Gewalt gegen Tutsi im Kongo: „Operation Langnase“

Der Krieg der M23-Rebellen in der Demokratischen Republik Kongo führt zu Unruhen. In Goma versuchen Demonstranten, die Grenze zu Ruanda zu stürmen.

Rangelei in einer Menschenmenge mit Uniformierten

Am Schlagbaum zwischen Goma (Kongo) und Gisenyi (Ruanda) hält Kongos Polizei Demonstranten auf Foto: Moses Sawasawa/Ap

KAMPALA taz | Geschäfte werden geplündert, Kirchenfenster eingeworfen, Menschen auf offener Straße bedroht – die propagandistische Mobilmachung in der Demokratischen Republik Kongo schlägt mittlerweile um in ethnisch motivierte Gewalt und Hassreden gegen die kongolesische Tutsi-Minderheit, die an den Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 erinnern.

Auf Twitter kursieren Videos von Kongolesen mit Aufrufen zur „Operation Langnasen“, die es zu „finden“, also zu vertreiben oder zu töten gilt. Gemeint sind die kongolesischen Tutsi, die in Ostkongo leben. In einem Video nennt ein Mann in seiner Hasspredigt auch Wohnadressen von Tutsi-Familien in der Hauptstadt Kinshasa.

Bei einer Kundgebung in der Provinzhauptstadt Goma in Nord-Kivu, direkt an der Grenze zu Ruanda, wetzt ein Mann vor laufender Handy-Kamera zwei Macheten: „Genug ist genug!“, schreit er.

„Es ist wie in Ruanda 1994, nur jetzt im Kongo“, schreibt ein Mitglied der traditionellen Tutsi-Königsfamilie Butsitsi, die im Dorf Munigi außerhalb von Goma residiert, der taz per Textnachricht. „Wir sind hier alle nicht mehr sicher“. Doch selbst nach Ruanda zu fliehen sei nun gefährlich. „Wir wagen uns nicht einmal mehr, das Haus zu verlassen“.

M23 nahm wichtige Grenzstadt ein

Die Pogromstimmung ist das Ergebnis der jüngsten Kämpfe im Ostkongo. Seit April liefert sich Kongos Armee nördlich von Goma Gefechte gegen die kongolesischen Tutsi-Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März), und Kongos Regierung behauptet, die M23 werde militärisch von Ruanda unterstützt.

Am Montag gelang es den M23-Kämpfern von Tutsi-General Sultani Makenga zum wiederholten Mal, die strategisch und wirtschaftlich wichtige Grenzstadt Bunagana an der Grenze zu Uganda rund hundert Kilometer nördlich von Goma einzunehmen. Die Armeesoldaten dort flohen ins Nachbarland Uganda. Am Donnerstag begann die Armee nach eigenen Angaben mit einer Offensive, um Bunagana zurückzuerobern, es wurden schwere Kämpfe gemeldet.

Kongos Regierung bezichtigt Ruanda, die M23 militärisch zu unterstützen, und für viele Kongolesen ist es ausgemachte Sache, dass Tutsi im Kongo alles Ruander seien und nichts im Land zu suchen hätten. Am Mittwochnachmittag entlud sich die angestaute Aggression in einem Protestmarsch in der Millionenstadt Goma direkt an der Grenze zu Ruanda – offiziell zur Unterstützung von Kongos Armee.

Nord-Kivus Armeesprecher Silvain Ekenge wandte sich persönlich an Gomas Bevölkerung, die in Panik war, dass die M23-Rebellen erneut die Millionenstadt einnehmen könnten, wie schon einmal 2012. Er rief zum „friedlichen Protestmarsch“ gegen Ruanda auf, sagte zu Ruanda aber auch: „Wenn es Krieg will, wird es Krieg haben“, und: „Niemand wird einen einzigen Zentimeter unseres Territoriums besetzen.“

Daraufhin bewegte sich die aufgebrachte Menschenmenge auf die beiden Grenzstationen zu Ruanda zu. Am Schlagbaum wurden die Protestler von kongolesischen Polizisten gestoppt. Steine flogen in Richtung Ruanda, Hassrufe waren zu hören. Kongos Polizei setzte Tränengas ein. Ruandische Polizisten in Schutzkleidung beobachteten die Lage von jenseits des Schlagbaums.

