Preisverleihung abgesagt: Angst vor „Kriegsgegnern“

Die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an ein russisch-deutsches Jugendprojekt wurde abgesagt. Die gesamte Jury trat aus Protest zurück.

Junge Theaterschauspieler*innen auf einer bunt gestalteten Bühne

Vorerst ausgeladen: Das Ensemble des Jugendtheaters „Premier“ ist Teil des Projekts Foto: Teatr Premier

GÖTTINGEN taz | Zumindest noch bis Montagnachmittag stand auf der Homepage des Göttinger Friedenspreises: „Die Verleihung wird am 10. September 2022 im Deutschen Theater Göttingen ab 11 Uhr stattfinden.“ Doch der Eintrag ist Makulatur. Denn die Stiftung Dr. Roland Röhl, die den Preis seit 1989 jährlich vergibt, hat die Übergabe der Auszeichnung an das deutsch-russische Projekt „Musik für den Frieden“ wegen Sicherheitsbedenken auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Preisjury unter Vorsitz des Journalisten Andreas Zumach, bis 2020 auch taz-Korrespondent, trat deswegen geschlossen zurück.

Nach Angaben der Jury hat eine Mehrheit der Stiftungsmitglieder in einer von Vorständen kurzfristig angesetzten Online-Abstimmung für die Absage gestimmt. „Wir haben als Mitglieder der Jury, die dieses Projekt im August letzten Jahres ausgewählt hatten, alle drei gegen diese Absage gestimmt“, heißt es in einem Schreiben der Jury. „Wir halten Ihre Entscheidung für einen großen Fehler. Wir können sie nicht mittragen und nicht nach außen vertreten.“

„Musik für den Frieden“ war Anfang Februar als Träger des mit 10.000 Euro dotierten Friedenspreises 2022 benannt worden. Das Projekt ist eine Initiative von deutschen und russischen Jugendlichen. Gemeinsame Aufführungen mit Musik, Tanz und Theater in beiden Ländern sollen zeigen, „dass es möglich ist, sich freundschaftlich und vertrauensvoll zu begegnen“, hieß es in der Begründung der Jury. Musik könne zu einem „Wegbereiter für eine friedliche Zukunft werden“.

In­itia­to­r:in­nen und Be­treue­r:in­nen des Projekts sind Ulrike und Thomas Vogt von der Musical-Company eines Gymnasiums in Baden-Württemberg und Andrey Koryakov vom Jugendtheater „Premier“ im russischen Twer.

Die Ju­ro­r:in­nen würdigten ausdrücklich den zivilgesellschaftlichen Beitrag des Projekts für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Dies gelte „gerade in Zeiten, in denen diese Beziehungen auf der offiziellen Ebene der Politik von erheblichen Konflikten und zunehmendem gegenseitigem Unverständnis geprägt sind“.

Schon 2019 hatte es politischen Krach gegeben

Weil die Stiftung Störungen der Verleihfeier durch Russlandfreunde oder „Kriegsgegner“ befürchtete, wandte sie sich im Frühjahr an die Polizei. Während sich ihr Sprecher Thomas Richter auf Anfrage nicht zu dem Vorgang äußern wollte und ein „allgemein gehaltenes Pressestatement“ für Montagabend oder Dienstag ankündigte, bestätigte die Polizei die Unterredung: Der Leiter des Staatsschutzkommissariats habe dabei aufgezeigt, „dass damit zu rechnen sei, dass die Veranstaltung angesichts der aktuellen Sicherheitslage in der öffentlichen Meinung thematisiert werden wird“ und dass es „möglicherweise auch zu Störaktionen, Demonstrationen oder sonstigen Missfallensbekundungen kommen könnte“, sagte Polizeisprecherin Jasmin Kaatz. Zugleich sei der Stiftung versichert worden, dass die Polizei in jedem Fall einen störungsfreien Ablauf der Preisverleihung gewährleisten würde.

Nach Ansicht der nun zurück getretenen Jury spielt die Absage der „derzeitigen massiven Feindpropaganda der Regierung Putin und der staatlich gelenkten russischen Medien gegen den Westen“ in die Hände. „Wir fürchten, dass Ihre Entscheidung zu großer Enttäuschung und Entmutigung bei den an dem Friedensprojekt beteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen führen wird.“ Diese hätten sich sehr auf die Verleihung in Göttingen gefreut und sich bereits auf ihren dortigen Auftritt vorbereitet. Insbesondere die russischen Beteiligten, die „trotz der Feindpropaganda aus Moskau an dem Projekt festhalten und zu einer Reise nach Deutschland bereit waren, hätten eine Ermutigung gebraucht“.

Weiter fragte die Jury in ihrer Erklärung: „Wie wollen wir von der unterdrückten russischen Zivilgesellschaft auch nur einen Hauch von Zivilcourage erhoffen, wenn wir Angst haben, in unserem sicheren Deutschland solches zivilgesellschaftliches Friedensengagement öffentlich zu würdigen?“ Die Entscheidung der Stiftung sei ein „Signal von mangelnder Zivilcourage, beschämender Feigheit und vorauseilendem Gehorsam vor einer ganz offensichtlich imaginären Bedrohung“.

Schon 2019 hatte es politischen Krach um die Vergabe des Friedenspreises an den Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ gegeben. Unter anderem hatte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, den Verein als antisemitisch kritisiert und das mit seiner Nähe zur Boykott-Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) gegen Israel begründet. Wegen der Vorwürfe zogen die Universität, die Stadt und die Sparkasse in Göttingen ihre Unterstützung für die Preisverleihung zurück. Die Feier konnte deshalb nicht wie sonst in der Hochschule stattfinden. Sie wurde unter großem Publikumsinteresse in einer privaten Galerie veranstaltet.

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