Klimaverhandlungen in Bonn: Trotz Krieg business as usual

Die Klimakonferenz in Bonn hat den Angriff auf die Ukraine ausgeklammert. Doch die Angst wächst, dass ein neuer Gas-Goldrausch die Ziele kippt.

Patricia Espinosa, Leiterin des Sekretariats der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Bonn

Die Bonner Klimakonferenz war die letzte von UN-Klimachefin Patricia Espinosa Foto: Andreas Rentz/getty images

BONN taz | Auf dem Weg zur Klimakonferenz traten die Delegierten das Thema Ukrainekrieg erst einmal mit Füßen. Mit Kreide hatten AktivistInnen vor dem Kongresszentrum in Bonn vergangene Woche ihren Protest aufs Pflaster gemalt: „Der Ukrainekrieg wird von fossilen Brennstoffen finanziert“ und „Stoppt das russische Gas!“.

Die Slogans blieben allerdings draußen. Im Gebäude, bei der 56. Zwischenkonferenz zum Klimaschutz, spielte der russische Angriff auf die Ukraine vordergründig kaum eine Rolle. Während zur gleichen Zeit in der ukrainischen Stadt Sjewjerodonzk laut Meldungen 10.000 Zivilisten unter Beschuss festsaßen, kämpften die VertreterInnen der UN-Staaten in den üblichen Sitzungsmarathons bis zur Erschöpfung darum, ob die Staaten höhere Klimaziele vorlegen sollen, wer mehr Geld für Anpassung zahlen und ob es einen eigenen Tagesordnungspunkt für Schadenersatz geben soll. „Das Thema Ukrainekrieg hängt über allen Debatten“, sagte ein Verhandler, „aber niemand spricht es offen an.“

Mit einigen wenigen Ausnahmen: Die ukrainische Delegation beklagte sich zum Auftakt der Konferenz im Plenum, der Angriff Russlands sei ein „sehr schweres Problem für den gesamten Prozess“, der auf Kooperation und gegenseitigem Respekt beruhe. Worauf der russische Delegationsleiter Alexei Dronow von seinen Notizen die offizielle Kreml-Linie zur „militärischen Spezialoperation“ im Nachbarland ablas – und Delegierte von EU und USA unter Protest den Raum verließen. Die Kritik an Russland hatte laut Dronow „nichts zu tun mit der Substanz“ der Verhandlungen und sei „nicht im Einklang mit dem Geist der Zusammenarbeit“. Man solle aufhören, „dieses sehr respektierte Forum zu nutzen, um antirussische Rhetorik zu verbreiten“, und sich um einen „depolitisierten Austausch“ bemühen.

Diesen Gefallen tat die Konferenz Russland und Belarus tatsächlich. Keine ukrainischen Fahnen im Gebäude, keine Resolution gegen den Krieg, kein Ausschluss der Angreifer von den Verhandlungen. Business as usual war das Motto der Konferenz. Der Krieg sei tragisch und müsse so schnell wie möglich beendet werden, hieß es vom UN-Klimasekretariat, „aber wir können uns keine Pause beim Klimaschutz erlauben“. Häufig liefen die Verhandlungen während bewaffneter Konflikte weiter. „Wir müssen alles tun, um diesen Krieg zu beenden, aber die UNFCCC sind nicht der Ort dafür“, war der Tenor.

Ungelöste Fragen Deutliche Signale sehen anders aus: Mit nur minimalen Fortschritten und einer Menge ungelöster Fragen hat die UN-Zwischenkonferenz zum Klima (SBSTA56) am Donnerstag nach knapp zwei Wochen Verhandlungen geendet. Die umstrittensten Fragen waren neue Regeln für Schadenersatz bei Klimaschäden, Geld für Anpassung und schnellere Emissionsminderungen bis 2030.

Alte Gräben aufgebrochen Einen Druchbruch gab es nirgendwo. Im Gegenteil: Es zeigten sich die uralten Gräben zwischen Industrie- und Schwellenländern und die immer gleichen Argumente, teilweise in Endlosschleife. Die Delegierten schoben viele Probleme weiter bis zur COP27, die im November im ägyptischen Sharm el Sheikh stattfinden soll. Große Fortschritte im Prozess sind seit der COP26 ohnehin nicht auf der Tagesordnung. Die Regeln stehen im Großen und Ganzen, jetzt soll ein „Jahrzehnt der Umsetzung“ beginnen: Um die 1,5-Grad-Grenze zu halten, müssen bis 2030 die globalen Emissionen praktisch halbiert werden. Gleichzeitig drängen die armen Länder auf eine Einhaltung des Versprechens, jährlich 100 Milliarden Dollar an Hilfe zu organisieren. Das wird bisher nicht erreicht. Sie fordern, mehr Geld für Anpassung an die Erderhitzung als Zuschuss und nicht als Kredit zu sichern. Und ganz wichtig ist für die ägyptischen Gastgeber der „afrikanischen COP“ ein echter Fortschritt bei „Schäden und Verlusten“ – etwa ein regelmäßiger Tagesordungspunkt auf der Konferenz, eine Organisation für diese Fragen und finanzielle Zusagen.

Hoffen auf die G7 Umwelt- und Klimagruppen kritisierten den fehlenden Fortschritt in Bonn angesichts der eskalierenden Klimakrise. Nun richten sich die Hoffnungen auf die G7-Treffen in Elmau Ende Juni und den „Petersberger Klimadialog“, beide unter deutscher Führung. Dabei hoffen die KlimaschützerInnen auf klare Aussagen, besonders etwa zum Thema „Schäden und Verluste“.

