„Er arbeitete sehr früh genreübergreifend“

Ute Haug über Carl Georg Heise, den ersten Nachkriegsdirektor der Hamburger Kunsthalle

Foto: Kulturbehörde

Ute Haug55, ist Leiterin der Abteilung Provenienzforschung und Sammlungsgeschichte an der Hamburger Kunsthalle. Seit 2017 hat sie zudem einen Lehrauftrag am kunsthistorischen Seminar der Uni Hamburg.

Interview Petra Schellen

taz: Frau Haug, wer war Carl Georg Heise?

Ute Haug:Ein wegweisender Kunsthistoriker, der zunächst das Lübecker St. Annen-Museum leitete und wegen seines Eintretens für moderne Kunst 1933 von den Nazis entlassen wurde. Von 1945 bis 1955 war er Direktor der Hamburger Kunsthalle, deren Sammlung er nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich wieder aufgebaut hat.

In welchem Zustand fand er Hamburgs Kunsthalle nach Kriegsende vor?

Ein Teil des Kupferstichkabinetts, Sammlungsräume und der Vortragssaal waren durch eine Bombe zerstört worden. Zudem waren einige Räume von den Alliierten belegt, in anderen residierten über 1955 hinaus der Kunstverein und das kunsthistorische Seminar. Es war recht beengt und schwierig.

Wie ging Heise damit um?

Wir beginnen gerade erst mit unseren Forschungen. Auf Basis der bisher gesichteten Unterlagen kann ich aber sagen, dass er guten Kontakt zu den Verantwortlichen bei den Alliierten pflegte und immer wieder forderte, dass bestimmte Räumlichkeiten bitte zu räumen seien. Das hat dazu geführt, dass er die Räume nach und nach wieder für die Sammlungpräsentation der Hamburger Kunsthalle nutzen konnte.

In welchem Zustand war diese Sammlung nach 1945?

Im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ hatten die Nationalsozialisten 1937 ihnen nicht genehme Kunst – die Kriterien waren teils sehr willkürlich – der Kunsthalle und vieler anderer Museen beschlagnahmt. In Hamburg waren es über 70 Gemälde sowie mehr als 900 Blätter des Kupferstichkabinetts. Einige wurden in der von München aus tourenden Wanderausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Die übrigen gingen in ein großes Lager in Berlin, von wo aus sie unterschiedliche Wege nahmen.

Hat Heise einige der Werke zurückbekommen?

Wir haben ganz wenige Werke wieder bekommen beziehungsweise zurückgekauft. Denn Heise hatte, wie auch andere Museumsleute, schon Ende der 1940er-Jahre beschlossen, diese Werke nicht zurückzufordern. Zum einen waren sie damals schon weltweit verstreut – oft in Privatsammlungen. Und da man diese SammlerInnen als LeihgeberInnen brauchte, um die Museumsbestände wieder aufzubauen, wollte man sie nicht verprellen. Zum anderen ist die Aktion „Entartete Kunst“ bis heute rechtlich gültig. Sie ist weder von den Alliierten noch vom deutschen Staat als illegal eingestuft, das entsprechende Gesetz der Nationalsozialisten nicht für ungültig erklärt worden.

Vortrag von Ute Haug (Hamburg) und Jakob Hahn (Lübeck): „Die Hamburger Kunsthalle und Carl Georg Heise als ein ‚Wegbereiter‘. Kritische Befragung seines Wirkens im Nachkriegsjahrzehnt“: Mi, 22. 6.,19 Uhr, Lübeck, Großer Saal der Gemeinnützigen

Was weiß man über Heises Verhalten in der NS-Zeit?

Bisher wenig. Er war zwar nicht in der Wehrmacht, aber sehr viel mehr ist noch nicht erforscht. Einige Jahre war er beim Berliner Gebrüder-Mann-Verlag beschäftigt. Er hat wohl viele Kontakte der Vorkriegszeit gehalten, und unser – beantragtes, aber noch nicht finanziertes – Hamburger Forschungsprojekt zu Heise soll auch klären, welche Rolle sein Netzwerk bei der Neuausrichtung der Hamburger Kunsthalle gespielt hat.

Auch wenn Sie in Vortrag und Forschungsprojekt für Hamburg zuständig sind: Können Sie kurz skizzieren, wie Heise in seiner Lübecker Zeit agierte?

Sehr fortschrittlich. Die Mischung verschiedener Kunstgattungen, die Einbeziehung auch des Kunsthandwerks, die Verbindung von öffentlichem Raum und Museum waren damals neu und anregend. Er war Initiator der Lübecker Museumskirche St. Katharinen und hat 1929 eine der ersten Fotografie-Ausstellungen organisiert. Dieser medien- und genreübergreifende Ansatz beruht vermutlich zumindest teilweise auf seiner guten Bekanntschaft mit dem Kulturwissenschaftler Aby Warburg.