„Den Stadtraum zurückerobern“

Führung und Debatte in einer Ausstellung über Kolonialismus in Bremen

Foto: Museum

Anna Greve 49, Kunsthistorikerin, ist seit 2020 Direktorin des Bremer Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte (Focke-Museum).

Interview Petra Schellen

taz: Frau Greve, wie entstand die Ausstellung über Kolonialismus in Bremen, durch die Sie heute führen?

Anna Greve: Sie geht zurück auf einen Wettbewerb, den unser Museum 2021 ausgeschrieben hatte. Sie wandte sich an BremerInnen – gern Laien – die sich künstlerisch mit dem Kolonialismus und seinen Folgen in Bremen befassen sollten. Es kamen 67 Einsendungen, aus denen die mehrheitlich mit Schwarz positionierten Menschen besetzte Jury 13 ausgewählt hat. Ungefähr parallel arbeiteten wir damals am Konzept des „Stadtlabors“ und fanden die Ausstellung dafür sehr passend.

Aber es ist nicht die erste Ausstellung im Stadtlabor.

Nein. Die erste im Oktober 2021 galt 60 Jahren Anwerbeabkommen aus der Türkei, die zweite den verschiedenen Sprachen in Bremen.

Wer darf im Stadtlabor ausstellen?

Gruppierungen, die keine größeren eigenen Räume haben und deren Perspektive von der Mehrheitsgesellschaft kaum wahrgenommen wird. Außerdem müssen die Ausstellungen einen Bremen-Bezug haben und aktuell diskutierte Themen aufgreifen.

Was ist aktuell zu sehen?

Werke von Schwarz positionierten KünstlerInnen – zwölf Frauen und ein Mann. Alle sind jung und nehmen vor allem Alltagsrassismus in den Blick. Einige zeigen so genannte Schwarze Orte in Bremen, wo die Community sich trifft, sich wohlfühlt, den eigenen Bedürfnissen nachgeht, bei Afro-Friseuren oder in Afro-Shops. Für ein anderes Werk haben sich zum Beispiel Schwarze Frauen vor dem Bremer Elefanten – dem Kolonialismus-Relikt per se – fotografiert, um diesen Stadtraum im positiven Sinne als ihren zu erobern. Sehr stark – und umstritten – ist ein Werk, das sich mit dem Selbstmitleid befasst, das manche Weiße befällt, wenn sie erkennen, wie stark der Rassismus immer noch ist. Die Künstlerin hat ein Glas gefüllt und die Flüssidkeit als Tränen bezeichnet. Das Glas steht in einem Karton mit der Aufschrift „zu verschenken“, denn sie findet, dieses Selbstmitleid braucht kein Mensch. Die Leute sollen sich lieber im Alltag engagieren, Zivilcourage zeigen, auf das schauen, was sie bisher nicht gesehen haben.

Gesprächsrunde „Kolonialismus und seine Folgen in Bremen“. Gemeinsamer Besuch und Diskussion der Stadtlabor-Ausstellung: heute, 16 Uhr, Bremen, Focke-Museum

Und wie ist die – für alle offene – Gesprächsrunde entstanden, die Sie heute führen?

Sie ist Teil des Bremer Erinnerungskonzepts Kolonialismus, das die Bürgerschaft 2016 auf Betreiben zivilgesellschaftlicher AkteurInnen beschloss. Ich wurde damals beauftragt, eine Gesprächsrunde ins Leben zu rufen und zu moderieren. Wir haben dann einen Aufruf gestartet und gedacht, es kämen vielleicht sieben, acht Leute. Aber zur ersten Sitzung erschienen 70 Menschen, die sich dann in Untergruppen aufteilten und verschiedenste Themen bearbeiten. Die einen organisieren Vortragsreihen, andere befassen sich mit Alltagsrassismus, wieder andere mit Erinnerungskultur. 2019 haben wir dann im Kollektiv kulturpolitische Leitlinien erarbeitet, die jetzt Hilfestellung für die Kultureinrichtungen sind. Als wir 2020 Zwischenbilanz zogen, sahen wir, dass die Kulturproduktion fehlte, und so entstand die Idee zu dem Wettbewerb, der in die aktuelle Ausstellung mündete.

Was besagen jene Leitlinien?

Dass die Kultureinrichtungen sich bemühen zu schauen, bei welchen Themen sie den Kolonialismus und seine Folgen in den Blick nehmen und wo sie gezielt mit den Communitys zusammenarbeiten können. Außerdem haben wir festgelegt, dass es im August jedes Jahres eine zentrale Feier zum Gedenke an den Völkermord an den Herero und Nama gibt, der sich 1904 bis 1908 in der damaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ abspielte, dem heutigen Namibia.