Prekäre Arbeit bei Lieferdiensten: Rider sitzen auf dem Trockenen

Zu einer Poolparty der Lieferando-Angestellten sind die Fah­re­r*in­nen des Unternehmens nicht eingeladen. Sie gründen stattdessen einen Betriebsrat.

Vor dem Club Haubentaucher: Drinnen Pool-Party, draußen Protest für bessere Arbeitsbedingungen Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Die Poolparty brachte das Fass endgültig zum Überlaufen: Im Haubentaucher auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain veranstaltete der Essenslieferdienst Lieferando am Freitag eine exklusive Party für Mit­ar­bei­te­r*in­nen aus Deutschland und Österreich – um den Teamgeist zu stärken, wie es hieß. Doch gehörten längst nicht alle Beschäftigten zu dem Team, das gestärkt werden soll: Die prekärsten Mitarbeiter des Unternehmens, die Rider, die das Essen ausliefern, waren nicht eingeladen.

Das wollten sich die kämpferischen Lieferando-Arbeiter*innen, die sich in einem Workers-Collective zusammengeschlossen haben, nicht gefallen lassen: „Die feiern schamlos eine All-Inclusive-Party, während wir nicht mal unsere Miete bezahlen können. Wir kommen trotzdem“, ließen sie das Management wissen. Vor dem Eingang bauten sie ihren eigenen kleinen Pool inklusive aufblasbarem Wasserspielzeug auf. Während die Fahr­rad­ku­rie­r*in­nen von ihren schlechten Arbeitsbedingungen berichten, laufen die Büroangestellten meist wortlos an ihnen vorbei und verschwinden rasch in dem exklusiven Club.

Schon vor Monaten stand Lieferando in der Kritik, weil es zu Weihnachten die Mit­ar­bei­te­r*in­nen seines Headquarters zu einem Ski-Trip in die Schweiz einlud – für 15 Millionen Euro. „Wir haben stattdessen das hier bekommen“, sagt ein Rider und zeigt eine Packung Nudeln mit dem Logo des Konzerns.

„Zum wiederholten Mal zeigt die Chefetage von Lieferando, dass die Bedürfnisse der Rider für sie an letzter Stelle stehen. Während das Headquarter-Personal sich zum Skifahren oder am Pool trifft, warten die Fahrerinnen und Fahrer auf verkehrssichere Räder und versprochene Arbeitshandys“, kritisiert die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kızıltepe. „Es ist eine Schande, wie die Lieferdienst-Branche mit den Menschen umgeht, die ihre riesigen Umsätze täglich mit harter körperlicher Arbeit erwirtschaften.“

Stammtisch und Freigetränk

Lieferando selbst verweist auf taz-Anfrage darauf, dass es auch für die Fah­re­r*in­nen Teamevents gebe, von monatlichen Stammtischen, Grill- und Bowlingabenden ist die Rede. Allein in diesem Jahr seien bundesweit knapp 200 Events für Fah­re­r*in­nen geplant. Die Rider in Berlin haben davon allerdings noch nie gehört. Seit anderthalb Monaten gebe es zwar einen Stammtisch, allerdings nur für 20 Leute. Bei einem Freigetränk könne man dort Karten ausfüllen, was einem an dem Job besonders gut gefällt, erzählt eine junge Frau.

Dabei wäre die Liste, was sich an den Arbeitsbedingungen verbessern müsste, wesentlich länger. Deshalb sind die Berliner Lieferando-Arbeiter*innen gerade dabei, einen Betriebsrat zu gründen, Anfang August soll er gewählt werden. Michael, der seinen vollen Namen nicht veröffentlichen möchte, ist eins der 11 Mitglieder des Wahlvorstands, der die Wahl vorbereitet. Ihm fallen gleich mehrere Sachen ein, die dringend geändert werden müssten: „Es fängt mit einem vernünftigen Gehalt an. Lieferando verspricht 18 Euro die Stunde, aber das ist utopisch. Wenn ein Rider auf 15 Euro die Stunde kommt, ist das schon gut“, erklärt er.

Michael arbeitet seit 2016 als Kurierfahrer, zunächst für Foodora, nach dessen Übernahme dann für Lieferando. „Der Job könnte Spaß machen, wenn es die vielen Probleme nicht geben würde“, sagt der passionierte Fahrradfahrer. Seit dem Börsengang des Mutterkonzerns Just Eat Takeaway sei es immer schlimmer geworden. „Die glauben, man hat kein Recht auf pünktlichen Feierabend, und man ist für jeden Monat froh, in dem der Lohn einigermaßen stimmt.“

Statt eines Ski-Trips bekamen die Rider ein Paket Nudeln mit dem Konzernlogo

Immer wieder berichten Rider, dass ihnen zu wenig Lohn überwiesen werde. Erst nach ständigem Nachfragen erhalte man das Gehalt, das einem zustehe. 2021 habe die Hälfte seiner Gehaltsabrechnungen nicht gestimmt, sagt Michael. „Abrechnungsfehler sind die absolute Ausnahme“, heißt es von Lieferando auf taz-Nachfrage.

Fehlerhafte Lohnauszahlungen sind jedoch nicht das einzige Problem: „Wir haben ein neues Schichtsystem. Dienstags werden die Pläne freigeschaltet, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Viele haben Probleme, auf ihre vertraglich vereinbarten Stunden zu kommen“, so der Rider.

Auf eigene Kosten

Auch die Kostenübernahme für eigene Fahrräder sei ein Witz. Nach eigenen Angaben zahlt Lieferando derzeit 14 Cent pro Kilometer. „Damit kommst du nicht weit, wenn du dein Fahrrad regelmäßig wartest.“ Geht das Rad kaputt, zahle das Unternehmen überhaupt nichts, berichten die Rider. Michael und seine Kol­le­g*in­nen wollen das ändern, auch wenn ihnen das Unternehmen dabei immer wieder Steine in den Weg lege.

Bei der Gründung des Betriebsrates werden die Lieferando-Arbeiter*innen von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unterstützt, die ebenso mit einer eigenen Liste antritt. „Wir sehen keine unmittelbare Beeinflussung durch die Arbeitgeberseite“, sagt NGG-Geschäftsführer Sebastian Riesner. Es gebe jedoch Bemühungen des Unternehmens, eine Liste mit Führungskräften für die Betriebsratswahl zu initiieren. Bis zur Wahl könne noch einiges passieren. „Die Arbeitgeberseite wartet nur darauf, dass wir Fehler machen.“

Wie es danach weitergehe, werde sich zeigen. In anderen Städten gibt es bereits Betriebsräte bei Lieferando, von einer ordentlichen Zusammenarbeit sei man aber noch weit entfernt. „Da wird nicht auf Augenhöhe verhandelt“, so Riesner.

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