Kein Konsens, Russland zu isolieren

Auch Madeleine Diouf Sarr vom Umweltministerium Senegal und derzeit Chefin der LDC-Gruppe, die die ärmsten Länder vertritt, sagte auf Anfrage: „Wir sind nicht isoliert von der Welt, der Krieg wird uns in diesem Prozess nicht helfen. Wir spüren die Folgen des Krieges durch gestiegene Preise auf Treibstoff und Lebensmittel.“ Der Fokus in den Verhandlungen für die LDC liege aber auf Anpassung und Finanzen und Schadenersatz. Und David Waskow, Klimachef des US-Thinktanks World Ressouces Institute, sagte: „Die Themen hier sind in so vielen kleinen Paketen geschnürt, da ist es schwierig, eine so übergreifende Frage zu thematisieren.“

Hinter der dipomatischen Fassade schlummert bei manchen Delegierten allerdings die Sorge, dass der Krieg die Fundamente der UN-Verhandlungen untergräbt: Gewaltverzicht, Einhaltung des Völkerrechts, Multilateralismus. Und es gibt keinen Konsens zur Isolierung Russlands: In der UN-Generalversammlung verurteilten Anfang März zwar 141 Staaten Russland für den Angriff – aber es enthielten sich Klima-Großmächte wie China, Indien oder Südafrika.

Klima-Diplomaten warnen: Wie soll man Länder wie Vietnam, Brasilien oder die Philippinen dafür kritisieren, dass sie ihre völkerrechtliche Pflicht verletzen, verbesserte Klimapläne (NDC) vorzulegen, wenn Russland als Mitglied des UN-Sicherheitsrats brutal einen Nachbarn überfällt? Tatsächlich werden die Klima-Verhandlungen oft aus dem politischen Tagesgeschäft herausgehalten. Auf der COP in Glasgow 2021 erklärten die USA und China deutlich, ihre Rivalitäten im politischen und wirtschaftlichen Bereich würden sie nicht hindern, beim Klima zu kooperieren.

Früher beim Klima oft Verbündete

Auch der ukrainische Delegationsleiter Mykhailo Chyzhenko hat das business as usual erwartet. „Hier ist nicht der Ort für politische Diskussionen über den Krieg“, sagte er. Er habe nichts Wichtiges zum Krieg erwartet, als er mit seiner Delegation von sechs Frauen die gefährliche Reise mit dem Zug nach Polen angetreten habe. Chyzhenko ist 61 Jahre und damit über der Altersgrenze, wo er als Mann sein Heimatland nicht verlassen darf.

Eigentlich waren die Ukraine und Russland beim Klima oft Verbündete. Ihre Wirtschaft beruht zum großen Teil auf Schwerindustrie und Kohle. Durch den Zusammenbruch der Wirtschaft nach dem Ende der Sowjetunion haben beide Länder damals massiv Emissionen reduziert und lange versucht, diesen Beitrag zum Klimaschutz als Emissionszertifikate zu Geld zu machen. Beide sind in den Verhandlungen Mitglieder der „Umbrella-Gruppe“, zu der auch die USA und Australien gehören. Da sei Russland jetzt nicht mehr aufgetaucht, sagt Chyzhenko. Anders als Russland hat die Ukraine im letzten Jahr deutliche Anstrengungen zur Dekarbonisierung gemacht, zeigt ein Bericht des Thinktanks „Climate Action Tracker“, der dem Land 2021 trotzdem die Note „höchst unzureichend“ gab. Seit dem Krieg ist die Bewertung ausgesetzt.

Belastungen für die nächste Klimakonferenz

Die wichtigsten Kriegsschäden fürs Klima sind allerdings indirekt: Einerseits setzen etwa Bundesregierung und EU-Kommission auf den verstärkten Ausbau von Erneuerbaren und Energiesparen, um das russische Gas zu ersetzen – andererseits werden überall neue Gasvorräte erschlossen, deren Nutzung die Klimaziele gefährdet. Die EU definiert in ihrer Anlagestrategie der „Taxonomie“ das Erdgas als „nachhaltig“. Eine Studie der „Climate Analytics“ warnte in Bonn vor einem neuen globalen „Goldrausch beim Gas“, der entweder das Pariser Klimaziel endgültig begrabe oder Milliarden als „gestrandete Investments“ riskiere.

Eine andere Untersuchung zeigt, dass die Aktienmärkte Europa und die USA ganz verschieden einschätzen: Als Reaktion auf den Krieg würden demnach in der EU „grüne“ Anlagen gewinnen. In den USA allerdings drängen die alten fossilen Werte nach vorn: Investoren glauben nicht an eine Energiewende durch den Krieg. Und die hohen Preise für Lebensmittel und fossile Brennstoffe können viele Länder des Globalen Südens weiter destabilisieren. Das könnte die Verhandlungen der COP im November in Ägypten belasten. Dort wollen vor allem die afrikanischen Staaten mehr Geld und Zugeständnisse im UN-Prozess für Schadenersatz und Anpassung an den Klimawandel durchsetzen.

Kurzfristig jedenfalls, sagt der ukrainische Delegationsleiter Chyzhenko, senkt der Krieg die Emissionen: Der Energieverbrauch seines Landes habe um 30 Prozent abgenommen, der CO2-Ausstoß falle bis Jahresende wohl um 20 Prozent. „Es gibt einen dummen Witz“, sagt Chyzhenko mit einem schiefen Grinsen, „wenn du willst, dass die Emissionen wirklich fallen, fang einen weltweiten Krieg an.“

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