelle Situation zu machen. Das gilt auch für die FDP.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.