Kongos Armee beschuldigt Ruanda

Bereits in seinen Presseansprachen zuvor hatte Ekenge Ruanda bezichtigt, den M23-Rebellen militärisch zu helfen: mit Waffen, Ausrüstung und sogar mit Soldaten. Jüngst fasste Kongos Armee zwei M23-Kämpfer und präsentierte deren ruandische ID-Karten als Beweis der „Invasion“. Ruandas Präsident Paul Kagame ist Tutsi. Ruandas Armee verneint die Präsenz im Nachbarland vehement, hat aber Truppen entlang der Grenze aufgezogen.

„Wir haben keine Fakten, die das bestätigen“, sagte zu Kongos Vorwürfen der Militärsprecher der UN-Mission im Kongo (Monusco) in einer Pressekonferenz. Doch die US-Botschaft im Kongo warnt, man sei „besorgt“ über die „Anzeichen der Präsenz der ruandischen Truppen im Kongo“.

Die M23 erklärt wiederum gegenüber der taz, man habe Bunagana nur „aus Versehen“ besetzt, als die Armee überraschend geflohen sei. Unterstützung von außen gebe es „auf keinen Fall“. Die M23-Kämpfer hätten sich lediglich neue Uniformen besorgt, die denen der Nachbarländer ähnlich sähen. M23-Präsident Bertrand Bisimwa gibt im Telefonat mit der taz zu: „Wir haben sehr viele Verletzte, und unsere Truppen sind sehr erschöpft“.

In einer Pressemitteilung am Mittwoch betonte die M23 erneut „unsere Bereitschaft, eine friedliche Lösung zu suchen“ und forderte Kongos Präsident Felix Tshisekedi dazu auf, diesen „sinnlosen Krieg“ zu stoppen und zu verhandeln. Bisimwa befindet sich in Uganda und hofft auf eine neue Verhandlungsrunde in Kenias Hauptstadt Nairobi. Die letzte war im April gescheitert.

Abkommen mit Uganda auf Eis gelegt

Am Mittwochabend tagte in Kongos Hauptstadt Kinshasa der Verteidigungsrat des Landes und beschloss, alle bestehenden Abkommen mit Ruanda zu suspendieren. Zugleich sollten „Stigmatisierung“ und „Menschenjagd“ im Land aufhören, so die Regierung.

Nach dem Fall von Bunagana machten Politiker in Kinshasa auch gegen Uganda mobil. Ugandas Armee habe der M23 geholfen, wetterten Abgeordnete im Parlament, das gerade über ein neues Wirtschaftsabkommen mit Uganda debattierte – und es schließlich auf Eis legte. „Wir haben es blockiert, wir haben gesagt: Es geht nicht“, sagte Parlamentspräsident Christophe Mboso.

Ugandas Armee kämpft seit November 2021 gemeinsam mit Kongos Armee in einer anderen Region Ostkongos gegen die ugandischen islamistischen Rebellen der ADF (Vereinigte Demokratische Kräfte). Erst Anfang Juni wurde die gemeinsame Militäroperation verlängert. Nun aber hat Ugandas Armeechef Muhoozi Kainerugaba, Sohn des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni, alle ugandischen „Truppenbewegungen im Kongo gestoppt“.

Stattdessen gibt es nun grünes Licht für eine regionale ostafrikanische Militärintervention. Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, der derzeit den Vorsitz der Ostafrikanischen Gemeiunschaft (EAC) hält, verkündete am Mittwochabend in einer Erklärung die „Aktivierung“ der regionalen Eingreiftruppe, auf die sich die hohen Generäle der Region vergangene Woche in Goma geeinigt hatten. Die Militärchefs würden am Sonntag in Nairobi erneut zusammenkommen, um „die Vorbereitungen zu finalisieren“.

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