Drei Fußball-Akteurinnen über die EM: Das Spiel der Frauen bleibt anders

Der Frauenfußball kann mehr sein als ein Klon des Business der Männer. Auch eine durchkommerzialisierte EM kann emanzipatorische Kraft entwickeln.

Eine Spielerin bindet sich den Schuh mit Regenbogenschnürsenkeln

Wer spielt mit Regenbogenschnürsenkeln? Englands Ex-Kapitänin Steph Houghton fehlt bei der EM Foto: Michael Zemanek/BPI/Shutterstock/imago

Die eine war Kapitänin beim 1. FC Union Berlin und bearbeitet heute die gesellschaftlichen Phänomene der Fußballkultur. Die andere ist Fußballpublizistin und pflegt einen feministischen und intersektionalen Blick auf den Sport. Und die dritte war mal eine der besten Torhüterinnen des Landes, später beim Hamburger SV die erste Frau im Vorstand eines Männerbundesligisten und beteiligt sich heute aktiv an Reformbestrebungen im deutschen Fußball. Wir haben die drei nach dem Stand des Frauenfußballs vor der EM gefragt – und natürlich auch, welches Team Favorit auf den Titel ist.

„Noch geht es um andere Werte“

taz: Frau Budde, die EM soll das größte Frauensportevent in der Geschichte Europas werden. Was ändert sich dadurch und was nicht?

Ex-Kapitänin von Union Berlin und aktiv beim Verein Gesellschaftsspiele, der sich in der fußballpolitischen Bildung engagiert.

Greta Budde: Wenn ich in meinem Freundeskreis rumfrage, wissen außerhalb der Fußball-Bubble gar nicht so viele von dieser EM. Frauenfußball ist weiter eine Nische. Innerhalb der Nische hat die EM aber eine große Bedeutung und wird bestehende Tendenzen verstärken. Die Zuschauerzahlen, das Medieninteresse, die Prämien werden steigen.

Was kann eigentlich das deutsche Team?

Die Spitze im Weltfußball ist enger zusammengerückt und die Lücke zum deutschen Team schon länger geschlossen. Das deutsche Team kann sich sehr flexibel auf Gegnerinnen einstellen und Positionen sehr unterschiedlich besetzen. Gleichzeitig müssen die fehlenden Führungsspielerinnen Dzsenifer Marozsán und Melanie Leupolz erst mal ersetzt werden. Für mich ist noch nicht gesagt, dass die Deutschen die Vorrunde überstehen. Wenn ich mich festlegen muss: Im Viertelfinale ist leider Schluss, auch wenn ich es mir anders wünsche.

Ist die EM die bessere Alternative zur Katar-WM der Männer?

Der Frauenfußball neigt dazu, Dinge aus dem Männerfußball zu kopieren. Aber die WM in Katar hat eine ganz andere politische Dimension. Bei der Frauen-EM werden immer noch andere Werte transportiert. Viele Spielerinnen sind noch keine Vollprofis, einige Teams treten zum ersten Mal an. Hoffentlich wird es ein schöneres, bunteres Fest als Katar.

Wie sähe eine feministische EM aus? Und soll sie das überhaupt sein?

Feminismus heißt für mich, dass man sich von etwas emanzipiert. Viele Strukturen bei der EM sind aber nur eine Kopie von einem früheren Zustand des Männerfußballs. Deshalb würde ich nicht von einer feministischen EM sprechen. Dafür bräuchte es gleiche Möglichkeiten, mehr Sichtbarkeit, mehr Gleichberechtigung in Führungspositionen oder bei der Familienplanung. Der aktuelle Frauenfußball ist nicht feministisch. Er müsste sich noch viel mehr für gleiche Rechte einsetzen.

Steigende Ablösen, wachsende Lücken zwischen Großklubs und Rest, und sowieso nur Westeuropa kann Titel holen: Sind wir noch euphorisch oder schon genervt?

Unter denen, die den Frauenfußball verfolgen, ist man noch nicht genervt, sondern wohlgesonnen. Auch aus meiner Sicht ist das schon noch ein sehr charmantes Sportereignis. Als ehemalige Spielerin nehme ich wahr, dass eine andere Atmosphäre herrscht und das Menschliche im Vordergrund steht. Der Kommerz hat den Frauenfußball noch nicht überrollt.

Und wer holt eigentlich warum den Titel?

Mein Favorit Nummer eins: Spanien. Schon bei der letzten WM hatten sie echt starke Auftritte und der Barça-Block ist nicht zu unterschätzen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass da noch viel Wut in den Bäuchen derer steckt, die das Champions-League-Finale verloren haben.

„Beängstigende Parallele zu Katar“

taz: Frau Becker, die EM soll das größte Frauensportevent in der Geschichte Europas werden. Was ändert sich dadurch und was nicht?

ist freie Sportjournalistin und Mitglied beim Podcast „Frauen reden über Fußball“ (Früf).

Annika Becker: Ein internationales Turnier rüttelt die beteiligten Nationen erst mal immer wach. Wie viel das jeweils im Land bringt, hängt aber davon ab, wie sichtbar das Turnier dort ist und wie die Verbände weitermachen. Bei Deutschland bin ich da sehr skeptisch. Vom DFB kommt ja immer nur so tropfenweise Fortschritt und einen großen Plan sehe ich nicht. England muss sich gar keine Sorgen machen. In Italien hat die letzte WM richtig was angestoßen, die kriegen jetzt eine Profiliga. Ich sehe Bewegung, da ist die EM die Kirsche auf der Torte.

Was kann eigentlich das deutsche Team?

