Solidarische Grüße aus der Zukunft

Wir schreiben das Jahr 2042. Im Posteingang findet sich eine Videobotschaft zum 50. Jubiläum der taz Genossenschaft

Von Michael Barker
und Nicola A. Mögel

Liebe Genoss*innen,

50 Jahre taz Genossenschaft, das ist ein halbes Jahrhundert gemeinsamen Wegs für unabhängigen Journalismus. Die Mitgliedszahlen haben sich positiv entwickelt, wir hoffen bald un­se­re*n 100.000 Ge­nos­s*in begrüßen zu können. Auch das ist ein guter Anlass, auf diesen Weg zurückzublicken. Ich bin ein alter Mann, deshalb erlaubt mir einen persönlichen Einstieg.

Es war im Hitze- und Dürresommer 2022, also vor 20 Jahren, als die taz Genossenschaft ihren 30. Geburtstag feierte. Ein Team von Ge­nos­s*in­nen wurde zur freundlichen Übernahme eingeladen und gestaltete den Gesellschaftsteil einer Wochenendausgabe zum Thema Solidarität. Viel Originelles war dabei, bisschen Murks auch. Auf jeden Fall eine kreative Aktion. Diese Ausgabe und ihre Botschaft erreichten mich genau im richtigen Moment: Ich war gerade 60 geworden, finanziell unabhängig und sozial engagiert. Meine Kinder gingen ihre eigenen Wege, der Job lief fast nebenbei ohne große Anstrengung. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass mir etwas fehlte. Ein wichtiges gesellschaftliches Element, das wurde mir nach und nach immer klarer: breit gefächerte, unabhängige Information zu den Themen, die mich interessieren, mit Köpfchen, Engagement und auch mal augenzwinkernder Selbstkritik. Und vor allem mit dem Blick für Menschen und Gruppierungen, die im Abseits stehen, deren Situation und Bedürfnisse im Medienalltag meist unter den Tisch fallen.

Damals haben wir die weltweiten Krisen noch für begrenzt und beherrschbar gehalten – im dritten Jahr der Coronapandemie, im ersten Jahr des Ukrainekriegs und in dem Jahr, als das 1,5-Grad-Klimaziel endgültig über Bord geworfen werden musste. Komplexe und globale Themen beherrschten die Medien, und ich erkannte: Den kritischen, unabhängigen Journalismus der taz braucht es mehr denn je.

Den Redakteur:innen, dem Geno-Team, der Kantine –

Danke von

Erst habe ich nur mein Abo auf den politischen Preis upgegradet. Damals wurde die Zeitung tatsächlich noch auf Papier gedruckt, der Wegfall der Print-Ausgabe an Wochentagen war allerdings schon in Vorbereitung. Das hatte zwar einen ziemlichen Aufruhr in der Leser*innen- und Ge­nos­s*in­nen­schaft verursacht, war am Ende aber doch argumentativ überzeugend und hat der taz neuen wirtschaftlichen Freiraum verschafft. An der zweiten App-Version wurde noch gefeilt und Smartphones passten noch in Hosentaschen, im taz-Haus saßen die Blatt­ma­che­r*in­nen vor Bildschirmen und Tastaturen. Dann kam der Aufruf: Werde doch Genosse, zeichne einen Anteil und bringe dich aktiv ein! Das habe ich kurzentschlossen gemacht, die Kohle hatte ich ja flüssig und die Leute vom Geno-Service waren total freundlich. Ich musste denen tatsächlich ein unterschriebenes Blatt Papier mit der Briefpost schicken, könnt ihr euch das vorstellen?

Bei meiner ersten Mitgliederversammlung ging es ganz schön hoch her, als grauhaarige Eminenzen in der ersten Reihe schalteten sich Christian Ströbele und Jony Eisenberg ein. Die Debatte um einen Satzungsänderungsantrag, den ich schon längst vergessen habe, war dann aber echt ermüdend.

Seit nunmehr 20 Jahren hat die taz also einen festen Platz in meinem Alltag, ich liebe den schrägen Humor von „verboten“ und wische vom Titel immer erst einmal auf die Wahrheit zum „touché“. Was auf den Seiten dazwischen steht, war oft gut recherchiert, originell, frisch aufgemacht. Immer wieder musste ich mich aber auch aufregen, etwa wenn die taz ihre Häme über Kirchen-Affine ausgießt oder grüne Stereotype unkritisch tradiert. Ich habe angefangen, Kommentare und Leserbriefe zu schreiben, die allerdings nur selten im Blatt landeten. Ein Mensch hatte auf jeden Fall immer ein offenes Ohr für mich: Konny von der Geno. Echt schade, dass sie sich nach unserem Jubiläum wirklich in den Ruhestand verabschieden möchte, auch wenn Steffi und die anderen 15 vom Geno-Team unsere Anfragen und Anregungen genauso engagiert entgegennehmen und uns mit Infos versorgen.

„Ich finde es gut, wie taz und Genossenschaft mit der Zeit gegangen sind“

Ich finde es gut, wie taz und Genossenschaft mit der Zeit gegangen sind: Cloud-Diktatsystem, neue Klimaanlage, zugewachsene Dachterrasse, Einzug von Geflüchteten in die nicht mehr benötigte Etage, ein erweiterter Außenbereich der Kantine. Ihr könnt euch wahrscheinlich nicht vorstellen, dass die Friedrichstraße früher für den Autoverkehr freigegeben war. Keine schlechte Ausgangslage also. Oldies wie ich müssen irgendwann abtreten. Macht was draus – und vielleicht lädt mich ja noch mal jemand ein, um an einer besonderen Ausgabe zum nächsten Geburtstag mitzuschreiben? Ich würde auf jeden Fall kommen …

Mit solidarischen Grüßen

Euer Durchschnittsgenosse 2022