Bundesparteitag der Linken: Schiffbruch in Abwesenheit

Der Parteitag geriet für das Wagenknecht-Lager zum Fiasko. Seine Perspektive in der Partei ist unklar. Ein Problem ist das auch für Dietmar Batsch.

Dietmar Barsch am Redepult des Parteitags

Bartsch auf dem Parteitag: Sein Machtbündnis mit Wagenknecht macht ihm zunehmend Probleme Foto: Martin Schutt/dpa

ERFURT taz | Der erste Moment des Parteitags ist fast der entscheidende. Nach einer ganzen Reihe von Wahldebakeln galt Parteichefin Janine Wissler als schwer angeschlagen. Sahra Wagenknecht forderte unverhohlen ihre Abwahl. Die niedersächsische Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek hat ihre Gegenkandidatur erklärt.

Und dann hält Wissler die vielleicht beste Rede ihrer Karriere. Rund vierzig Minuten spricht sie am Freitag zur Eröffnung des dreitägigen Events in der Thüringer Landeshauptstadt. Es ist eine selbstkritische, aber auch kämpferische Rede. „Es kommt darauf an, sie zu verändern, ist das Motto dieses Parteitags“, ruft sie in den Saal. „Das gilt für die Welt und auch für uns als Linke.“

Die 41-jährige Hessin, sonst stets angriffslustig, wirkt zu Beginn etwas nervös, fängt sich aber. Ihre Reden wirken manchmal metallisch. Das Unsichere macht diese 40-Minuten-Rede zu etwas Besonderem. Der Applaus am Ende ist überwältigend. Wissler wankte, aber sie fällt nicht. So will sich wahrscheinlich auch die Linkspartei sehen, die in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung vor 15 Jahren steckt.

Wissler gewinnt am Samstag mit 319 gegen 199 Stimmen für ihre Herausforderin Reichinnek. Die Bewegungslinke wird fortan mit dem aus dem Osten stammenden Pragmatiker Martin Schirdewan die Partei führen. Der 46-jährige Europapolitiker setzt sich mit 341 gegen 176 Stimmen noch deutlicher gegen den Leipziger Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann durch.

Mit dem Votum für Wissler und Schirdewan bestätigen die rund 570 Delegierten den zentristischen Kurs der Parteiführung. Es ist eine herbe Niederlage für die Bundestagsfrak­tionsspitze Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, aber vor allem für Wagenknecht, die auf das andere Duo gesetzt hatten, um eine ihr genehme Parteiführung zu installieren.

Fiasko für Wagenknecht

Für das überschaubar gewordene Wagenknecht-Lager war der Parteitag ein Fiasko, sowohl personell als auch inhaltlich erlitt es schweren Schiffbruch. Unklar ist, ob es noch eine Perspektive für sich in der Linken sieht. Allerdings dürfte auch der Reformer Bartsch einigen Grund zum Nachdenken haben. Sein rein machttaktisch begründetes Bündnis mit den Wa­gen­knech­tia­ne­r:in­nen bringt ihn zunehmend in eine problematische Situation.

Früher gab es bei Linksparteitagen immer den Gysi-Moment. Meist hatte es vorher Stress, Frustration, Rangeleien, West gegen Ost, Fundis gegen Re­for­me­r:in­nen gegeben. Dann kam Gysi, der ein untrügliches Gespür hatte, welche Knöpfe zu drücken waren, um wieder Feelgood-Stimmung zu erzeugen. Nicht, indem der Streit verschwiegen, sondern indem er direkt angesprochen und in luftiger Heiterkeit aufgelöst wurde.

„Entweder wir retten die Partei oder wir versinken in Bedeutungslosigkeit“, sagt Gysi nun in Erfurt. Die Partei müsse „das Klima der Denunziation überwinden“. Und der 74-jährige Ex-Fraktionsvorsitzende fordert: „Hört auf mit dem ganzen kleinkarierten Mist in unserer Partei.“ Aber sein Appell schafft diesmal nicht die große Gemeinsamkeit. Denn er beginnt seine Rede mit ein paar, nun ja, kritischen Bemerkungen über das Gendern. Es wirkt aus der Zeit gefallen.

Zwei Ge­nos­s:in­nen vom Jugendverband Solid bringt das auf die Palme. Eine Unverschämtheit, poltert einer. Ob Gregor die Sexismusdebatte am Abend zuvor überhaupt mitbekommen habe, eine andere. Die Partei hat sich verändert, ist jünger und „woker“ geworden. Und Gysi, vielleicht die letzte große Integrationsfigur der Partei, ist weit weg von dem, was vor allem jüngere Ge­nos­s:in­nen umtreibt.

Die Debatte um #Linkemetoo war ein zentraler Programmpunkt des Parteitags am Freitag. Verglichen mit den Schlammschlachten in sozialen Medien zuvor verlief die Debatte zivilisierter als befürchtet. Wissler hatte sich in ihrer Rede angemessen zerknirscht über mangelhafte Aufarbeitung sexueller Übergriffe in ihrem Landesverband Hessen gezeigt. Das trug zur Beruhigung bei.

Streit um Ukrainekrieg

Im Zentrum am Samstag stand die Haltung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Wissler und der Parteivorstand hatten im Leitantrag die Linie vorgegeben. Man verurteilt Putins Krieg mit scharfen Worten als „imperialistische Politik“. Versichert, dass man solidarisch an der Seite der Ukraine steht, ist aber gegen jede Waffenlieferung an Kiew. Es müsse „nichtmilitärische Möglichkeiten“ geben. Die Sanktionen sollen „die ökonomische Machtbasis des Systems Putin“ und den militärisch-industriellen Komplex treffen.

Der Streit drehte sich in erster Linie darum, ob das Russland gegenüber nicht zu scharf sei. Sahra Wagenknecht und Sevim Dağdelen, die beide in Erfurt durch Abwesenheit glänzten, hatten versucht, die Mitverantwortung der Nato an dem russischen Überfall zu betonen. Ihren Änderungsantrag lehnte der Parteitag mit übergroßer Mehrheit ab.

Auf der anderen Seite gab es aber auch Stimmen, die für einen selbstkritischeren Kurs warben. Wulf Gallert aus Sachsen-Anhalt merkte an, dass die Linke den russischen Imperialismus vor dem 24. Februar nicht gesehen habe – weil sie ihn, anders als bei den USA, nicht habe wahrhaben wollen. Gallerts Kandidatur als Vizeparteichef scheiterte, aber die Wahl in den Vorstand schaffte er problemlos.

Noch was? Deutschland soll 2035 klimaneutral sein. Nur so könne „die Klimakatastrophe doch noch abgewendet werden“. Der Antrag, dieses Ziel zu streichen, wurde abgelehnt. Zudem fordert die Linkspartei ein Investitionsprogramm von 20 Milliarden Euro jährlich, damit die Energiewende schneller vorankommt.

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