Weiblicher Robin Hood aus Neukölln

THEATER „Meine Mutter Karl-Marx-Straße und der Rest der Familie“ im Heimathafen

VON CATARINA VON WEDEMEYER

In der Inszenierung „Meine Mutter Karl-Marx-Straße und der Rest der Familie“ kommen vier Neuköllner Frauen türkischer, deutscher, indischer und libanesischer Herkunft zusammen. Als Laiendarstellerinnen sitzen sie mit ihren Kindern, Enkeln und drei professionellen Schauspielern auf der Bühne des Heimathafens an einem großen Holztisch.

Der Tisch, eine Art goldener Götterflügel sowie Landkarten in allen Farben bilden die Koordinaten, zwischen denen die Darsteller ihre Geschichten präsentieren. Das Ensemble auf der Bühne schneidet erst einmal einträchtig Äpfel. Doch noch bevor der Zuschauer Zeit hat, sich davor zu fürchten, dass die nächsten anderthalb Stunden harmlos nett und familiär verlaufen, legen die Darsteller los. Nicht nur mit Worten, auch mit Mythen, HipHop und einem Flohzirkus erzählen sie dem Publikum von ihrer Welt. Aus den Lebensrealitäten selbst ergeben sich immer wieder komische Situationen, die schauspielerischen Einlagen tun ein Übriges.

Der Blütentanz von Matthias Buss ist dank dramatisch-eleganter Drehungen, Windungen und Kopfgewackel eine Augenweide, die nachgespielte WG-Suche der Familie Klaus gerät mit überzogenen Klischees jedoch etwas klamaukig. Glücklicherweise sind die Laiendarsteller so präsent, dass sie problemlos neben den professionellen Schauspielern bestehen. Vor allem die in der Türkei geborene Hüsniye Atmaca ist eine unvergessliche Erzählerin. Wenn sie die Geburt eines ihrer Kinder schildert oder die Liebe in Ostanatolien erklärt („Knutschen? Um Gottes Willen!“), amüsiert sich die festtagsgekleidete Großmutter selbst so sehr, dass der Zuschauer gar nicht alles verstehen muss, um von der allgemeinen Lachlust eingenommen zu werden.

In der Geschichte der Libanesin Zainab Daoud geht es um ernstere Themen: um die Flucht vor dem fünfzehnjährigen Bürgerkrieg, um Abschied, Fremdheit und Suche. Dabei spielen die Darsteller immer wieder bewusst mit der Balance zwischen Intimität und Bühnensituation und überraschen das Publikum immer genau dann mit direkten Adressierungen, wenn es sich gerade in der Betrachtung vergisst. So nimmt der Zuschauer selbst an der intimen Begegnung am Küchentisch teil.

Das Stück endet schließlich mit den Zukunftsvorstellungen der Kinder: Albert Klaus will einmal wie die Erwachsenen die Weltpolitik erklären können, ohne sie zu verstehen. Und die siebenjährige Ela-Sofie Aras imaginiert sich als zukünftige Bürgermeisterin: „Man nennt mich den weiblichen Robin Hood von Neukölln.“ Bei dem Theaterpublikum scheint der Wahlkampf schon gewonnen.

■ Aufführungen: 9., 10., 16., 17. Juni. heimathafen-neukoelln.de