Verstärkung der ukrainischen Armee: Zum Ersten, zum Zweiten …

T-Shirts, Kunstwerke, Fanartikel: Um Kriegsgerät für die Armee zu finanzieren, versteigern viele Ukrai­ne­r:in­nen ihr Hab und Gut.

der Künstler Sergei Pritula

Der Ex-Show-Star Sergei Pritula ist einer der Helfer, die erfolgreich Geld für die Armee sammeln Foto: Nicole Tung/NYT/Redux/laif

LUZK taz | In der vom Krieg gebeutelten Ukraine geht den Menschen langsam das Geld aus. Um der Armee zu helfen, haben viele Menschen im Land angefangen, alles Mögliche zu veräußern. So gibt es Fälle, wo aus zwei Hrywnja Millionen Hrywnja werden.

Vor allem T-Shirts und Fanartikel kamen seit dem 24. Februar 2022 unter den Hammer. Die Gewinnerin des Eurovision Song Contest (ESC) von 2016, Jamala, versteigerte ihr Kleid, das sie ein Jahr später bei der Eröffnung eines Gesangswettbewerbs in Kiew getragen hatte. Das nach ukrainischer Tradition bestickte Kleidungsstück, Vyshyvanka genannt, brachte 6.000 Euro ein.

Das T-Shirt des populären ukrainischen Sängers Kusma Skrjabin ging für 25.000 Hrywnja (umgerechnet 7.500 Euro) über den Tisch. Kusma, der 2015 starb, hatte es bei einem Festival getragen, wo er auf der Bühne über Russlands Präsidenten Wladimir Putin hergezogen hatte. Von dem Geld wurde ein Fahrzeug für die Armee angeschafft. Zum ertragreichsten Kleidungsstück aber wurde das Hemd Wolodimir Selenskis. Es wurde für 100.000 US-Dollar auf einer Wohltätigkeitsauktion in Washington versteigert. Der ukrai­nische Präsident hatte dieses Hemd am 19. Mai – dem Tag der Vyshyvanka – getragen.

Keine Spende, wie klein sie auch sei, dürfe gering geschätzt werden, sagt Sergei Pritula. Er ist dieser Tage einer der maßgeblichen Freiwilligen und eine der wichtigsten Personen des öffentlichen Lebens in der Ukrai­ne.

Keine Spende ist zu klein

Alle Transaktionen des Hilfsfonds werden als Nachrichten auf seinem Smartphone angezeigt. Eines Tages fiel ihm eine Überweisung in Höhe von 2 Hrywnja (etwas weniger als 10 Cent) auf. Daneben war der Stand seines Freiwilligenkontos vermerkt. Pritula postete den Screenshot auf Facebook. Darin dankte er dem unbekannten Spender für die 2 Hrywnja.

Das Foto ging einige Stunden später viral, und sofort gingen auf dem Konto die merk­würdigsten Beträge ein: 2,01 Hrywnja, 2,80 Hrywnja, 5 Hrywnja, 2 Euro … Einige Tage später kamen mehrere Millionen Hrywnja hinzu!

Der frühere Showstar Pritula weiß, wie man Geld für die Armee auftreibt. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat er bereits 1 Milliarde Hrywnja (mehr als 30 Millionen Euro) zusammenbekommen.

Es war seine Stiftung, die dem diesjährigen ESC-Gewinner Kalush Orchestra half, sein gläsernes Mikrofon bei einer Wohltätigkeitsauktion für 900.000 US-Dollar zu versteigern. Neuer Eigentümer wurde die ukrainische Börse für Kryptowährung. Mit diesem Geld kaufte die Pritula-Stiftung dann PD-2-Drohnen für die ukrainische Armee. Anschließend kam der rosafarbene Panamahut von Oleh ­Psjuk, Sänger des Kalush Orchestras, an die Reihe. Er wurde zur teuersten Kappe in der Geschichte: 11 Millionen Hrywnja (300.000 Euro).

Für immerhin 500.000 Dollar gelang es Pritula und seinen Leuten das Bild „Blumen wuchsen in der Nähe des vierten Reaktors“ der legendären ukrainischen Künstlerin Maria Prima­tschenko zu verkaufen. Dieses Kunstwerk über die Atomkatastrophe am 26. April 1986 in Tschernobyl ist eines ihrer bekanntesten Werke. Eine andere Stiftung namens „Komm lebend zurück“ war bei einer Kunst­auktion ebenfalls erfolgreich. Das Bild des Malers Iwan Mar­tschuk „Garten der Verführung“ verhalf der Armee zu 120.000 Dollar. Auf der Auktion wurde auch eine Leinwand der Modedesignerin Ljubow Pantschenko aus Butscha versteigert, die durch die russischen Besatzer starb, sowie ein Gemälde von Alla Gorskaja aus Kiew, die 1970 und damit unter dem Kommunismus getötet worden war.

Seit 2014 ist die Stiftung „Komm lebend zurück“ auf die Beschaffung von schwerem Gerät für die Armee spezialisiert – so wie digitale Steuerungssysteme, unbemannte Systeme und Waffen für Scharfschützen.

Ihre Bedeutung ist inzwischen so groß, dass die ukrainische Regierung am 24. Februar für sie eine Anwendung in der vom Staat eingerichteten App „Dia“ einrichtete, deren digitale Dienste 13 Millionen Bürger nutzen. Am ersten Tag des Kriegs überwiesen die Ukrainer 700.000 Euro – mehr als im gesamten Jahr 2021.

Kaffeetrinken mit Berühmtheiten

Nach drei Kriegsmonaten sind die Einkommen von Unternehmen und Bürgern deutlich zurückgegangen, sodass freiwillige Helfer nun immer neue Wege finden, um an Hilfe heranzukommen. Miroslaw Wataschuk, ein Freiwilliger aus Luzk, organisiert schon seit Jahren die Aktion „Verabredung auf einen Kaffee“. Er bietet Interessierten an, Kaffee mit berühmten Persönlichkeiten der Ukraine zu trinken.

Der „Medienkaffee“ zahlte sich aus. Für Bekanntschaften mit „Stars“ oder einfach spannenden Gesprächspartnern veranstalten die Ukrainer Auktionen und lassen dafür zwischen 100 und 300 Euro springen.

„Ich bin ein echter Sklavenhalter, weil ich Menschen „verkaufe“. In normalen Zeiten würden sich die Geheimdienste für mich interessieren“, sagt Miro­slaw lachend. Und er fügt hinzu: „Oft scheint es so, als ob die Ukrai­ner jetzt bereit seien, sich auch an den Teufel zu verkaufen, um die Russen zu besiegen. Unter der Bedingung, dass der nicht Putin ist.“

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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