Aufführung in Berlin-Kreuzberg: Singen gegen Gentrifzierung

Die Protestoper Lauratibor geht diesen Sommer in die zweite Runde. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Demo.

Eine Menschenmenge hinter Mikrofonen

Der Chor in der Berliner Ratiborstraße Foto: Tina Eichner

Die Hel­d:in­nen haben gar nichts mehr als ihre Mieten und nichts mehr zu verlieren als ihre Angst“, hallt es durch die Hitze Lauratibors, eines heiß umkämpften Gebiets zwischen Ratiborstraße und Lausitzer Straße in Kreuzberg. „Überall im Kiez kämpfen Mie­te­r:in­nen um ihre Wohnungen, Arbeits- und Freiräume.“ So steht es auch im Opern­libret­to, aber das benutzen die meisten hier eher zum Luftzufächern, während sie den epischen Arien der Mietunterdrückten lauschen. Es hat über 35 Grad an diesem Samstagnachmittag. Die Spätis in der Reichenberger Straße kommen gar nicht hinterher mit der Nachfrage an kaltem Bier und Eis am Stiel.

Der erste Akt ist vorbei, der Chor verwandelt sich in einen Demozug. Junge und alte links-alternative Menschen, Punks und Kreuzberger Familien mit Kindern, sie alle ziehen weiter die Reichenberger Straße entlang. Sind wir noch im Stück? Oder ist das schon echter Protest?

Die Bullen sind jedenfalls auch da, bleiben bis auf ein paar vielsagende Blicke, die sie wechseln, als es um die Räumung der „Meuterei“ geht, gelassen. An der legendären linke Kollektivkneipe kommen wir nämlich auch vorbei. Seit über einem Jahr steht sie leer. Die Fenster zugenagelt. „Das Huhn ist tot, es lebe das Huhn!“ Die Hühner stehen für die Kneipe, wird mir erklärt, denn die hatten mal ein „Feierabendlied mit Huhn“. Heute stimmen sie ein Klagelied an. Mit vollen Getränkekästen schlagen sie den Takt auf dem Boden.

Das Stück Die Protestoper Lauratibor wurde als Ganzes erstmals im vergangenen Sommer aufgeführt. Der Name „Lauratibor“ ist eine Kreuzberger Mischung aus Lausitzer Straße und Ratiborstraße.

Das Kollektiv Bewohner*innen, Künst­le­r*in­nen und Ak­ti­vis­t*in­nen beider Straßen hatten sich 2019 zum Lauratibor-Kollektiv zusammengeschlossen, um mit neuen Aktionsformen gegen den Ausverkauf der Stadt zu protestieren.

Die Demo Die nächste Aufführung von Lauratibor ist am Sonntag, 26.Juni, 17 Uhr in der Habersaathstraße 40-48 in Berlin-Mitte. Nachdem das Haus eine Zuflucht für obdachlose Menschen geworden war, will es der Investor nun abreißen lassen.

Drei Touris in bunten Sommerhemden bleiben stehen: „Entschuldigung, worum geht es hier eigentlich?“ „Das ist eine Oper und gleichzeitig Protest“, sage ich. „Eine Art Protestoper sozusagen.“ Sie nicken irritiert. „Und wohin lauft ihr?“ „Zum nächsten Akt.“ Die Investoren sind am Gewinnen. Der Senat – stellt sich heraus – ist auch keine Hilfe. Ende des zweiten Akts. „Bis gleich!“, heißt es und: „Wir sehen uns wie immer auf der Straße.“ Schon wieder zieht die Demo weiter, mitsamt Musikinstrumentenwagen, Zu­schaue­r:in­nen, Kiezchor und dem Dirigenten.

Im dritten Akt nimmt das Drama seinen Lauf: Tibor, einer der beiden Held:innen, stirbt. Das Publikum darf klagen, schreien, schweigen. Schwarzgekleidete „Klageweiber“ führen den Trauermarsch an, beerdigen nicht nur Tibor, sondern alle Häuserprojekte Berlins, die gestorben sind. Und es sind einige, wie auf den Schildern zu lesen ist.

Evil Maximilius Profitikus tritt auf und verlangt mit tiefer Stimme die Schlüssel aller Mieter:innen. Denn: „Andersartigkeit darf nur bleiben, wenn sie sich vermarkten lässt.“ Aber sieh an: Das Kraut des Widerstands gibt es doch noch! Häuserprojekte wie die „Lause“ bleiben, die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen holt fast 60 Prozent Zustimmung … Wir tanzen auf der Straße. Und ganz kurz denkt man, während die Hitze langsam abklingt und die Blechbläser ihre Instrumente schmettern, dass es auch im echten Leben ein Happy End geben könnte. Auch für das besetzte Haus in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte. Dort wird „Lauratibor“ diesen Sonntag ein weiteres Mal aufgeführt.

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Geboren 1995 in Kaiserslautern, taz lab Redakteurin, bis Januar 2023 taz Panter Volontärin. Sie studierte Mathematik in Madrid und Heidelberg. Schrieb dort für Studierenden- und Regionalzeitung. Seit 2022 schreibt sie im Wechsel mit Aron Boks die taz.FUTURZWEI-Kolumne "Stimme meiner Generation".

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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