orte des wissens
: Medizin-Geschichte auf dem Seziertisch

Errungenschaften und Verbrechen der Heilkunst zeigt das Medizinhistorische Museum in Hamburg

Viel Raum für gruselige Fantasie lässt er, der sterile Sektionssaal im Hamburger Medizinhistorischen Museum. Groß ist er und leer, hell erleuchtet mit Glasdach, nur diese acht steinernen Sektionstische stehen dort mit den Waschbecken am Kopfende und ein paar Lampen drüber, auf denen man in Gedanken sofort die Toten liegen sieht.

Früher war in diesem von außen ein wenig düster wirkenden roten Backsteinbau, dem 1926 eröffneten Fritz-Schumacher-Haus auf dem Gelände des Universitätsklinikums im Stadtteil Eppendorf (UKE), das Pathologische Institut untergebracht. Seziert wurden die Toten hier auch, um zu lernen und mehr in Erfahrung zu bringen über Seuchen und Wege, sie zu bekämpfen: Pest, Cholera, Spanische Grippe. Auch heute noch wird hier geforscht, kommen Studierende her und beschäftigen sich mit der Geschichte der Medizin. Direkt neben dem großen Sektionssaal liegt der kleine: in der Mitte ein Tisch, drei Reihen mit Stehplätzen für Zu­schaue­r*in­nen davor.

Vor zwölf Jahren wurde das Museum eröffnet, Gründungsdirektor war der Arzt, Medizinhistoriker und -ethiker Heinz-Peter Schmiedebach, Experte auf dem Gebiet der Hamburger Medizin- und Psychiatriegeschichte und damals Direktor des ebenfalls im Haus ansässigen Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Seit 2017 leitet es der Medizinhistoriker Philipp Osten.

Einen Einblick in die Errungenschaften der Medizin bekommt man hier, aber auch in das, was in ihrer Geschichte Schreckliches passiert ist. Man erfährt von der Macht der Medizin und von jenen, die sie für ihre Zwecke missbraucht haben. Die Dauerausstellung beschäftigt sich mit der „Entstehung der modernen Medizin“ und dokumentiert die Medizingeschichte vom 19. bis ins 21. Jahrhundert. Hautkrankheiten in Wachsmoulagen kann man da sehen, alte Röntgenapparate und Mikroskope. Man kann etwas lernen über Krankenpflege, Zahntechnik und die Rolle der Pharmaindustrie.

Seit 2017 ist der Lern- und Gedenkort „Medizinverbrechen im Nationalsozialismus“ Teil der Dauerausstellung. Zwei Jahre zuvor hatte der Hamburger Senat beschlossen, einen solchen Ort zu schaffen, der an die Hamburger Opfer von NS-“Euthanasie“, von Zwangssterilisationen und Humanexperimente erinnert. Am Konzept beteiligt waren dabei auch die Historiker Herbert Diercks und Detlef Garbe von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Um die Biografien der fast 5.000 Opfer geht es dabei und um die Täter*innen, aber auch um die ideologischen Grundlagen der Medizinverbrechen wie Eugenik und Rassenkunde. Als Mahnung an alle, die heute forschen: Viele der Ide­en­ge­be­r*in­nen der Me­di­zin­ver­bre­che­r*in­nen waren Wissenschaftler*innen. Robert Matthies