„Der Diskurs geht weiter“

Der taz Salon fragt in Bremen nach der Möglichkeit von Frieden in der Ukraine: Tamina Kutscher erklärt, warum man dabei auf die Zivilgesellschaft hoffen darf

Foto: privat

Tamina Kutscher

Jg. 1977, Chefredakteurin bei dekoder.org, hat Slawistik in Regensburg, Kasan und Berlin studiert.

Interview Benno Schirrmeister

taz: Frau Kutscher, wie kommen Sie vier Monate nach dem Angriff noch an verlässliche Nachrichten aus Russland und Belarus?

Tamina Kutscher: Das Spannende ist: Der Diskurs geht weiter, sowohl in Bezug auf Belarus als auch auf Russland. Die Redaktionen sind meist im Exil. Aber der unabhängige Diskurs verschwindet nicht.

Trotz einer erneut verschärften Zensur?

Ja. Es ist sehr beeindruckend, wie schnell sich die unabhängigen Journalist*innen, die gezwungen waren ihr Land zu verlassen, neu aufgestellt haben und zusammenarbeiten: Einige belarussische Journalisten waren schon zuvor nach Kiew gegangen, um von dort zu arbeiten. Die sind dann nach Beginn des Angriffs wieder weitergezogen. Gerade in den baltischen Staaten, wo das relativ einfach geht, haben sich viele als Medien neu registrieren lassen. Die Zeitung Novaya Gazetahat sich im Exil als Novaya Gazeta Europaneugegründet. Vieles wurde auf Social Media verlagert. Zum Beispiel ist Youtube wichtig.

Das läuft noch in Russland?

„Krieg ohne Ende?“

In Kooperation mit dekoder.org fragt der taz Salon im Lagerhaus Bremen am 29. 6., 19 Uhr nach Perspektiven für Frieden in der Ukraine. Mit Susanne Schattenberg (Forschungsstelle Osteuropa), Tamina Kutscher, (dekoder.org) und Roman Dubasevych (Uni Greifswald). Moderation: Benno Schirrmeister

Das ist noch nicht abgeschaltet. „Echo Moskwy“ hat seine Inhalte dorthin verlagert, andere nutzen Telegram als Kanal, um unabhängige Nachrichten zu verbreiten, und die Online-Zeitung Meduza, die bereits seit 2014 von Riga aus sendet, hat eine eigene App entwickelt, die sich nicht blockieren lässt.

Reicht das, um eine zivile Gegenöffentlichkeit herzustellen oder ist das total marginal?

Die Rückgänge, die es gibt, sind zumindest weniger stark, als befürchtet: Aus Belarus gibt es aktuelle Zahlen von der Medien-Initiative Media IQ. Nach denen hat es bei der unabhängigen Presse einen Rückgang von rund neun Prozent gegeben. Das ist angesichts der massiven Repression ein guter Wert. In Russland haben auch viele User VPN installiert und können darüber weiterhin blockierte Inhalte erreichen. Gleichzeitig bleibt das drängende Problem: Wie erreicht man diejenigen, die bislang indifferent sind, mit welcher Sprache und mit welchen Formaten? Und wie verhindern wir, dass eine Ermüdung eintritt, also dass sich die Leute den schlechten Nachrichten, den Informationen vom Krieg, die da kommen, nicht mehr aussetzen wollen? Das beschäftigt viele.