Der Hausbesuch: Mit dem Faden verwoben

In ihrem Holzener Haus beherbergt Birgit Götz ein Webatelier. Sie verbindet als Handweberin die Techniken des Handwerks mit Heilpädagogik.

Eine Frau arbeitet an einem Webstuhl

Die Webmeisterin Birgit Götz in ihrem Atelier in Holzen Foto: Stefan Pangritz

So ein Leben kann eine Fülle von Zufällen sein. Ohne diese wäre Birgit Götz nie Weberin geworden.

Draußen: Alte Bäume säumen die Straßen in Holzen, einem Dorf im Markgräflerland unweit zur Schweiz und Frankreich. Rosenbüsche wachsen neben Brunnen, wilder Wein rankt Scheunen hoch. Es gibt Bauerngärten, in denen Blumen blühen – und anders als in vielen Gemeinden schotten sich Anwesen nicht mit geschlossenen Hoftoren von der Welt ab. Auch der Hof vor Birgit Götz’ gelborange gestrichenem Fachwerkhaus, rosenumrankt, ist offen. Im gegenüberliegenden Haus singt eine Frau am Fenster.

Drinnen: Die Sonne gibt den Farben Kraft, unter Flieder und Rosenbögen ist es draußen einladender als drinnen. Gern zeigt Birgit Götz aber das verwinkelte Haus mit den unebenen Böden. Alles ist bedächtig restauriert. Das Alte wurde hoch geschätzt, Neues nicht verworfen. Da sind Holz und Stoffe und Dinge des Lebens. In einer Ecke der Wohnküche steht ein Klavier. Vor dem bodentiefen Fenster, das den Essplatz von der Küchenzeile trennt, verhindern große Pflanzen, Hibiskus und Grünlilien in Tontöpfen, dass jemand herausfällt. Der Balkon wurde abgerissen, weil er baufällig war, der neue ist noch nicht da. Die Kacheln des runden Ofens hat Götz’ Ex-Mann gemacht. Er ist Keramiker.

Das Haus: Birgit Götz hat sehr darum gekämpft, dass sie bleiben kann, nachdem die Ehe scheiterte. 31 Jahre lebt sie jetzt da, zeitweise war das Haus voll. Die Kinder, deren Freunde, ihr dementer Vater, Handwerker – ein Ein und Aus. Heute ist es ruhiger. Im ehemaligen Stall hatte der Mann sein Keramikatelier; sie hat, wo einst der Heuboden war, ein Webatelier. Acht Webstühle stehen darin.

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Weben: „Eigentlich wollte ich Sozialpädagogik studieren, aber eben nicht sofort nach dem Abi.“ Das hat sie 1981 in Tuttlingen gemacht. Damals entdeckte sie den Webstuhl, den ihre Mutter hatte. „Der lag nur rum.“ Sie probiert es aus und fängt Feuer: „Ich will das können.“ In Sindel­fingen gibt es das Haus der Handweberei; sie will Kurse machen, aber der erste Zufall aus einer Reihe von Zufällen will es, dass sie dort stattdessen einen Job im Büro bekommt und so nebenher weben lernen kann.

Zufälle: Das hätte es dann sein können mit dem Handwerk, aber damals lernte sie einen Heilpädagogen aus Filderstadt kennen, der mit behinderten Erwachsenen arbeitete und der Weben lernen wollte. Sie bringt es ihm bei und macht umgekehrt an der Einrichtung ein Praktikum. „Wir haben gut miteinander harmoniert.“ Die Arbeit gefällt ihr und sie entscheidet, dass sie Heilpädagogin werden will. „Ich bin aber an ein anthroposophisches Heilpädagogikinstitut geraten; das war mir zu streng.“ Als ihr dann jedoch eine Weblehre in der Einrichtung in Filderstadt, wo sie das Praktikum gemacht hatte, angeboten wird, sagt sie zu und wird Handweberin.

Die Werksiedlung: Als Götz ihre Weberlehre machte, wurde in Kandern im Markgräflerland eine Werksiedlung für Menschen mit Behinderung von der anthroposophisch ausgerichteten Christophorus-Gemeinschaft gegründet. Da sollte auch eine Weberei integriert sein. Deshalb fragten sie in Filderstadt an, ob die nicht jemanden schicken könnten. „Birgit, du vielleicht?“ Und sie dachte: „Ach, warum nicht, warum nicht drei Gesellenjahre in Frankreichnähe?“ In ihrer Vorstellung herrscht im Markgräflerland Savoir-vivre. Ganz unrecht hat sie nicht. Aber wie hätte sie wissen können, dass sie hängen bleibt und seither in der Werksiedlung – unterbrochen nur durch Mutterschaft – arbeitet.

Der Beruf: 1994 macht Götz die Meisterprüfung als Handweberin. Heute ist das so nicht mehr möglich. Die Vielfalt des Webens, die Techniken, der pädagogische und therapeutische Wert – alles könnte verloren gehen, fürchtet Götz. „Weben ist eine rhythmische, gleichmäßige, ruhige Arbeit.“ Das komme vielen Menschen mit Behinderungen zugute. Einfache Muster seien möglich, aber auch sehr komplizierte. „Autisten sind, was das Komplizierte angeht, begnadete Weber.“ Außerdem, und das sei nicht unwichtig, böten Webstühle Schutz und Halt.

