„Aus solch einem System kommt keiner mit einer weißen Weste heraus“

Regisseur Wolfgang Liebeneier war unter den Nazis erfolgreich – und auch danach noch. Sein Schwiegersohn, der Schauspieler Holger Mahlich, erzählt dessen Geschichte in einem dokumentarischen Roman

Foto: Kanamüller

Holger Mahlich1945 in Weimar geboren, ist Schauspieler, Hörspiel- und Synchronsprecher. Wolfgang Liebeneiner war sein Schwiegervater.

Interview Wilfried Hippen

Herr Mahlich, warum erlebte Wolfgang Liebeneier, unter den Nazis Ufa-Chef, 1945 keinen Karriere-Knick?

Holger Mahlich: Liebeneiner war einer von denen, die sich immer als unpolitisch begriffen und er bemühte sich, menschlich anständig zu bleiben. Als er Ufa-Chef war, hat er vielen geholfen. Die Jüdin Ida Ehre, die die Nazizeit nur mit Mühe überlebte, hat ihn deswegen schon 1947 als Oberspielleiter der Kammerspiele engagiert.

Aber er hat ja mit „Ich klage an“ mindestens einen Propagandafilm für die Nazis gedreht.

Ja, aber der Ausgangspunkt für den Film war für ihn sehr persönlich. Er wollte das machen, was man heute einen Film über aktive Sterbehilfe nennen würde, weil es in seiner Familie jemanden gab, der furchtbar dahinsiechte. Es geht um eine Frau, die todkrank ist und sterben möchte. Und dann haben die Nazis immer mehr darauf gedrungen, dass da die Geschichte der Euthanasie mit hineinkommt. Dagegen hat er sich dann vergeblich gewehrt.

Heute gilt „Ich klage an“ als ein sogenannter „Vorbehaltsfilm“ und darf nur im Rahmen einer historischen Einschätzung gezeigt werden, die Sie am 19. Juli bei der Vorführung des Films im Metropolis halten werden. Werden Sie Liebeneiner da „entnazifizieren“?

Nein, aus solch einem System kommt keiner mit einer weißen Weste heraus. Und auch er hatte wenig Scheu, sich mit diesen Leuten an einen Tisch zu setzen. Aber er war kein Nazi. Er fand die unangenehm und schrecklich, aber aus einer künstlerischen Sicht. Dieser Militarismus mit all den Aufmärschen ging ihm gegen den Strich, denn er war ja ein Schöngeist.

In den 1950er-Jahren war er dann, etwa mit dem Film „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ oder seinen beiden Filmen über die Trapp-Familie, wieder ganz auf der Höhe der Zeit.

Ja, er war sehr erfolgreich, aber er hat nach dem Krieg keine bedeutenden Filme mehr gemacht. Er galt ja in den 1930er-, 1940er-Jahren als das große künstlerische Talent des deutschen Films. Und solche Filme wie von Kurt Hoffman mit „Wir Wunderkinder“ oder von Rolf Thiele mit „Das Mädchen Rosemarie“ gab es von ihm nicht.

Nach dem Motto: Wenn nicht künstlerisch, dann wenigstens kommerziell erfolgreich?

Ja, er hat sich auch einmal in einer Interview als einen „Filmhandwerker“ bezeichnet.

Und war er enttäuscht darüber?

Retrospektive mit Filmen von Wolfgang Liebeneier: bis August, Hamburg, Metropolis-Kino. „Großstadtmelodie“ läuft am 5. 7. und 10. 7., „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ am 22. 7. und 27. 7.

Ja, er sagte einmal, seine größte Trauer wäre, dass er nicht die Filme machen durfte, die ihm am Herzen lagen.

Hat er ein Beispiel genannt?

Er hätte sehr gerne „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende verfilmt.

Die dann Wolfgang Petersen böse in den Sand gesetzt hat. Schlimmer hätte er es gar nicht machen können.

Ja, aber Ende hat ihn als Regisseur abgelehnt und Liebeneiner hat dazu nur resigniert gesagt: „Wahrscheinlich hält der mich für einen Nazi!“