Nordossetien und der Ukraine-Krieg: 200.000 Rubel im Monat

Für Geld in den Krieg ziehen oder sich gegen den übermächtigen Staat stellen? Die Meinungen der Menschen in Nordossetien gehen auseinander.

Soldaten marschieren in Reih und Glied

Militärparade am 9. Mai in Wladikawkas Foto: Erik Romanenko/ITAR-TASS/imago

Der Krieg wird langsam zu einer gewöhnlichen Alltagskulisse. Die Menschen haben gelernt damit zu leben, dass irgendwo Kämpfe stattfinden, dass Zivilisten und Soldaten ums Leben kommen. All das passiert nur im Hintergrund. Aber die Informationsexplosionen erreichen auch Regionen, die von der Ukraine weit entfernt sind. Und diese Explosionen sind oft stärker als die echten.

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In so kleinen Gegenden Russlands wie in Ossetien kennt jeder jeden. Und deshalb war es eine echte Sensation, als 300 Soldaten, die aus Ossetien in den Krieg gezogen waren, nach Hause zurückkamen. Natürlich gab es keine großen Ankündigungen oder Interviews, aber in den Messengerdiensten wurden Sprachnachrichten einiger dieser Verweigerer geteilt, die wirklich schreckliche Dinge erzählt haben. Sie sagten, dass sie nicht darauf vorbereitet waren zu kämpfen, wenn ihre Befehlshaber, denen ihre Leben anscheinend absolut gleichgültig gewesen seien, sie völlig grundlos in die Schlacht geschickt hätten.

Die Geschichten dieser Verweigerer versucht man totzuschweigen: Man hat sie so eingeschüchtert, dass sie nicht darüber gesprochen haben, nicht mal mit ihren nächsten Angehörigen, und jetzt verklagen einige von ihnen die russische Armee, um gegen ihre Entlassung zu protestieren. Aber es ist ziemlich vorhersehbar, wie das Ergebnis aussehen wird.

Unterdessen werden in Ossetien und einigen anderen Regionen weiter Freiwillige für den Krieg rekrutiert. Und auch, wenn darunter viele sind, die wirklich kämpfen wollen, dann gibt es auch viele, die nur deshalb einen „Freiwilligenvertrag“ unterschreiben, weil sie dafür im Monat 200.000 Rubel bekommen. Das ist sechsmal so viel wie ein Standardgehalt in unserer Republik. Der Krieg ist für diese Leute die einzige Chance, Geld für ihre Familien zu verdienen, angesichts der jetzt steigenden Preise für Lebensmittel und Waren. Eine andere Möglichkeit, solch hohe Summen zu verdienen, gibt es in Ossetien sonst nicht.

Im Allgemeinen kommt der Großteil der Freiwilligen in der Ukraine aus den wirtschaftlich benachteiligten Regionen Russlands. Und Ossetien ist eine von ihnen. Und außerdem kommen von hier auch viele Berufssoldaten. In den drei Kriegsmonaten sind mehr als 70 Zinksärge nach Ossetien zurückgekommen, sowohl mit Berufssoldaten als auch mit Freiwilligen. Für eine so kleine Republik wie unsere ist das eine gewaltige Zahl. Besonders wenn man daran denkt, dass in zehn Jahren des Afghanistankrieges insgesamt 58 Menschen aus Ossetien gefallen sind.

Gleichzeitig verspürt man bislang noch keine massenhafte Unzufriedenheit. Die staatliche Propaganda konnte die Bürger, nicht nur in Ossetien, sondern im ganzen Land davon überzeugen, dass die „Spezialoperation“ notwendig war und dass die Menschen dabei für die richtige Sache sterben.

Wahr ist aber auch, dass sich jetzt erstmals Menschen äußern und anfangen, Fragen zu stellen. In den Parks von Wladikawkas, der Hauptstadt von Nord­ossetien, sind über Nacht „Nein zum Krieg“- Graffitis aufgetaucht. Sie wurden natürlich sofort entfernt. Aber am nächsten Tag waren sie wieder da. Das ist im Moment die einzige radikale Möglichkeit, seine Haltung zum Krieg in der Ukraine zum Ausdruck zu bringen.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

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der Autor ist Journalist und lebt in Wladikawkas, der Hauptstadt Nordossetiens im Kaukasus. Er schreibt unter Pseudonym.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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