Dass Maximiliane Rall nicht dabei ist und dass nicht noch eine Verteidigerin nominiert wurde, finde ich fragwürdig. Da hinten darf sich keine verletzen und vorne sollten sie lieber ein paar mehr Tore schießen, weil man in der Abwehr nicht ganz so sicher steht. Ich sehe Deutschland nur im Viertelfinale. Die Konkurrenz ist taktisch stärker.

Ist die EM die bessere Alternative zur Katar-WM der Männer?

Letztendlich läuft alles auf Kapitalismus hinaus, und der ist als Struktur immer gleich. Trotzdem sind Rahmenbedingungen anders. Für diese EM sind nicht Tausende Menschen beim Bau der Stadien gestorben. Aber ich kenne auch Leute, die wegen des Brexits, des wachsenden Nationalismus und der wachsenden Queerfeindlichkeit nicht zum Turnier reisen, obwohl sie es sonst gerne gemacht hätten. Das ist schon eine beängstigende Parallele.

Wie sähe eine feministische EM aus? Und soll sie das überhaupt sein?

Natürlich soll sie das gerne sein. Die Frage ist aber immer: Wie viel dabei ist nur Marketing? Ich würde mir wünschen, dass es echt ist und intersektional. In den Kadern der teilnehmenden Nationen sind die meisten Spielerinnen weiß. Und angesichts der wachsenden Trans- und Queerfeindlichkeit finde ich auch klare Bekenntnisse in dieser Richtung wichtig. Dass trans, inter und nichtbinäre Menschen selbst entscheiden, ob sie bei den Männern oder Frauen spielen, bräuchte es auch für den Spitzenbereich.

Steigende Ablösen, wachsende Lücken zwischen Großklubs und Rest, und sowieso nur Westeuropa kann Titel holen: Sind wir noch euphorisch oder schon genervt?

Das ist für mich ein riesiger Zwiespalt. Einerseits freue ich mich, dass es langsam vorwärtsgeht. Andererseits ist mein Herzensverein die SGS Essen. Die sind in ihrer Existenz sehr bedroht durch diese Entwicklung. Das ist nicht nur eine sportliche, sondern auch eine kulturelle Verdrängung.

Und wer holt eigentlich warum den Titel?

England. Sarina Wiegman ist eine herausragende Trainerin, sie haben eine sehr starke Gemeinschaft und wirken durch die Aufmerksamkeit nicht gehemmt, sondern beflügelt.

„Ein Momentum für Equality“

taz: Frau Kraus, die EM soll das größte Frauensportevent in der Geschichte Europas werden. Was ändert sich dadurch und was nicht?

ist ehemalige Bundesliga­spielerin, deutsche Meisterin und Europa­meisterin. Geschäftsführerin der Sportmarketingagentur Jung von Matt und Teil der Frauen-Initiative „Fußball kann mehr“.

Katja Kraus: Die Chancen für die EM stehen gut, ich bin optimistisch, dass das ein besonders beachtetes Turnier wird. Vor allem wegen der Qualität der Spiele und der Leistungsdichte, die spannende Spiele verspricht. Und das Momentum für Frauen im Fußball und Equality ist gerade groß. Es geht allerdings auch darum, im Nachgang des Turniers die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern. Da ist in Deutschland noch viel Strecke zu machen. Bei den Klubs nehme ich zunehmend die Bereitschaft zur Veränderung wahr. Das sollte auch der Anspruch des DFB sein.

Was kann eigentlich das deutsche Team?

Das Spektrum ist genauso, wie Sie es beschreiben. Das letzte Spiel gegen die Schweiz hat gezeigt, welche Möglichkeiten die Mannschaft hat. Mit der deutschen Mannschaft ist natürlich zu rechnen, aber Favorit sind sie nicht.

Ist die EM die bessere Alternative zur Katar-WM der Männer?

Ich kann in der Kommerzialisierung nicht grundsätzlich etwas Schlechtes sehen. Der Markt muss den Sport finanzieren. Sowohl für den Frauen- als auch für den Männerfußball wird es aber eine wichtige Aufgabe sein, dieses Thema deutlich verantwortungsbewusster zu verhandeln. Da ist der Rahmen für Frauen im Fußball noch deutlich weiter und die Sportlerinnen können mit einer eigenen Haltung sichtbar werden. Je klarer sich Spielerinnen positionieren und je mehr wir von ihnen über ihre sportliche Leistung wissen, desto größer ist die Möglichkeit der Identifikation. Es sollte allerdings kein Reflex sein, sondern glaubwürdig, dann hat es einen Wert. Ich habe so viele unglaubwürdige Beispiele erlebt, weil jeder Athlet und jede Athletin inzwischen glaubt, auch politisch sein zu müssen. Da wird der Sport mit Erwartungen überfrachtet.

Wie sähe eine feministische EM aus? Und soll sie das überhaupt sein?

Ich würde mir eine EM wünschen, bei der profund über die Qualität der Spiele und die Leistung der Spielerinnen auf dem Feld gesprochen wird.

Steigende Ablösen, wachsende Lücken zwischen Großklubs und Rest, und sowieso nur Westeuropa kann Titel holen: Sind wir noch euphorisch oder schon genervt?

Ich lasse mich immer gern von guten Fußballspielen und beeindruckenden Spielerinnen und Spielern begeistern. Um die Menschen weiterhin zu binden, muss der Fußball seine gesellschaftliche Rolle ernst nehmen und sich mit der Gesellschaft verändern.

Und wer holt eigentlich warum den Titel?

Mein Tipp ist England. Ich finde, dass die Mannschaft sich wirklich weiterentwickelt hat, ein klares Spielsystem hat, sehr mutig, sehr offensiv. Und dazu haben sie ein paar wirkliche Ausnahmespielerinnen. England ist kein kühner Tipp.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.