Ein Regal voll mit nach Farben sortiertem Garn auf großen Spulen

Ohne Faden geht gar nichts Foto: Stefan Pangritz

Keine Lust auf Sport: Sie kennt weitere therapeutische Vorteile. Etwa, dass mehrere Leute zusammenarbeiten müssen, um einen Webstuhl zu bespannen. Für 24 Meter Kette bedeutet das, dass je nach Webstuhlbreite bis zu zweitausend Mal 24 Meter lange Fäden aufgewickelt und durchgefädelt werden müssen. Eine Team- und Geduldsprobe. Und dann noch das: „Ich bewege mich gerne, bin aber auch phlegmatisch.“ Beim Weben kann sie sitzen und bewegt sich doch in alle Richtungen: Die Füße hoch und runter auf den Tritten; die Hände und den Körper nach rechts und links, wenn der Faden beim Einschuss durchgezogen wird; den Körper und die Arme nach vorne und hinten, wenn mit der Lade das Gewebe festgezurrt wird. Und das über Stunden. Ein Meter Stoff in etwa zwei Stunden ist zu schaffen.

Die Liebe: In der Werksiedlung lernt sie ihren Mann, den Töpfer, kennen. Der arbeitet nicht mehr lange dort, sondern als Geselle bei einem Keramiker, der seine Werkstatt auf dem Bauernhof in Holzen hat. Im ehemaligen Wohnhaus kann er auch wohnen. Als Birgit Götz 1991 dann schwanger ist, fragen die beiden, ob sie das Gesellenhaus ausbauen könnten. „Nö“, sagt der, „ich habe sowieso keine Lust mehr aufs Töpfern, kauft mir den Krempel ab.“ Sie tun es. Nach und nach bauen sie das Haus und die Keramikwerkstatt aus und eine Familie mit drei Kindern auf.

Der Bausparvertrag: Als Anfang des neuen Jahrhunderts ein Bausparvertrag von Götz’ Mutter fällig wird, gibt diese ihrer Tochter das Geld. „Bau dir eine eigene Weberei auf“, sagt sie. Und Götz macht es. Es ist ein längerer Prozess. Der Mann legt Hand an, Wandergesellen helfen. Aber nachdem es sich rumgesprochen habe, dass es eine Weberei geben soll, bekommt sie Webstühle auch geschenkt. „Die, die sie mir gaben, waren froh, dass sie wussten, dass ich sie wertschätze.“

Der Vater: 2003 beginnt sie nach der Elternpause wieder in der Werksiedlung zu arbeiten. Im gleichen Jahr stirbt die Mutter. Da der Vater beginnende Demenz hat, zeichnen sich neue Verpflichtungen ab. Erst wohnt er noch allein. Als es nicht mehr geht, holt sie ihn zu sich nach Holzen. Acht Jahre lebt er mit der Familie. Zwei Jahre pflegt sie ihn. Es sei auch spannend gewesen zu sehen, wie sich der Vater veränderte, sagt sie. „Was macht den Menschen als Mensch aus?“ Früher eher cholerisch, habe sich in der Demenz sein heiteres Gemüt gezeigt. „Vielleicht auch, weil ihm klar war: Er ist Gast.“

Gefühle: „Wenn das Kognitive weggeht, wird das Emotionale stärker“, sagt Götz. Das verändere auch die, die mit einem dementen Menschen leben. Sie habe sich dabei neu entdeckt, habe gesehen, wie sie mit Emotionen umgehe. „Er merkte sofort, wenn ich fertig war, und ich habe mich beherrschen gelernt, weil er mich gespiegelt hat.“ Gefühle sind den Dementen noch zugänglich. Das bringt auch Verdrängtes wieder hoch. Etwa Kriegserlebnisse. „Nächtelang hat er geschrien.“

Ein gelb-orange gestrichenes Fachwerkhaus umrahmt von Rosen und Büschen

Ein Ort zum Glücklichsein Foto: Stefan Pangritz

Der Preis: Trotz allem sei es für sie richtig gewesen, den Vater in den Alltag zu integrieren. Da waren sie, da waren Kinder, da waren Freunde. Das hat ihm Energie gegeben. „Aber“, sagt sie, „die Ehe ging an der Belastung kaputt.“ Es habe gedauert, sich anschließend auseinanderzudividieren. „Und immer die bange Frage: Kann ich bleiben?“ Ja, jetzt ist klar: Sie kann. „Ich bin dankbar und glücklich, dass ich an diesem wunderbaren Ort ­leben darf. Es ist mir wichtig, ihn zu pflegen und zu erhalten“, sagt sie. Sie wünscht sich, dass auch andere hier glücklich sind. Sie will die Töpferei renovieren. Es soll dort ein Ort entstehen, wo man auch tanzen kann.

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