„All die unerfüllten Träume würdigen“

Als Musikerin und Bestseller-Autorin ist die Kanadierin Vivek Shraya bekannt. Beim Festival „Theaterformen“ präsentiert die trans* Künstlerin ihre erste Performance „How to Fail as a Popstar“

Foto: Theaterformen

Vivek Shraya

41, ist Musikerin, Schriftstellerin, Visual Artist und unterrichtet kreatives Schreiben an der University of Calgary.

2016 outete sie sich als trans* Frau.

Interview Hannah Reupert

taz: Frau Shraya, hatten Sie als Kind ein Idol?

Vivek Shraya: Ja, mein Nummer-eins-Popidol war Madonna. Ich hab wirklich zu ihr aufgesehen. Ich habe es geliebt, wie sie sich immer wieder neu erfindet, neue Styles ausprobiert und mit verschiedenen Leuten arbeitet.

Ihre Performance heißt „How to Fail as a Popstar“. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu inspiriert hat?

Ich habe das Stück geschrieben, als ich 38 war und realisiert habe: In diesem Alter ist realistisch gesehen der Zug abgefahren, als Popstar erfolgreich zu sein. Aber ich wollte etwas kreieren, um diesen Traum zu ehren – und das Scheitern dieses Traums. Ein Popstar zu sein, ist etwas Altersspezifisches, wie bei anderen Professionen auch. Als Tän­ze­r*in zum Beispiel musst du früh erfolgreich sein, deine Jugend ist entscheidend. So ist es auch mit Popstars. Mit 40 kannst du vielleicht noch als Mu­si­ke­r*in erfolgreich sein, aber nicht auf dem Level wie zum Beispiel eine Britney Spears.

Sie sind Musikerin, aber Sie schreiben auch Sachbücher und Romane und drehen Filme. Wie sieht Ihr künstlerischer Alltag aus?

Ich versuche, so viel wie möglich künstlerisch aktiv zu bleiben. Wenn man jung ist, gibt es diese Idee: Du machst die Kunst, wenn du dich inspiriert fühlst. Aber je älter ich werde, desto mehr realisiere ich, dass Kunst eine Disziplin ist, wie ein Muskel. In dem Sinne, wie du für deinen Körper ins Fitnessstudio gehst, musst du künstlerisch aktiv bleiben, um besser zu werden. Das bedeutet nicht immer, etwas zu kreieren. Ich liebe es, ins Theater zugehen, in Galerien – ich liebe es, die Kunst anderer zu sehen. Was auch immer ich regelmäßig tun kann, um in der kreativen Welt zu sein, entweder andere Künst­le­r*in­nen zu entdecken oder Kunst zu machen. Diese Dinge ermöglichen es dem kreativen Muskel, aktiv zu bleiben.

Glauben Sie, dass andere Künst­le­r*in­nen ähnliche Erfahrungen in der Musikindustrie gemacht haben? Oder ist Ihr Weg einzigartig?

Performance „How to Fail as a Popstar“: Fr, 8. 7., und Sa, 9. 7., 21 Uhr, Braunschweig, LOT-Theater; im Rahmen des Festivals „Theaterformen“ in Braunschweig: bis 10. 7., https://www.theaterformen.de

Ich denke es ist beides. Es ist natürlich etwas Einzigartiges, ein queeres PoC-Kind zu sein, das in einer Kleinstadt aufwächst und probiert, es zu schaffen. Aber ich glaube auch, dass die Idee des Scheiterns sehr universal ist. Viele Leute, nicht nur Künst­le­r*in­nen und Mu­si­ke­r*in­nen, haben Träume, mit denen sie nicht erfolgreich waren. Wir leben in einer Kultur, die es nicht erlaubt, diese Misserfolge zu betrauern. Immer, wenn man scheitert, soll man quasi gleich wieder zurück aufs Pferd springen, versuchen neu zu denken. Wir erlauben uns selbst nicht, das eigene Scheitern zu betrauern. Die meisten von uns haben oder hatten Träume, die nicht realisiert wurden. Dieses Stück ist für mich eine Geste, all diese unerfüllten Träume zu würdigen.

Wie ist die Performance jetzt entstanden?

Das Wichtigste für mich, weil ich auch Schriftstellerin bin: Ich wollte nicht nur vor dem ­Computer sitzen und ein Skript ­tippen, ich wollte einen anderen Ansatz. Und ich nehme diese Schreibaufgaben, aber ich nehme mich mit dem Handy auf und rezitiere die Story, als ob ich sie jemanden erzählen würde. Daraus entwickele ich ein Skript. Wenn du deine Stimme benutzt, um eine Geschichte zu erzählen, ist es so anders, als wenn du sitzt und sie tippst. Ich wollte mich selbst herausfordern, in einem anderen Style zu schreiben.