Kanzler Scholz in Litauen: Viel Harmonie in Vilnius

Bei seinem Litauen-Besuch kündigt Olaf Scholz an, mehr Truppen in dem Land zu stationieren. Lob erntet der Kanzler auch für ein anderes Vorhaben.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Daniel Andrä, Bundeswehr-Kommandeur der NATO-Truppen mit Gitanas Nauseda, Präsident von Litauen.

Stippvisite bei der Truppe: Kanzler Scholz mit Litauens Präsident Nauseda am Dienstag Foto: Michael Kappeler/dpa

VILNIUS taz | Olaf Scholz will jetzt erst mal „eine Reihe nicht ganz richtiger Behauptungen“ zurechtrücken. Berlin liefere nämlich so viele Waffen an die Ukraine wie kaum ein anderes Land, von Mörsern bis zu hochmodernen Haubitzen. Was die Lieferung von alten Leopard-Panzern aus Spanien angeht, kann der Kanzler nicht viel sagen. Es liege ihm kein Antrag aus Spanien vor. Er trägt dieses Plädoyer schwungvoll im Präsidentenpalast in Vilnius vor. Neben ihm steht mit unbewegtem Antlitz der litauische Präsident Gitanas Nausėda.

Seit dem Krigesbeginn am 24. Februar ist die Reise nach Litauen Scholz’ erster Besuch in einem Nato-Land, das an Russland grenzt – und in dem sich die Ängste vor einem russischen Angriff mit historischen Erfahrungen mit dem russischen Imperialismus verknüpfen. Dass Scholz nach Litauen kommt, ist naheliegend. Hier sind knapp 1.000 Bundeswehrsoldaten, zwei Drittel des gesamten Nato-Kommandos, stationiert. Die rotierende Kampftruppe „Forward Presence Battle Group“ steht unter deutschem Kommando.

Zudem ähnelt Präsident Nausėdas’ politischer Stil Scholz’. Er formuliert meist bedächtig, zieht aber am Dienstagmittag als Erstes harte Linien klar. Weil man einen „terroristischen Staat“ wie Russland „nicht beschwichtigen“ solle, hält er auch von Gesprächen mit Putin, wie sie Scholz und Macron führen, nicht viel. Nausėda aber garniert solche Aussagen mit dem Bekenntnis, Litauen sei vor allem „dankbar für die deutschen Truppen“.

Die Pressekonferenz von Scholz und den StaatschefInnen der baltischen Staaten findet im klassizistischen Präsidentenpalast in Vilnius statt. Der war im 19. Jahrhundert Sitz des russischen Generalgouverneurs. Jetzt residiert hier Nausėda. Litauen hat eine Vergangenheit als Teil des russischen Imperiums – und eine Zukunft im Westen.

Verhältnis positiver als erwartet

Das spiegeln auch die westlich geprägten Biografien der politischen Elite. Nausėda hat in Mannheim studiert und spricht fließend Deutsch. Kaja Kallas, Ministerpräsidentin in Estland, ist die Tochter eines EU-Kommissars, der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš hat lange in den USA gelebt und hat die US-Staatsangehörigkeit. Scholz hat gerade die größte Hürde seiner bisherigen Kanzlerschaft genommen: das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr. Wäre es gescheitert, wäre die von ihm verkündete Zeitenwende Asche gewesen. In Vilnius verkündet er vollmundig, dass die Bundeswehr damit „die größte konventionelle Armee in Europa in den Reihen der Nato wird“.

Das beeindruckt auch Kaja Kallas, die sonst manchmal zu scharfer Kritik an Berlin neigt. Kallas dankt dem Kanzler für die „historische Entscheidung, die Militärausgaben zu erhöhen“. Und: „Olaf, ich freue mich sehr über die Entscheidung, Luftabwehrwaffen an die Ukraine zu liefern.“

Die Versuche einiger baltischer Journalisten, ihre Politiker gegen die in Osteuropa oft kritisierte Zögerlichkeit Scholz’ bei Waffenlieferungen in Stellung zu bringen, fruchten nicht. Nausėda betont, dass per Ringtausch auch schwere Waffen in die Ukraine geliefert werden. Jeder Nato-Staat spiele „dabei seine Rolle“, so die wohltemperierte Formulierung. Das Verhältnis der baltischen Länder zu Deutschland ist positiver, als einige scharfe Kritik mitunter vermuten lässt. Es ist ja ein kompliziertes Unterfangen, dauernd jenen Staat scharf zu kritisieren, von dem man mehr militärische Unterstützung möchte.

Kopfzerbrechen bereitet den Litauern der Suwalki-Korridor. Dieser nur 60 Kilometer breite Streifen ist die Grenze zu Polen. Falls russische Truppen diesen Korridor absperren würden, hätte Litauen keine Landverbindung mit der Nato mehr. Die Nato will im Baltikum militärisch mehr tun. Die Entscheidung soll Ende Juni auf dem Nato-Gipfel in Madrid fallen.

Als Außenministerin Annalena Baerbock im April in Vilnius war, forderte der forsche litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis 4.000 Nato-Soldaten. Zu viel, fand Berlin.

Nun gibt es einen Kompromiss. In einer gemeinsamen Erklärung von Scholz und Nausėda heißt es nun, dass Deutschland zusätzlich „eine robuste und kampfbereite Brigade in Litauen führen“ will. Die Brigade soll aus deutschen Kampftruppen bestehen, „die schnell verlegt und eingesetzt werden“ können.

Insgesamt 3.000 Kampfsoldaten

Etwas heikel ist hingegen der Status der Truppen. Denn laut Nato-Russland-Akte sind dauerhafte Stationierungen von Kampftruppen in Polen und den baltischen Staaten verboten. Scholz will verhindern, dass der Westen die Nato-Russland-Akte offensichtlich verletzt – um Russland keinen Vorwand für Angriffe jeder Art auf den Westen zu liefern. Dem Kanzler zufolge bedeutet die anvisierte Aufstockung keine Verletzung der Nato-Russland-Grundakte. Denn insgesamt sollen künftig 3.000 Kampfsoldaten zwischen Deutschland und Litauen rotieren, 1.500 hier, 1.500 dort – also wären diese formal nicht dauerhaft stationiert.

Scholz präzisiert in Vilnius auch die Ziele des Westens, ohne die müßige Debatte zu befeuern, ob die Ukraine nur nicht verlieren oder siegen müsse. Putin sei schon jetzt an der Einigkeit des Westens gescheitert. Er führe einen brutalen Krieg im Donbass, „um irgendwas zu erreichen“. Eine Aufhebung der Sanktionen werde es aber nur geben, wenn Russland alle Truppen zurückziehe und die Ukraine der Aufhebung von Sanktionen zustimme. Das ist, wenn man recht versteht, Scholz’ Kriegsziel.

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